Urban, mehrgeschossig und energieautark
Fünfgeschosser in Bonn ist eines der höchsten Holzbauwerke in NRWIn Bonn beschreitet ein Studentenwohnheim mit fünf Geschossen neue Wege. Das Bauvorhaben in Holz-Betonbauweise setzt durch sein Gesamtkonzept spannende Akzente und bereichert die Diskussion um die Entwicklung des Holzbaus. Das Pilotprojekt erforderte jedoch viel Zeit, Geld und Nerven.
Eigentlich sollte die Novellierung der Landesbauordnung (LBO) in NRW schon Ende 2017 in Kraft treten. Doch die 2017 neu gewählte, schwarz-gelbe Landesregierung verzögerte die seit Jahren überfällige Modernisierung des Bauregelwerks um ein Jahr. Nun soll die neue Landesbauordnung in NRW erst ab Januar 2019 gelten, dadurch wird der Einsatz von Holz in den tragenden Konstruktionen von Gebäuden in NRW auch in den Gebäudeklassen 4 und 5 ermöglicht. Bis Ende 2018 bleibt aber noch die veraltete, bisherige BauO NRW 2000 in wesentlichen Teilen gültig. Sie besagt, dass Gebäude in bis zu einer Höhe von drei Geschossen in Holzbauweise gebaut werden dürfen.
Die Bauherren, Architekten, Zimmerer und Holzbauingenieure eines Studentenwohnheims in Bonn wollten aber nicht auf die neue Landesbauordnung warten. Sie wählten den Weg der Einzelfallgenehmigung nach altem Baurecht für das fünf Geschosse hohe Haus. Dessen Decken, Tragwerk, Fassade und das Dach sind mit Holz gebaut. Der Weg der Einzelfallgenehmigung sollte immens viel Zeit, Geld und Nerven kosten. Gerade deshalb ist das Ergebnis ein Pilotprojekt, dass der zukünftig geltenden LBO in NRW vorgreift.
Mangel an bezahlbaren Studentenwohnungen
Die Wohnraumsituation in den deutschen Universitätsstädten (zumindest in den westlichen Bundesländern)ist bisweilen katastrophal. Die ohnehin hohe Zahl an Studenten ist unter anderem durch das Abitur nach der zwölften Klasse (G8) und den Wegfall der Wehrpflicht vor einigen Jahren nochmal gestiegen. Neben wohnungssuchenden Studenten verschärfen Auszubildende, Berufseinsteiger und eine steigende Anzahl an Singles die angespannte Lage. Mit der Folge, dass in vielen Universitätsstädten in Deutschland der Standardpreis von WG-Zimmern und Appartements von 20-30 m² Größe inzwischen schon 500-600 Euro Kaltmiete und mehr beträgt. Die durchschnittliche Miete für ein WG-Zimmer in München – der teuersten Unistadt Deutschlands – kostet nach Recherchen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ 600 Euro.
Das Bonner Studentenwohnheim beschreitet hier mit
28 Einzelwohnungen á 25 m² und vier Dachgeschosswohnungen á 45 m² Wohnfläche einen sozialeren Weg.
Miete ohne Nebenkostenabrechnung
Neben der zentralen Lage mit fuß- und radläufiger Nähe zu den universitären Instituten, dem Hauptbahnhof und der Innenstadt hat das fünfgeschossige Studentenwohnheim eine hochwertige Ausstattung. Dazu zählen eine Fußbodenheizung unter Eichenparkett, eine fertig eingerichtete Kleinküchenzeile, ein modernes Bad sowie bodentiefe Holz-Aluminium-Fenster mit 3-facher Wärmeschutzverglasung und außenliegenden, sensorgesteuerten Raffstores sowie vier Dachterrassen. Der auf den ersten Blick stolze Mietpreis von 540 Euro (= 21,60 Euro/m²) je Appartement beinhaltet die Versorgung mit Heizenergie, Warm-, Frisch- und Abwasser sowie einen Anschluss für schnelles Internet. Bei dem im Mietpreis enthaltenen Strompaket von 750 kW/h pro Jahr je Appartement entstehen erst bei dessen Überschreitung Zusatzkosten. Dabei werden die Nutzer regelmäßig via Smartphone über ihre Verbräuche informiert und können gegensteuern. So entfallen aufwendige Nebenkostenabrechnungen ebenso wie unangenehme Überraschungen am Jahresende, was Kosten und Ärger bei Mietern und Vermietern spart. Kostensenkend wirkt sich auch die im Garten eingelassene, 15 000 Liter fassende Zisterne aus: Sie sammelt Regenwasser, mit dem die Toilettenspülungen betrieben werden.
Unterzüge aus Buchefurnierschichtholz
Der fünfgeschossige Holzbau steht auf einem Kellergeschoss aus Stahlbeton, in dem die gesamte Haustechnik sowie diverse Abstellräume für die Bewohner untergebracht sind. Der Erschließungskern mit Treppenhaus und Aufzugsschacht besteht aus Gründen der Statik und des Brandschutzes ebenfalls aus Stahlbeton. Die rohe Materialität der Oberflächen wurde hier unbekleidet gelassen, was Arbeit und Kosten gespart hat. Der Erschließungskern aus Beton steift die Konstruktion aus und trägt die horizontalen Lasten des Holzbaus in die Fundamente ab. Darüber hinaus übernimmt er gemeinsam mit dem Holzskelett-Tragwerk auch den vertikalen Lastabtrag.
Die Holzbeton-Verbunddecken des Gebäudes liegen auf Trägern aus Buchefurnierschichtholz, die wiederum auf BSH-Stützen aufliegen. Aufgrund der hohen Lasten des fünf Geschosse hohen Gebäudes führte man die tragenden Randunterzüge in den Außenwänden ebenfalls aus Buchefurnierschichtholz aus. Diese Unterzüge haben bei schlanken Maßen eine höhere Tragfähigkeit als Träger aus Nadelholz.
Holzstegträger für die Fassade
Die Gebäudehülle besteht im Kern aus einem 36 cm tiefen KVH-Ständerwerk, ökologisch gedämmt mit eingeblasener Zellulose. Gemäß der Passivhausphilosophie platzierten die Zimmerer von Holzbau Kappler im Abstand von 62,5 cm jeweils einen selbst aufgebauten Stegträger senkrecht in den Außenwandaufbau. Hierbei setzte man auf die schlanken KVH-Stege von 6 cm seitlich eine OSB-Platte von 15 mm Dicke. Diese relativ leichten Bauteile sollen aufgrund der geringen Maße und damit geringer Angriffsflächen Wärmebrücken in der Gebäudehülle vermeiden. Zudem dichtete man sämtliche Durchdringungen und Übergänge mit Folienlappen und Klebebändern ab. Der KVH-Rahmen ist innenseitig von miteinander an den Stößen verklebten, 15 mm dicken OSB-Platten beplankt, die zugleich als Dampfsperre fungieren, abgeschlossen von 18 mm Gipsfaserplatten. Außenseitig sorgen zwei Schichten 15 mm dicke Gipsfaserplatten als K260 Kapselung für die Brandschutzklasse F90-B. Darauf hat man eine witterungsbeständige, diffusionsoffene Fassadenfolie aufgebracht. Auf der Folie ist eine 3 cm tiefe Konter- und Traglattung befestigt, die als Hinterlüftungs- und Montageebene der abschließenden Vorhangfassade dient. Die Fassade besteht aus zementgebundenen, 10 mm dünnen und mit einer Silikatfarbe gestrichenen Spanplatten, von denen man sich eine lange Nutzungsdauer und hohe Witterungsbeständigkeit erhofft.
Brandwände zu Nachbarhäusern
Das Studentenwohnheim, auf dem Grundstück eines abrissreifen Altgebäudes errichtet, fügt sich nahtlos in die geschlossene Gebäudezeile des zentrumsnahen Stadtviertels ein. Bedingt durch die unterschiedlichen Situationen der Nachbargebäude erhielten die seitlichen Außenwände verschiedene Konstruktionen. Links fügt sich das Wohnheim direkt an ein Bestandsgebäude an, rechts nur teilweise. So wurde die rechte Seite, der eine massive, 10 cm dicke BSP-Konstruktion mit einer mineralischen Dämmung von 24 cm zu Grunde liegt, als Brandersatzwand ausgeführt. Die linke, durchweg geschlossene Seite des Nachbarhauses erhielt eine Betonwand von 20 cm mit nur 4 cm Mineralwolldämmung.
Holz-Beton-Verbunddecken
Die Holz-Beton-Verbunddecken basieren auf 10 cm dicken, vorgefertigten Brettstapelelementen, nach unten ausgeführt in Sichtqualität. Darauf goss man obenauf eine Ortbetonlage von 14 cm. Daran schließt sich eine Trittschalldämmung von 3 cm dicken Mineralfasermatten an, gefolgt von einem 7 cm dicken Estrich mit integrierter Fußbodenheizung und finalem 10 mm Eichenparkettboden. Die Holzständer-Innenwände weisen einen symmetrischen Aufbau auf. Zwei mineralisch gedämmte Riegelkonstruktionen von 8 cm werden mittig durch eine ebenfalls mineralisch gedämmte Schallschutzfuge von 2 cm getrennt.
Den Abschluss der Innenwände bilden beiderseitig doppelte Beplankungen mit Gipsfaserplatten von 2 x 18 mm. Das abschließende Flachdach mit einer Neigung von 1,7 Grad basiert auf einer mit Zellulose gedämmten Balkenkonstruktion mit 40 cm hohen TJI-Trägern, die aus zwei verschiedenen Holzwerkstoffen zu einem Binder verleimt wurden. Nach unten sind die Träger mit einer Dampfbremsfolie, einer Lattung und Gipsfaserplatten als Deckenabhängung versehen. Von oben sind die Träger mit einer 24 mm dicken Rauspund-Schalung beplankt. Die Schalung ist mit einlagigen, diffusionsoffenen „Wolfin“-PVC-Dachbahnen abgedichtet.
Mieterstromkonzept
Die Gebäudetechnik basiert auf einer geothermischen Lösung mit 5 Erdsonden in etwa 40 m Tiefe mit der berechneten Maximalleistung von 9 kW. Eine Sole-Wasser-Wärmepumpe komprimiert die Erdwärme und liefert die Energie für den Heizungsbetrieb. Aufgrund der kompakten, hochgedämmten Passivhaus-Gebäudehülle kann die Fußbodenheizung über einen Pufferspeicher von 1000 l mit einer Vorlauftemperatur von gerade mal 23-25 Grad Celsius angefahren werden. „Das Konzept setzt auf eine qualitativ hochwertige Gebäudehülle und intelligente Gebäudetechnik“ sagt Architekt Kay Künzel, „die Betriebskosten sind transparent und gleichbleibend.“ Der Bedarf an Warmwasser wird über Einzelraum-Durchlauferhitzer sichergestellt, da deren Energieverbrauch über das Strompaket der Micro-Appartements exakt abgeglichen werden kann.
Das energiesparsame Versorgungsmosaik wird komplettiert von einer zentralen Lüftungsanlage mit rund 80 Prozent Wärmerückgewinnung. Den Strom für den Betrieb des Gebäudes wie auch für die Studenten in ihren Zimmern liefert eine PV-Anlage auf dem Dach mit 29,7 kW Peak installierter Leistung und einem Jahresgesamtertrag von etwa 28 000 kW/h. Dieser wird nicht in das öffentliche Netz eingespeist und rückvergütet, sondern direkt an Ort und Stelle genutzt. Die Stromversorgung über Nacht stellen fünf Lithium-Ionen-Akkus mit einem Gesamtspeichervolumen von 40 kWh sicher.
E-Car-Sharing versus PKW-Stellplätze
Im Gebäude wurde weitestgehend auf normale Schalter verzichtet – die Steuerung erfolgt über Smartphones. Obwohl Studentenwohnheime generell mit einem niedrigeren Stellplatzschlüssel als normale Wohngebäude versehen sind, sollten ursprünglich zwölf Stellplätze geschaffen werden. Da aber junge Leute in Ballungsräumen aus Umwelt- und Kostengründen ohnehin vermehrt auf eigene PKW verzichten, fand man einen zeitgemäßen Kompromiss. Errichtet werden mussten nur noch fünf Stellplätze, die um ein außergewöhnliches Pilotprojekt erweitert wurden: Zwei zum Wohnheim gehörende E-Car-Sharing-Autos, die von den Studenten gemeinschaftlich und entgeltlich genutzt und an der hauseigenen Solartankstelle geladen werden können. Insgesamt versorgt sich das Studentenwohnheim in Bonn emissionsfrei selbst mit Heizenergie, Warmwasser und Strom. Vorausgesetzt, dass die eingebaute, komplexe Haustechnik sich im Dauerbetrieb als robust und wartungsarm erweist, werden die Versorgungskosten auch in Zukunft stabil bleiben.
AutorMarc Wilhelm Lennartz ist Fachjournalist, Referent & Buchautor
Die Gebäudehülle besteht aus einem Holzständerwerk, gedämmt mit Zelluloseeinblasdämmung
Bautafel (Auswahl)
Projekt Studentenwohnheim mit fünf Geschossen in Holz-Beton-Hybridbauweise, Karl-Frowein-Straße, 53115 Bonn
Bauherr Projekt 42! Hucho Künzel GbR,
Bauzeit 2016-2017
Architektur/Bauphysik/Haustechnikplanung/Gebäudeautomation/Konzept Raum für Architektur Kay Künzel + Partner, 53343 Wachtberg-Villip,
Holzbau (Werkplanung + Montage) Holzbau Kappler GmbH & Co. KG, 56412 Gackenbach-Dies,
Holzbau (Statik + Konstruktion) Pirmin Jung Ingenieure, 53489 Sinzig,
Vorfertigung Brettstapel-Deckenelemente Inholz GmbH, 68169 Mannheim, www.brettstapel.de
Brandschutzkonzept Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG, 38518 Gifhorn, www.kd-brandschutz.de
Geothermie Ehlen GmbH Erdwärme- und Brunnenbohrungen, 54578 Wiesbaum,
Baudaten (Auswahl)
Flächen + Maße
BGF (Bruttogrundfläche): 1624 m²
BRI (Bruttorauminhalt): 4852 m³
Nutzfläche/Wohnfläche: 1215 m²
Höhe: 14,95 m
U-Werte
Außenwände Umittel = 0,117 W/m²K
Dach Umittel = 0,093 W/m²K
Baukosten gesamt inklusive Grundstück (brutto) 3,46 Mio. Euro