Mehr Licht im Denkmal
Eine kleine denkmalgeschützte Scheune wäre fast zusammengefallen, hätte nicht ein Künstlerehepaar die historische Substanz erkannt und den Bau gerettet. Die Architekten und Handwerker zeigten bei der Sanierung großen Respekt vor der alten Substanz und holten mit Dachfenstern viel Licht in das Denkmal.
Historische, nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck genutzte Ställe und Scheunen stellen in ländlichen Regionen nicht nur eine Raumreserve dar, sie bieten auch Chancen für Umnutzungen mit modernen Funktionen in einem ganz speziellen Ambiente des Rustikalen und Ursprünglichen. Gerade Studios und Ateliers, aber auch Büros oder Wohnungen entfalten in den „alten Gemäuern“ einen besonderen, in Neubauten so kaum zu erreichenden Charme.
Darüber hinaus sind sie auch als Baudenkmale unverzichtbar im Stadt- beziehungsweise Ortsbild. Denn meist sind es nicht die bedeutenden Baudenkmale, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Niemand lässt natürlich das Brandenburger Tor oder den Kölner Dom schleifen. Nein, es sind die – zumindest für Investoren unbedeutenden – Objekte in Städten oder Ortschaften, die den Charakter eines Ortes mitbestimmen und in jedem Fall erhaltenswert sind. Umso trauriger ist es, dass solche kleinen Baudenkmale im öffentlichen Bewusstsein nicht als erhaltenswert erachtet werden, wohl auch deshalb, weil sich viele Menschen nicht vorstellen können, welcher Schatz aus einer alten, baufälligen Scheune einmal entstehen kann.
Vor dem Verfall gerettet
Genau dies aber entstand im Ortsteil Neustadt bei Waiblingen. Ein Künstlerehepaar erkannte in einer Scheune aus dem 17. Jahrhundert genug Potential, um sie zu einem Atelier umzubauen. Das Gebäude ist Teil eines denkmalgeschützten Ensembles, umringt von drei Fachwerkbauten. Der einsturzgefährdete Dachstuhl, morsches Fachwerk und feuchte Außenwände machten nicht nur eine Nutzung so gut wie unmöglich, sondern gefährdeten auch die Nachbarhäuser. Der Waiblinger Gemeinderat beschloss daher, das Gebäude zu verkaufen.
Die Architekten vom Stuttgarter Büro Coast Office Architecture übernahmen die Planungen und die Bauleitung und gingen bei dem Umbau mit großem Respekt vor der alten Bausubstanz zu Werke, ja verwandelten die Scheune gar in ein lichtdurchflutetes Schmuckstück und integrierten viel alte Bausubstanz. Dadurch traten dann auch wunderschönen Details zum Vorschein.
Altes sollte erhalten bleiben
Um die Standfestigkeit der Scheune wiederherzustellen, wechselten die Zimmerleute die durch die Feuchtigkeit zerstörten und maroden Hölzer des Dachtragwerks und des Holzfachwerks aus oder verstärkten diese. Größter Wert wurde auf eine originalgetreue Restaurierung gelegt. Mit den im Zimmererhandwerk überlieferten Holzverbindungen wie Überplattungen, Zapfen und Holznägel, fügten die Handwerker die neuen Holzbalken zwischen die Bestandhölzer ein. Nach Wunsch der Architekten sollten die neu hinzugekommenen Fichteholzbalken durchaus auch als solche erkennbar sein. Das gelang, trotz der farblichen Veränderung: Die neuen Holzbalken sind immer noch – wegen des unterschiedlichen Saugverhaltens – als neu zu erkennen, obwohl der weiß pigmentierte Ölanstrich aufgetragen wurde. Wie das Fachwerk im Untergeschoss erhielten auch alle inneren Dachbauteile eine Behandlung mit hell pigmentiertem Öl, was den Kontrast zwischen alten und den neuen Hölzern abmildert und zusammen mit den weiß verputzten Gefachen der Wände eine ruhigere, gleichmäßig helle Oberfläche zum Platzieren der Kunstwerke schafft.
Auch Boden und Wände wurden aufwendig saniert
Ein großer Aufwand wurde auch beim Bodenaufbau betrieben. Den alten Lehmfußboden gruben die Handwerker ab und verlegten eine Drainage samt Dichtungsfolie. Darauf folgte die Unterkonstruktion für den neuen Holzfußboden aus unregelmäßigen Eichebohlen.
Auch die Bruchsteinwände und die Lehmausfachungen zeigten gravierende Schäden. Die Fugen urden vom Maurer ausgekratzt und mit Trassmörtel originalgetreu wieder verfugt. Abschließend wurde alles sandgestrahlt, wodurch die Reparaturarbeiten optisch in den Hintergrund treten. Wo es nötig war, wurde auch das Fachwerk mit Lehmsteinen neu ausgefacht, mit Lehm verputzt und anschließend mit Mineralfarbe gestrichen. Lehmsteine und Lehmputz sind zum einen klare Bestandteile der denkmalgerechten Sanierung, zum anderen sorgen sie im Atelier für ein natürliches Raumklima, denn der Lehmputz puffert die Feuchtigkeit, beziehungsweise gibt sie wieder ab.
Energetische Verbesserung der Bausubstanz
Neben der statischen, sollte das Bauwerk auch eine energetische Ertüchtigung erhalten. Ausgangspunkt am Dach waren die vorhandenen beziehungsweise ergänzten oder erneuerten Sparren, die als Zeugen der ursprünglichen Bauweise sichtbar bleiben sollten. Vor allem die Balkenköpfe der Zwischendecke und die Fußpunkte der Sparren mussten umfangreich saniert und gesichert werden. Doch auch damit konnte keine ausreichende Tragfähigkeit der historischen Holzkonstruktion hergestellt werden. Man hätte die Sparren nun sichtbar aufdoppeln können, damit aber auch die ursprüngliche Ansicht der Dachunterseite stark verfälscht und in ihren Proportionen verändert. Die Architekten bevorzugten eine andere Lösung: Auf die alten Sparren wurden zunächst eine Brettschalung und die Dampfbremse aufgebracht. Darüber befinden sich 10/16 cm Konstruktionshölzer, die von außen mit Vollgewindeschrauben durch die Schalung hindurch in die historischen Sparren befestigt sind. Von außen dann wurden die neu entstandenen Sparrenfelder mit einer diffusionsoffenen Wand- und Dachplatte (DWD) geschlossen. Dadurch entstand der Hohlraum für die Zellulose-Einblasdämmung. Den Abschluss am Dach bilden Konterlattung, Lattung und eine Falzziegeldeckung.
Bei den Außenwänden bot sich ein 6 cm starker Dämmputz an, den die Handwerker auf das Bruchsteinmauerwerk auftrugen. Da die Wände von außen im Originalzustand auch verputzt waren, konnte so das Erscheinungsbild erhalten werden. Die unverputzten Bruchsteinwände und das Fachwerk im Innern sorgen hier für viel rustikale Atmosphäre.
Licht von oben nach unten
In der vorhandenen Bausubstanz gab es ursprünglich nur wenige und noch dazu sehr kleine Fenster. Deshalb konzipierten die Architekten das Lichtkonzept völlig neu, um die Innenräume ausreichend mit Tageslicht zu versorgen. Um bei der Sanierung die Eingriffe in den historischen Bestand so gering wie möglich zu halten, wurden in den Wänden im Erdgeschoss keine Fenster vorgesehen, sondern lediglich das ursprüngliche Scheunentor sowie eine ebenfalls schon vorhandene Nebentür durch Glastüren ersetzt. Stattdessen integrierten die Architekten in das ohnehin komplett zu erneuernde Dach insgesamt neun Dachfenster des Herstellers Velux.
Drei von ihnen schaffen eine helle und freundliche Atmosphäre im eingeschossigen Anbau, in dem die Küche steht. Sechs weitere Dachfenster sind auf einer Seite des Satteldachs angeordnet und sorgen für einen hellen – durch den hohen Lichteinfall – überhaupt nicht mehr an einen Scheunenboden erinnernden Raum. Damit dieser Lichtüberschuss tagsüber auch dem Erdgeschoss zugute kommt, endet der neu eingezogene Dielenfußboden der oberen Etage etwa einen Meter vor der Traufwand. Durch den offen bleibenden, mit einem Glasgeländer gesicherten Deckenstreifen dringt das Tageslicht direkt von den Dachfenstern in die unteren Räume.
Mit der Sanierung wurde nicht nur eine alte Bausubstanz gerettet, sondern ein Beispiel für eine gelungene Umnutzung mit Strahlkraft für den Ort mit seinen knapp 6000 Einwohnern gelegt. Den Architekten gelang nicht nur eine originalgetreue Restaurierung, sondern mit dem ungewöhnlichen Lichtkonzept reichte es auch für den ersten Preis beim Velux-Architekten-Wettbewerb 2010.
Autoren
Kristina Heckmann ist Dipl. Ing. und arbeitet im Bereich „Architektur / Planung“ der Velux Deutschland GmbH. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Die Lichtversorgung mit Tageslicht gelang durch ein ausgeklügeltes, preisgekröntes Konzept
Im Internet finden Sie weitere Fotos vom Umbau der Scheune in Neustadt. Geben Sie hierzu bitte den Webcode in die Suchleiste ein.
Durchdachtes, automatisches Lüftungskonzept
Eines der Dachfenster in der Küche wurde mit einem per Funk zu bedienenden elektrischen Antrieb ausgerüstet. Das erhöht zum einen den Bedienkomfort und kann zum anderen für die automatische Lüftung verwendet werden. Über die Funksteuerung können die Bewohner bestimmte Zeiten für die Fensteröffnung festlegen. Gelüftet wird somit auch bei Abwesenheit der Bewohner. Zur Grundausstattung gehören Regensensoren. Bei aufkommendem Niederschlag schließt das Fenster selbsttätig oder es verhindert das Öffnen bei Regen.
Bautafel (Auswahl)
Architekten Coast office architecture,
70192 Stuttgart
Projektleitung/Mitarbeit Dipl.-Ing. Arch. Kathrin Sälzer
Tragwerksplaner Ingenieurbüro Grau,
74321 Bietigheim-Bissingen
Zimmererarbeiten JaKo Baudenkmalpflege GmbH, 88430 Rot an der Rot
Herstellerindex (Auswahl)
Dachziegel Erlus Ergoldsbacher
Dachfenster 9 Velux-Dachfenster GGU, 1 davon automatisch mit Motor und Funksteuerung
Wärmedämmung Dach Isofloc Zellulose-Einblasdämmung WlG 045
Dampfbremse Proclima
Gefachausmauerung Teilweise vorhandenes Bruchsteinmaterial, größtenteils Leichtlehmsteine, Lehm Mauermörtel Claytec
Putz innen Lehmputz Claytec
Innenanstrich Lehmfarbe Firma Claytec
Anstrich Balken Livos – Kaldett Holzlasur auf Leinölbasis