Reetdach für alte Scheune

Dach decken mit Reet hat Bestand, ist also langlebig und ökologisch. Beim Denkmal geschützten Reetdachhaus im niedersächsischen Scharmbeck gab es zum Abriss eine klare Alternative, denn schließlich ist das landwirtschaftlich genutzte Gebäude Ortsbild prägend und konnte saniert werden.

Manchmal müssen Entscheidungen sofort getroffen werden, denn wenn es durchregnet, ist es meistens höchste Zeit für ein neues Dach. Landwirt Hans-Hermann Behr aus Scharmbeck bei Winsen/Luhe (Niedersachsen) ereilte dieses Schicksal mit seinem alten denkmalgeschützten niedersächsischen Ständerbauernhaus aus dem Jahre 1648. Reetdachdeckermeister Uwe Behr aus Winsen/Luhe bestätigte ihm, dass ein Stopfen der betroffenen Stellen im Reet nicht mehr möglich sei; der Landwirt stand somit vor den Alternativen „altes Dach neu eindecken“ oder „Abriss mit anschließendem Neubau einer modernen Halle“.

Sanierung statt Abriss

Bereits früh in der Planungsphase stellte sich die Frage, ob die Kosten für den Fortbestand dieser landwirtschaftlichen Anlage und die Lagerfläche gerechtfertigt sind. „Sicher, es hätte Alternativen gegeben“, erklärt Hans-Hermann Behr dazu, „aber das Haus aus dem Jahre 1648 ist seit Generationen im Familienbesitz und das reißt man nicht so schnell ab.“ Behr hätte sich für dieses Geld auch eine große Stahlhalle bauen lassen können, die besser für 160 PS starke Schlepper ausgelegt ist. „Ich habe mich aber für den Erhalt entschieden, weil so der traditionelle ländliche Charakter meines Hofes und der Gemeinde unterstrichen wird.“

Hermann Behr entschied sich für den Bestand und für ein neues, lang haltbares Dach aus Reet. Das alte Reetdach war vor etwa 50 Jahren das letzte Mal grundlegend ausgebessert worden. Die Zeitangabe ist nur ungefähr, selbst die ältesten Bewohner im Dorf und die älteren Generationen des Familien- und Dachdeckerbetriebes Uwe Behr konnten sich nicht erinnern, wann das Haus zuletzt neu eingedeckt wurde.

Innerhalb von eineinhalb Monaten wurde das alte Reet abgetragen und das Dach über die gesamte Fläche von fast 800 m2 mit Reet neu eingedeckt, das alte Reet entsorgte man auf einer Deponie. Die alten Sparren wechselten die Handwerker teilweise aus, die Lattung erneuerten sie über die gesamte Dachfläche.

Erneuert wurden mussten außerdem 15 m der Fassade an der Frontseite. Dafür wurden die alten Steine der Fassade wiederverwertet, ein weiteres Plus in der Ökobilanz des alten Bauwerks.

Von der Traufe bis nach oben

Nach dem Einlegen der Traufe (über die ganze Breite) wurde das Dach fachmännisch von unten nach oben mit Reet eingedeckt. Eine Folie gegen Feuchtigkeit ist dabei nicht nötig. Markant bei der Arbeit der Reetdecker sind dabei – wie auch auf diesem Dach – die typischen Leitern der Handwerker, die auf dem Dach angelegt und bei Bedarf während der Deckarbeiten umgesetzt werden. Imposant ist die Leichtigkeit, mit der sich die Reetdecker über dem Dach bewegen. Die Reetschicht wird mit Stangendrähten, die parallel zur Dachlatte verlaufen, an das Dach herangezogen. Der Stangendraht liegt dann bei etwa 15 bis 17 cm in der Mitte der Eindeckstärke von etwa 35 bis 40 cm, wobei der Nähdraht mit einem speziellen Besteck unten um die Dachlatte herumgeführt und später mit dem Stangendraht verdrillt wird. Das Reet wird so von unten nach oben bis zum First hochgedeckt.

Zuschüsse von der Stiftung Denkmalschutz

Nach Abschluss der Dacharbeiten war das alte Reetdachhaus im November 2013 wieder in Funktion. Und Hans-Hermann Behr ist darüber glücklich und dankbar, weil sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz über das Ortskuratorium Lüneburg mit Fördergeldern in Höhe von 15 000 Euro, die Stadt Winsen/Luhe mit 7000 Euro und das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Niedersachsen (LGLN) mit einer Co-Finanzierung über 30 000 Euro an den Kosten mit einem Gesamtvolumen von 120 000 Euro beteiligt haben.

Ortsprägend für die Gemeinde

Letztendlich hat sich damit der Aufwand von der Erstellung des Nutzungskonzepts, über die erste Antragstellung bei der unteren Denkmalschutzbehörde in der Kommune und die knapp zwei Monate währende Arbeit bis zur Fertigstellung gelohnt, denn das neue Dach wird das denkmalgeschützte Gebäude über weitere Jahrzehnte schützen und es bleibt somit lang­fristig als Blickfang in der Gemeinde erhalten

Autor

Ulrich Krumstroh ist freier Journalist in der Nähe von Hamburg. Er betreut unter anderem die Hiss Reet Schilfrohr GmbH bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

„Das Haus aus dem Jahre 1648 ist seit Generationen im Familienbesitz, das reißt man nicht so schnell ab“

Mit Reet bauen

Wichtig für viele Menschen, die mit Reet bauen, ist das damit verbundene Lebensgefühl, das diese Häuser ausstrahlen. Die Bewohner erleben hautnah eine naturbezogene Bauweise, wenn der Reetdachdecker fachmännisch Bündel für Bündel erstellt und so das Dach langfristig haltbar gemacht wird, mit einer Lebensdauer über mehrere Jahrzehnte.

Aufgrund der geringen Rohdichte sorgt Reet für einen guten sommerlichen Wärmeschutz und eine gute Wärmedämmung im Winter.

Produktion

Reet wird ohne Zusätze gewonnen und verarbeitet. Wie ein guter Wein muss auch gutes Reet zum richtigen Zeitpunkt geerntet und fachgerecht aufgearbeitet werden. „Das Reet wird nach unseren Vorgaben geerntet und aufbereitet, sodass wir über Reet bester Qualität verfügen“, sagt Tom Hiss von Hiss Reet. Erst wenn das Reet ausgereift ist, seine Blätter verliert und sich die Nährstoffe aus dem Halm in die Wurzeln zurückgezogen haben, wird mit der Ernte begonnen. Vor der Aufbereitung trocknet das Reet zwei bis vier Monate auf traditionelle Art in kegelförmigen Hocken. Dabei ist auf eine gute Durchlüftung zu sorgen.

Wenn die Feuchtigkeit der Rohbunde 10 Prozent unterschreitet, wird das Reet in Handarbeit von Fremdmaterial befreit, sortiert, gebunden und verpackt. Im Idealfall wird das Reet direkt zur Baustelle geliefert. Bei einer Zwischenlagerung wird auf optimale Lager- und Transportbedingungen des Reets zum Beispiel durch atmungsaktive Reetregale und Seitenverkleidungen der Hallen aus Schilfmatten geachtet. Sie garantieren eine trockene, aber vor allem gut durchlüftete produktgerechte ­Lagerung. Das Reet für dieses Gebäude stammt aus der Türkei, die gelben Halme dieses Produktes seien besonders beliebt, heißt es bei Hiss Reet.

Bautafel (Auswahl)

Projekt Neueindeckung einer Denkmal geschützten Scheune mit Reet

Bauherr Hans-Hermann Behr, Scharmbeck/ 21423 Winsen (Luhe)

Verarbeiter Uwe Behr, Reetdachdeckerei

Hersteller Hiss Reet Schilfrohrhandel GmbH, 23843 Bad Oldesloe, www.hiss-reet.de

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