Einfamilien-Passivhaus aus gestapelten Holzmodulen in Bad Ragaz

Im Ortskern von Bad Ragaz zieht ein turmartiges Einfamilien-Passivhaus aus Holz die Blicke auf sich. Das Haus wurde in Holzmassivbauweise erstellt und überwiegend aus vorgefertigten Modulen zusammengesetzt. Selbst der Fahrstuhlschacht besteht aus Brettsperrolz-Elementen.

Ein Holzturm im Dorfkern – das fällt auf! Mitten im schweizerischen Bad Ragaz baute der Architekt Robert Marte (MARTE Architektur) gemeinsam mit dem Holzbau-Unternehmen Holz Untersander GmbH und sehr innovativen Bauherren ein aus Holzmodulen gestapeltes Einfamilien-Passivhaus. Dabei wurden die Module nicht einfach nur aufeinander-, sondern auch um ein Halbgeschoss zueinander versetzt angeordnet. Auf diese Weise konnten die Verkehrsflächen deutlich minimiert werden und der gesamte Grundriss erfährt immer wieder neue spannende Momente. Die gesamte Grundrissorganisation ist zudem so angeordnet, dass sich Küche, Essen und Wohnen im Dachgeschoss befinden, während die Individualräume in den darunter liegenden Geschossen sind. Auch aus diesem Grund wünschten sich die Bauherren einen kleinen Aufzug, der auch langfristig die Nutzbarkeit des Hauses sichern soll. Denn Nachhaltigkeit war in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Aspekt bei der Planung. So fiel bei der Grundkonstruktion des Hauses relativ schnell die Wahl auf das nachwachsende Baumaterial Holz.

Für ein Massivholzsystem sprach zudem, dass die Oberflächen in Sichtoptik gewünscht wurden. Außerdem ließen sich so sowohl die vorgefertigten vier Modulboxen im vorderen Bereich des Hauses als auch die Wände und Decken der hinteren Haushälfte mit ihren unterschiedlichen Erkern, Auskragungen und Öffnungen sehr gut vorfertigen und die Montagezeit entsprechend verkürzen.

Logistik – Anlieferung mit Polizeibegleitung

„Etwas unverhältnismäßig war bei diesem Projekt, dass tatsächlich eine Polizeibegleitung für den Transport veranlasst werden musste“, sagt Hans Untersander schmunzelnd, dessen Holzbaufirma das Projekt durchgeführt hat. „Wir haben eben nicht nur Wand- und Deckenelemente, sondern auch die vorgefertigten Modulboxen auf die Baustelle geliefert.“ Mit einer Modulbreite von 3,60 m mussten daher Straßenabschnitte im Dorfkern teilweise kurzzeitig komplett gesperrt werden.

Hoher Vorfertigungsgrad

Für die Boxen waren die einzelnen Elemente (Wände, Boden und Decke) vom Massivholzhersteller KLH nach den Plänen des Holzbauunternehmens mit allen erforderlichen Öffnungen, Durchlässen und Fräsungen gefertigt und von der Zimmerei zu einem Modul zusammengebaut worden. Sogar die Elektrik wurde beim Bau der Module durch Leerrohre vorbereitet. Die Boxen wurden statisch so dimensioniert, dass jeweils die Böden mit einer Dicke von 11,7 cm für die Verkehrslasten ausgelegt sind, während die Decken lediglich sich selbst tragen müssen und entsprechend dünner (6 cm) dimensioniert werden konnten. Ein zwischen dem oberen und unteren Modul eingeplanter Zwischenraum wurde bei der Montage mit einer Hohlraumdämmung gefüllt, bevor die nächste Box aufgesetzt wurde. Auf diese Weise war für einen hinreichenden Schallschutz innerhalb des Hauses gesorgt.

Grundrissorganisation und Fassadenbild

Wesentlicher Ansatz des Entwurfs war die Idee der Splitlevel-Bauweise, um damit die verschiedenen Ebenen platzsparend miteinander zu verbinden, zudem die umgekehrte Grundrissorganisation mit dem Wohnbereich oben und den Individualräumen im unteren Teil des Hauses. So befindet sich im Erdgeschoss der Zugang zum Hobbyraum (Modulbox 1) und nach dem ersten Halbpodest der Treppe das Kinderzimmer Nummer eins (Box 2). Auf dieser Ebene liegt auch ein Duschbad mit separatem WC. Über die nächste halbe Treppe erreicht man das zweite Kinderzimmer (Box 3) und nochmals um ein halbes Geschoss versetzt das Elternschlafzimmer (Box 4) mit einem Vollbad auf dem gleichen Stockwerk. Die Badewanne wurde dabei in einem Erker angeordnet, so dass sich von hier wunderbar der Ausblick genießen lässt. Über einen weiteren Treppenlauf gelangt man in das großzügige Wohnzimmer. Nochmals versetzt, wie auf einer Galerie, liegt die Küche mit großem Essbereich und der Dachterrasse. Dieser Bereich wirkt durch den darüberliegenden Luftraum besonders großzügig. Von hier führt nun noch eine letzte Treppe in die so genannte Bibliothek, die auch als Büro genutzt werden kann.

Entwurf von innen heraus

„Wir haben bei diesem Projekt sehr stark von innen heraus entworfen, dabei aber dennoch sehr bewusst auch in der Fassade auf die vier sehr unterschiedlichen Gegenüber reagiert“, erläutert Architekt Marte die Entwurfsplanung. „Uns war wichtig, dass Struktur und Konstruktion des Gebäudes auch von außen ablesbar sind.“ Und so entwickelt sich an jeder der vier Gebäudeseiten ein Element aus dem Grundriss heraus, dass dann in seiner jeweiligen Charakteristik an der Fassade zu finden ist: Auf der Süd-Ost-Ecke des Gebäudes sitzt die teilweise überdachte Dachterrasse mit Blick über den Fluss und auf die Berge. Ein ganzes Geschoss darunter schiebt sich der Badewannen-Erker des Elternbades aus der Fassade heraus. Auf derselben Ebene wie die Dachterrasse sitzt die Küche, die sehr markant, mit einem relativ geschlossenen Kasten, wie alle Elemente um 1,50 m auskragt. Richtung Westen befindet sich auf der anderen Gebäudeseite der Wohnbereich mit großem Panoramafenster, das Richtung Ort zeigt.

Die Elemente der Konstruktion

Das gesamte Gebäude ist mit unbehandelten, sägerauen Lärchenbrettern verschalt. Die Geschossdecken bilden sich an den Außenwänden durch Fassadenfriese aus Eiche ab. Gleichzeitig übernehmen diese den konstruktiven Holzschutz der Fassade. Zwischen den 94er KLH-Platten und der Lärchenholzschalung sitzt eine 36 cm dicke Dämmung aus Steinwolle, die sowohl in Bezug auf den Schallschutz als auch auf den Brandschutz Vorteile bringt: „In der Schweiz ist der Brandschutz sehr gut geregelt. Betrachtet wird immer das gesamte Bauteil, so dass die Massivholzwand durch die Steinwolledämmung den Anforderungen problemlos gerecht wird“, so der Architekt. Kellerdecke und Dach wurden hingegen mit Glaswolle gedämmt, da hier die Wärmedämmleistung im Vordergrund stand. Die Fenstereinfassungen sind aus gehobeltem Lärchenholz, die massiven Fensterbänke aus Eiche gefertigt. Bei den Fenstern selbst entschieden sich die Bauherrn für Holz-Aluminium-Profile.

Das Dach ist mit anthrazitgrauen, 8 mm dicken, relativ großflächigen Faserzementplatten belegt, in die eine PV-Anlage integriert wurde. Sämtliche Erkerdächer erhielten eine hochwertige Kupfer-Stehfalzdeckung.

Scheibenausbildung für erhöhte Windlasten

Statisch wurde das gesamte Gebäude als ein System betrachtet. Die einzelnen Module sind in sich durch mindestens vier Scheiben stabil und somit auch für die in dem Gebiet erhöhten Windlasten ausgelegt. Dort allerdings, wo die zueinander versetzten Module aneinanderstoßen, haben sie keine vollflächige Platte, sondern eine Holzständerwand und bilden so die Mittelwand des Hauses, der eine besondere Funktion zukommt, da hier die gesamte vertikale Haustechnik installiert wurde. Sie ist dementsprechend aus zwei zueinander versetzten Ständerreihen ausgeführt. Auch die Wandheizungselemente sitzen an dieser Wand, weshalb sie vollständig mit Lehmbauplatten beplankt wurde. Ein zusätzlicher Lehmstrukturputz sorgt für angenehmes Raumklima und zeigt auch an dieser Stelle die Vorliebe der Bauherrn für wohngesunde Baumaterialien. Ganz zentral, ebenfalls in dieser Wandebene, sitzt der Cheminée, der Kamin, der sowohl den Wohn- als auch den Essbereich zusätzlich mit Wärme versorgt.

Aufzugsschacht aus Holz kommt von oben

Ein besonderes Element des Entwurfs ist der kleine 2-Personen-Aufzug, der in einem hölzernen Schacht sitzt. „Der Aufzugschacht aus Holz stellte gar kein Problem dar, weder aus Brandschutz- noch aus Schallschutzgründen“, erläutert Holzbauer Untersander. „Es handelt sich um einen Spindellift mit Elektromotor. Den 14 m langen Holzschacht haben wir mit einem Kran von oben in die fertige Holzkonstruktion eingelassen.“ Das Bauen mit Massivholzelementen, insbesondere mit Modulen, bedeutet einen sehr zügigen Aufbau, dank der umfassenden Vorfertigung. Auf der anderen Seite bedarf es gerade wegen der Vorfertigung einer intensiven Vorplanung. In diesem Fall wurde unter anderem am Modell erarbeitet, wie innerhalb der gesetzlichen Vorgaben möglichst viel Volumen geschaffen werden kann. „Die Planungsphase war zwar sehr zeitintensiv, aber auch sehr effektiv!“, betont Architekt Marte, „sowohl mit den ausführenden regionalen Handwerkern als auch mit den Bauherrn, die nachhaltige Gedanken beim Bau mitentwickelt und mitgetragen haben.“

Autorin

Nina Greve ist Architektin und Journalistin, sie lebt und arbeitet in Lübeck. www.abteilung12.de.

Lehmputz im Innern zeigt die Vorliebe für wohngesunde Baumaterialien

Bautafel (Auswahl)

Projekt EFH Bad Ragaz (Schweiz) in Massivholz-Modulbauweise, Fertigstellung 2014  

Architektur Planung MARTE Architektur – sustainable design, 12047 Berlin, www.martearchitektur.com

Holzbau Holz Untersander GmbH, www.holzuntersander.ch, 7310 Bad Ragaz

Energieberater Lenum AG, FL-9490 Vaduz,

www.lenum.com

Bauweise Massivholzbau, System KLH, teilweise in Modulbauweise

Energiestandard Minergie-P zertifiziert

Haustechnik Lüftung mit Wärmerückgewinnung, Luft/Wasser-Wärmepumpe, Photovoltaik

Produkte Schrägdach-Dämmplatte „Knauf SDP-035-GF“ (Wanddämmung)

Unterdachbahn „Ampatop Seal“

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