Integration durch Ausbildung
Viele Flüchtlinge möchten in Deutschland arbeiten. Eine Ausbildung im Handwerk bietet langfristige Perspektiven und mehr Einkommen als ein Gelegenheitsjob. Dafür müssen aber Grundlagen geschaffen und der Aufenthaltsstatus geklärt werden. Wir zeigen Beispiele, wie das gehen kann.
An einem späten Vormittag in Köln-Ossendorf: 20 freundlich-aufmerksame Schüler aus Syrien, Irak, Algerien, Burkina Faso, Guinea und Afghanistan sitzen in einer Berufsschulklasse. Alle haben ein gemeinsames Ziel: Einen Ausbildungsplatz in Köln und Umgebung zu bekommen. Dafür fahren sie jeden Morgen ins Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer zu Köln. Hier gibt es Werkstätten für Dachdecker, Zimmerer, Tischler, Elektroniker, Maler und sogar Küchen für angehende Konditoren. Normalerweise machen Azubis hier ihre überbetriebliche Ausbildung und Gesellen ihre Meisterkurse. Seit September 2015 kommen hier aber auch junge Männer in einer „Flüchtlingsklasse“ zusammen, um gemeinsam zu lernen.
Die Flüchtlinge lernen Fachbegriffe
„Deutsch lernen ist sehr wichtig“, sagt Elektronikausbilder Yildim Dogan, „denn auf der Baustelle herrscht ein rauer Ton und da muss man verstehen, um was es geht.“ Die Flüchtlinge lernen fachspezifisches Deutsch, sie sollen wissen, was eine Crimpzange, eine Laubsäge oder ein Winkelschleifer ist. Damit die jungen Männer das aber nicht nur theoretisch lernen, sondern auch praktisch, gehen sie nachmittags zusammen mit einem Ausbilder in eine der Werkstätten. „Sie können wählen zwischen Bau, Metall, Elektronik und Holzverarbeitung“, erklärt Richard Draga, stellvertretender Leiter des Berufsbildungszentrums. Die Voraussetzungen, die jeder mitbringt, sind sehr unterschiedlich. Ahmad al Zadeh aus Afghanistan spricht schon sehr gut Deutsch und sagt, er habe in Stockholm zwei Jahre als Dachdecker gearbeitet. Mit wachen Augen und einem Lächeln auf den Lippen sitzt er im Unterricht und erkundigt sich bei der Lehrerin, wie man Dachdeckermeister wird und was man als Meister verdient.
Regelmäßige Besuche in den Betrieben
Damit es mit dem Übergang in einen Betrieb auch klappt, besuchen die jungen Männer regelmäßig ausbildende Handwerksbetriebe in Köln. „Wir waren schon beim Autohaus Fleischhauer, da werden Kfz-Mechatroniker und Fahrzeuglackierer ausgebildet, und bei einer Installateursfirma in Köln-Kalk“, erzählt einer von ihnen. Geplant sind noch mehr Besuche, um Kontakte zu knüpfen. „Ziel ist, dass die Jungs eine Ausbildung bestehen und nicht nur einen Ausbildungsplatz bekommen. Daher versuche ich ihnen auch Werte beizubringen wie Pünktlichkeit und Verlässlichkeit“, sagt Yildim Dogan.
Die Säge macht die Arbeit
In der Zimmereiwerkstatt des Berufsbildungszentrums lernen die jungen Männer erst einmal, wie man richtig sägt. „Ziehen, nicht drücken, die Säge macht die Arbeit“, erklärt der Zimmermann in ruhigem Ton. Die Begeisterung merkt man den jungen Männern an. Medane Juba, 21, aus Algerien, zeigt auf eine Säge die auf der Werkbank liegt: „Guck mal, das ist eine japanische Säge!“ In der Werkstatt wird viel gelacht, aber dennoch sind alle aufmerksam. „Ich habe ein Ziel, und dafür würde ich auch um vier Uhr morgens aufstehen“, sagt Juba in etwas gebrochenem Deutsch.
Firmen sind auf der Suche nach Mitarbeitern
„Viele Flüchtlinge wollen arbeiten, wenige sind aber qualifiziert und haben eine Ausbildung. Dass eine Ausbildung mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ein höheres Einkommen bedeutet, dafür werben wir gezielt“, erklärt Paul Ebsen, Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit. Schon seit September letzten Jahres bieten große Firmen wie Siemens, Daimler und die Deutsche Post Praktika für Flüchtlinge an. „Oft kommen die Arbeitgeber in die Erstaufnahmelager und möchten die geeigneten Leute am liebsten gleich mitnehmen“, sagt Ebsen.
Afghanischer Azubi lernt Dachdeckerberuf
Von Köln geht es nach Bayern. Elisabeth Walcher von der Dachdeckerei Knodel in Germering bei München hat bereits einen jungen Flüchtling als Azubi eingestellt. „Er ist 19 Jahre alt, kommt aus Afghanistan und hat schon in seinem Heimatland im Schreinerhandwerk gearbeitet. Ein klassischer Handwerkertyp“, sagt die Personalchefin des Dachdeckerbetriebs. Auf der Baustelle arbeite der junge Mann gut, erzählt sie. „Nur in der Berufsschule sind wir im Moment nicht sicher, ob seine Deutschkenntnisse reichen. Wir hoffen trotzdem, dass er die Ausbildung durchzieht“, sagt Walcher. Für die Dauer der Ausbildung wohnt er in einer betreuten WG und hat eine Aufenthaltserlaubnis, das macht es für den Arbeitgeber einfacher. „Anerkannte Asylbewerber einzustellen ist für den Arbeitgeber weniger aufwendig als Praktikanten oder Azubis zu beschäftigen, deren Aufenthaltsstatus noch nicht geklärt ist“, erklärt Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit.
Trotz Ausbildung ist Abschiebung möglich
Das musste auch Jutta Spindler von der Dachdeckerei Spindler aus Ingolstadt schmerzhaft erfahren. Sie hat schon zwei Mal Flüchtlinge als Azubis eingestellt und musste jedes Mal darum kämpfen, sie auch zu behalten. „Der bürokratische Aufwand war sehr hoch“, sagt Spindler. Bereits im zweiten Lehrjahr lernt bei ihr der 38 Jahre alte Khan Wali Jamal Khel aus Afghanistan den Dachdeckerberuf. „Auf der Baustelle macht er gute Arbeit und von der Berufsschule hören wir auch nur Gutes“, sagt Spindler. „Nur mit den schriftlichen Prüfungen hat er etwas Probleme.“ Ein ehrenamtlicher Helfer, der von der Stadt vermittelt wurde, unterstützt ihn aber durch Deutschnachhilfe. Es ist der erste Flüchtling, den die Dachdecker als Azubi aufgenommen haben. „Unser zweiter Kandidat war ein junger Mann aus Ghana. Er hat aufgrund seiner Ausbildung eine Arbeitserlaubnis bekommen. Allerdings war die auf drei Monate befristet. Nach Ablauf dieser drei Monate wurde die Gesetzeslage verschärft, Flüchtlinge aus so genannten sicheren Herkunftsländern sollten abgeschreckt werden. Diese Verschärfung hat unseren Azubi leider getroffen, und seine Arbeitserlaubnis wurde nicht verlängert“, so Spindler.
Einstiegsqualifikation vor der Ausbildung
Dachdeckermeister Michael Zimmermann weiß ebenfalls nicht, ob seine Auszubildende für drei Jahre bleiben darf. Der Zimmermann aus Ockenheim bei Mainz hat die 20jährige Mariam eingestellt, die im vergangenen Jahr aus Georgien geflohen ist. „Im Moment hat sie noch eine Aufenthaltserlaubnis, wie das im nächsten Jahr aussieht, weiß ich aber noch nicht. Das ist im Moment alles in der Schwebe“, sagt Zimmermann. Seit dem ersten Februar macht Mariam eine Einstiegsqualifikation, die im August dieses Jahres in eine Ausbildung übergehen soll. Diese vorbereitende Maßnahme hat er bei der Agentur für Arbeit beantragt. Dadurch ist Mariam schon fest angestellt, bezieht Gehalt, besucht die Berufsschule und kann sogar ihre anschließende Ausbildung um sechs Monate verkürzen. Die Arbeitsagentur bezahlt ihr einen Lohn von 216 Euro monatlich. Somit ist Mariam auf gutem Wege, die Ausbildung ab Herbst zu machen.
Ungeklärter Aufenthaltsstatus bringt Unsicherheit
Richard Draga vom Berufsbildungszentrum in Köln hat sich viel mit dem Thema Aufenthaltserlaubnis auseinandergesetzt und musste für seine Schüler oft Behördengänge erledigen. „Ich bin zufrieden mit unserer Flüchtlingsklasse“, sagt er, „und ich würde gerne nochmal so ein Projekt machen. Aber dann gerne mit jungen Männern, deren Aufenthaltsstatus schon geklärt ist.“ Denn jetzt hat jeder der 20 Schüler einen anderen Status. Mwaffak Abboush aus Syrien zum Beispiel hat eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, Gafour Bila aus Burkina Faso hat nur eine Duldung, sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Er lebt in ständiger Unsicherheit, kann jederzeit abgeschoben werden. Umso mehr kämpft Gafour dafür, eine Ausbildung zu bekommen um vielleicht doch bleiben zu dürfen.
„Ich habe ein Ziel und dafür würde ich auch um vier Uhr morgens aufstehen“
Er lebt in ständiger Unsicherheit, kann jederzeit abgeschoben werden.
Informationen zur Ausbilddung von Flüchtlingen
Auf der Website der Bundesagentur für Arbeit gibt es eine eigene Themenseite für Flüchtlinge, die in Deutschland arbeiten möchten. Wichtig für die Aufnahme einer Arbeit ist, dass der Aufenthaltsstatus geklärt ist. Asylbewerber müssen generell drei Monate in Deutschland sein, bis sie eine Arbeit aufnehmen dürfen oder ein Praktikum machen können. Alle wichtigen Infos für Arbeitgeber, die Flüchtlinge beschäftigen möchten, gibt es in der Broschüre „Potentiale nutzen“ auf der Website der Agentur für Arbeit zum Download. www.arbeitsagentur.de