Entsorgen bleibt problematisch

Für viele Dachhandwerker ist es ein Problem: das Entsorgen von Polystyrol-Dämmplatten. Seit die Platten mit HBCD als Flammschutzmittel als gefährlicher Abfall gelten, nehmen sie immer weniger Entsorgungsbetriebe an. Oder sie verlangen hohe Gebühren dafür.

Update: Der Bundesrat hat eine auf ein Jahr befristete Ausnahmeregelung beschlossen. HBCD-haltiger Abfall soll erst ab dem 31.12.2017 als gefährlicher Abfall entsorgt werden.

Der regionale Abfallentsorger von Christoph Rixen, Dachdeckermeister aus Moos am Bodensee, nimmt zur Zeit gar kein Polystyrol mehr an (vor allem die Bezeichnung Styropor ist gängig). Der Grund ist, dass der Entsorger die Platten selbst nicht los wird. Seit Oktober gelten Polystyrol-Dämmplatten mit HBCD als gefährlicher Abfall. Dämmplatten, die mehr als 0,1 Prozent des Materials enthalten, müssen deshalb so entsorgt werden, dass das HBCD komplett zerstört wird, dies geht nur in zertifizierten Müllverbrennungsanlagen (MVA) unter hohen Temperaturen. Seitdem die neue Regelung in Kraft ist, lehnen es viele Entsorger und MVA, Polystyrol anzunehmen.

Ein generelles Problem ist: Müllverbrennungsanlagen nehmen sowieso nicht gerne reine Styropor-Abfälle an, weil sie einen sehr hohen Heizwert haben. Bei manchen Müllverbrennungsanlagen spricht man von „explosionsartigen Verbrennungen“, wenn reines Polystyrol verbrannt wird. Daher wurde dieser Abfall bisher immer mit großen Mengen an Bauschutt gemischt, um ihn zu verbrennen.

Polystyrol stapelt sich bei Dachdeckern

Bei Martin Lang, Geschäftsführer von Lang Bedachungen in Bielefeld, stapeln sich zur Zeit die Polystyrol-Reste im Hof. Es ist vor allem der Verschnitt von neuen Dämmplatten. Sie enthalten laut Hersteller zwar kein HBCD, aber der Entsorgungsbetrieb des Dachdeckers nimmt den Verschnitt trotzdem nicht mit. Martin Lang lässt seine Polystyrolplatten von der Firma Habigtsberg aus Bielefeld entsorgen. „Die Entsorger können uns keine Preise nennen, wie viel wir pro Sack oder pro Tonne Polystyrol zahlen müssen“, sagt Lang, „und um nachzuweisen, dass der Polystyrol-Verschnitt kein HBCD enthält, müsste ich jeden Sack analysieren lassen. Das würde 300 Euro pro Sack kosten!“

Lang fordert, dass die Hersteller neue Polystyrolplatten eindeutig als HBCD-frei kennzeichnen. Das tun manche Hersteller bereits. Die Firma Sto fügt manchen ihrer Dämmplatten gelbe Punkte zu. So ist erkennbar, dass die Platten kein HBCD mehr enthalten. Martin Lang wünscht sich außerdem, dass die Hersteller von Polystyroldämmplatten ihre alten Platten zurück nehmen. „Es gibt Alternativen zu Polystyrol. Steinwollplatten zum Beispiel, aber Polystyrol ist einfach das günstigste und am meisten verwendete Material für Flachdächer und Fassaden. Wenn das wegfallen würde, dann wird es für Bauherren teurer“, sagt Lang. Er hofft, dass sich das Problem in den kommenden Wochen erledigt. Sonst könne er keine vernünftigen Angebote für den Rückbau von alten Polystyrol-Dämmplatten auf Dächern mehr machen. „Für uns ist das nicht so schlimm, weil wir nicht nur am Flachdach arbeiten“, sagt Lang, „aber für einen reinen Flachdachbetrieb kann das schon mal zum Problem werden.“

Ortswechsel, Münster/Westfalen: Dachdeckermeister Raimund Koch von Kornmüller Bedachungen sagt: „Ich habe bei den Entsorgungsbetrieben in Münster nachgefragt: Der Preis für das Entsorgen von Polystyrol lag im Sommer noch bei 139 Euro pro Tonne. Jetzt ist er auf 5000 Euro pro Tonne gestiegen! Die Kosten muss ich einrechnen, wenn ich einen Auftrag für einen Flachdachabbruch kalkuliere!“

Um auf der sicheren Seite zu sein, empfiehlt es sich für Handwerker, die Produktdatenblätter von solchen Dämmstoffen aufzubewahren. Dort steht, ob HBCD enthalten ist oder nicht. Denn die Industrie hat auf das Gesetz, HBCD-freie Dämmstoffe zu produzieren unterschiedlich schnell reagiert. Die Mitglieder des Industrieverbands Hartschaum produzieren laut eigenen Angaben seit Ende 2014 ausschließlich EPS mit dem Flammschutzmittel Polymer-FR. Zum IVH gehören große Dämmstoffhersteller wie die Bachl Dämmtechnik GmbH, die IsoBouw GmbH, die Joma GmbH,  die Saint-Gobain-Rigips GmbH und die Swisspor AG,. Allerdings längst nicht alle Dämmstoffhersteller.
Was also tun? Nachdem am 1. Oktober das Gesetz in Kraft trat und kurz danach Entsorgungsprobleme auftraten, reagierten die Umweltministerien der Länder noch im Oktober mit Erlassen. In Nordrhein-Westfalen (NRW) sollte ein solcher Erlass Entschärfung für die Entsorgung von HBCD-haltigen Materialen bringen. 12 von 16 Müllverbrennungsanlagen würden ohnehin die Zulassung zur Verbrennung von HBCD haben, ist zu lesen. Eine weitere Anlage hat kurzfristig die Zulassung erhalten. Die Betreiber der restlichen Müllverbrennungsanlagen hätten nun allerdings die Bereitschaft gezeigt, die Dämmmaterialien in Reinform (Monochargen) von Handwerksbetrieben aus der Region bis zu einer Menge von maximal zwei Tonnen übergangsweise bevorzugt direkt anzunehmen. Allerdings nur bei Direktanlieferung.

Es kommt auf die Mischung an

Laut NRW-Umweltministerium darf HBCD-haltiges Dämmmaterial weiterhin als Baumischabfall entsorgt werden. Baumischabfälle mit einem Anteil von weniger als 25 Prozent HBCD-haltiger Dämmmaterialien pro Tonne dürfen in NRW als gemischter Bauabfall entsorgt werden. Es muss sich bei dem Bauabfall um Abfall von derselben Baustelle wie das Polystyrol handeln. Per Sichtkontrolle an der Abfallannahme soll überprüft werden, ob in einem Lkw-Container nun 20 oder 30 Prozent Polystyrolplatten liegen.

Ähnlich beschreibt es das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz: Alle Müllverbrennungsanlagen seien in der Lage, HBCD-haltige Abfälle zu verbrennen. In Baden-Württemberg verweist das Ministerium darauf, dass MVA gemischte Bauabfälle mit weniger als 0,5 m³ Polystyrol annehmen dürften. In Niedersachsen dürfen 20 Prozent Polystyrolplatten im Bauabfall enthalten sein, damit die MVA ihn entsorgen kann. In Sachsen-Anhalt kam das Landesverwaltungsamt schon Ende September auf die Idee, Polystyrolplatten mit anderem Abfall zu mischen, um die Menge an HBCD im Gesamtabfall gering zu halten.

 Aber wie machen es die Müllverbrennungsanlagen in der Praxis? In der Müllverbrennungsanlage Würzburg etwa werden keine Polystyrolplatten mehr angenommen. Der Grund ist, dass die Polystyrolplatten erst auf ihren HBCD-Gehalt untersucht werden müssten. Das koste Zeit und Geld.

Auch in der Energie Anlage Bernburg (Saale) in Sachsen-Anhalt werden Lkw abgewiesen, in denen Bauschutt und Polystyrol-Dämmplatten gemischt sind. Und das, obwohl die Anlage die Zulassung hat, gemischte Bauabfälle mit HBCD-haltigen Dämmstoffen anzunehmen. Olaf Totzke, Teamleiter Ver- und Entsorgung der Anlage in Bernburg, sagt: „Früher haben wir Polystyrol nur in kleinem Umfang angenommen, heute nehmen wir es gar nicht mehr an. Denn wie soll ich bei einem 90 m³ Lkw mit Bauschutt mit bloßem Auge erkennen, wie viel Prozent Polystyrol-Dämmplatten da drin sind?“

Fazit: Im Zweifel Auftrag ablehnen

Die Situation ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Handwerksbetriebe sollten sich beim Entsorger vor Ort erkundigen, bevor sie Dämmplatten aus Polystyrol anliefern. Und im Zweifel sollte der Auftrag, Dämmplatten aus Polystyrol rückzubauen, abgelehnt werden. So wie bei Dachdeckermeister Christoph Rixen. Nachdem im Oktober das neue HBCD-Gesetz in Kraft getreten ist, hat er einen Auftrag zum Rückbau von Dämmstoffplatten auf einem Flachdach ablehen müssen. „Ich habe genug Probleme, die Polystyrolplatten zu entsorgen, die ich noch im Betrieb habe“, sagt er.

Autoren
Stephan Thomas ist Volontär in der Redaktion der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau. Rüdiger Sinn ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift dach+holzbau.

„Am besten wäre es, wenn die Hersteller Polystyrol-Platten zurück nehmen und entsorgen würden!“

Warum ist HBCD-haltiges Material verboten?

HBCD steht für HexaBromCycloDodecan, eine Chemikalie, die bis 2013 in der Regel als Flammschutzmittel eingesetzt wurde. In der Regel hat man Dämmplatten aus Polystyrol – auch bekannt unter dem Namen Styropor – damit behandelt, um die Entflammbarkeit zu minimieren.

Die europäische Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POP-Verordnung) schreibt seit dem 1. Oktober vor, dass Abfälle die den Stoff HBCD mit einer Konzentration ab 0,1 Prozent enthalten, so beseitigt oder verwertet werden müssen, dass das HBCD zerstört oder umgewandelt wird. Dieses europäische Recht ist im März 2016 in nationales Recht umgesetzt worden.

HBCD ist bei normalen Temperaturen fest und nur sehr wenig wasserlöslich. Es hat laut der Interessengemeinschaft Thermischer Abfallbehandlungsgesellschaften in Deutschland e.V. (ITAD) für die Umwelt und für die menschliche Gesundheit negative Eigenschaften:

es ist giftig, vor allem für Gewässerorganismen
es ist langlebig, wird also in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut
HBCD ist bioakkumulierend, das heißt, es reichert sich in Lebewesen an
HBCD wurde außerdem in Fischen und Tieren in arktischen Regionen weit entfernt von der menschlichen Zivilisation gefunden

Entsorgungsproblem HBCD - was ist Ihre Meinung?

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