Reet für das Dach und die Fassade
Für einen Anbau an ein Haus in den Niederlanden verwendete die Eigentümerin das Naturprodukt Reet auf dem Dach und vertikal an der Hauswand. Reet ist nicht nur langlebig, sondern dämmt auch gut. Vor allen Dingen verwandelte es das Haus aber in ein außergewöhnliches Objekt.
Das Reet auf dem Dach und an der Fassade hat gleich mehrere Vorteile: Reet ist ein Naturprodukt und zählt zu den ältesten Baumaterialien überhaupt. Es hält nicht nur Regen und Feuchtigkeit ab – im Sommer hält es das Haus darüber hinaus schön kühl und im Winter sorgt es für wohlige Wärme. Der Grund hierfür ergibt sich aus der hervorragenden Dämmwirkung des Reets. Selbst bei Hinterlüftung der Fassade findet ein gemäßigter Luftaustausch statt, was wiederum bedeutet, dass die Temperatur in der Hinterlüftungsebene im Winter etwa 6 bis 8 Grad höher liegt als an der Außenseite.
Aktuelle Testergebnisse aus einem Haus des Projektes „Regionalhaus Lübecker Bucht“ der FH Lübeck (www.regionalhaus-luebeckerbucht.de) belegen diesen Aspekt. Für das hinterlüftete Reetdach ergibt sich damit auch eine gewisse Dämmfunktion, die, obwohl sie vorhanden ist, rechnerisch bei der Planung nicht einbezogen werden kann. Wenn man auf die Hinterlüftung verzichtet (in Holland verbreitete Dachtechnik), unterstützt das Reet die Dämmung.
40 Jahre Ruhe auf dem Dach und an der Fassade
Die Haltbarkeit des Materials wird durch die Dachneigung beeinflusst. „Bei 45° Mindestneigung sind 30 bis 40 Jahre Haltbarkeit zu erwarten“, sagt Ole Jedack vom Reetgroßhändler Hiss Reet in Bad Oldesloe. Wenn man dabei an die alten Windmühlen in Norddeutschland denkt, deren senkrechte mit Reet gedeckten Flächen 80 bis 90 Jahre halten, erscheinen die Garantien, die renommierte Hersteller anbieten, mehr als realistisch. Auch das Wasser birgt über die Jahre keine Gefahr für das Reet, weil es – zum Beispiel bei einem 35 cm starken Dach – nur 3 bis 5 cm in das Reet eindringt und schnell wieder abtrocknet. In das senkrecht verlegte Reet dringt das Wasser fast gar nicht ein, weil die Fassade nur dem Schlagregen ausgesetzt ist.
Reeteinbau mit klassischer Handwerkskunst
Da unter dem ausgebauten Dach des Hauses bereits eine Dämmung vorhanden war, wurde eine Lüftungsebene inklusive der Traufenlüftungssiebe eingebaut, um die Be- und Entlüftung der Hinterlüftung zu gewährleisten. Nach dem Einlegen der Traufe (über die ganze Breite) wurde dann das Dach fachmännisch von unten nach oben mit Reet eingedeckt. Reetdecker Aari Vink aus Ammerzoden, Niederlande arbeitete dabei mit seinem Team Schritt für Schritt nach den Regeln des Reethandwerks. Die Reetschicht wird dabei mit Stangendrähten, die parallel zur Dachlatte verlaufen, an das Dach herangezogen. Der Stangendraht liegt dann bei etwa 15 bis 17 cm in der Mitte der Eindeckstärke (30 cm bis 35 cm), wobei der Nähdraht mit einem speziellen Besteck unten um die Dachlatte herumgeführt und später mit dem Stangendraht verdrillt wird. Das Reet wird so von unten nach oben bis zum First hochgedeckt. Die Installation der senkrechten Reetfassadendeckung ist etwas schwieriger als die geneigte Dachdeckung, weil der Reetdachdecker sicherstellen muss, dass das Reet nicht aus der Bindung herausrutscht. Ansonsten wurde auch das Reet an der Fassade mit den klassischen Werkzeugen, wie dem Klopfbrett oder dem Nähdraht mit Besteck und den speziellen fachlichen und künstlerischen Arbeiten durch den Reetdecker montiert.
Natürliches Produkt fängt die Blicke ein
Die technischen Vorteile und vor allem der enorme Blickfang, den der mit Reet gedeckte Anbau entwickelt, lässt die überschaubaren Mehrkosten für das Reet gegenüber einer normalen Bekleidung schnell vergessen. Außerdem waren sich die Bauherren bewusst, dass es sich beim Reet um ein sehr arbeitsintensives Produkt handelt. Die Ernte und die Aufbereitung (putzen) des Reets geschieht häufig ebenso per Hand wie die Verarbeitung durch den Reetdecker. Nur der Transport verbraucht fossile Energie, etwa 80 Prozent der Wertschöpfung ist menschliche Arbeit.
Es versteht sich von selbst, dass für solche außergewöhnlichen Projekte die Reetdecker eine Beratungsfunktion gegenüber dem Bauherrn haben und ihn vor Baubeginn über die Qualität und Auswahl des Reets und die Montage beraten.
Autor
Ulrich Krumstroh arbeitet als freier Journalist und Kommunikationsberater für Unternehmen aus dem Bau- und Baunebengewerbe wie die IG Pro Reet. Ulrich Krumstroh ist Inhaber der Agentur Elbfaktor (https://elbfaktor.de/)