Traditioneller Abbund für Fachwerkneubau im Naturdorf Bärnau
Zimmerer auf Wanderschaft erstellt gemeinsam mit anderen Zimmerergesellen den Abbund eines FachwerkhausesDas „Naturdorf“ in Bärnau soll zeigen, wie sich lokale und naturbasierte Materialien für den Neubau nutzbar machen lassen. Franz-Georg Neuner, Zimmerer auf der Walz, hat zusammen mit anderen Gesellen ein Fachwerkhaus für das Naturdorf geplant und abgebunden – und berichtet hier von seinen Erfahrungen.
Die liebevoll in einer Scheune erstellte Abbundhalle im Naturdorf Bärnau hatten wir vor allem Arthur, einheimischer Freiheitsbruder, zu verdanken (Anm. d. Red.: ein einheimischer Freiheitsbruder ist ein Geselle im Fremden Freiheitsschacht, der seine Wanderschaft beendet hat). Die Abbundhalle brauchte noch Handmaschinen und allerlei andere Werkzeuge, Einrichtungs- und Arbeitsgegenstände wie Abbundböcke oder einen Abbundwagen. Gleichzeitig setzte ich mich mit der Holzlieferung für die ersten beiden Fachwerkhäuser auseinander. Wann wurde was geliefert, wieviel davon und wer transportierte das Ganze überhaupt? Die technischen Pläne für das Fachwerk kamen an und ich wurde nach meiner Meinung dazu gefragt. Die Holzlisten und Bestellscheine mussten abgeglichen werden, außerdem riefen Werkzeugvertreter an. Solche Büroarbeit fiel ungewöhnlicherweise auch in meinen Aufgabenbereich, was überraschend interessant war, wenn auch anstrengend und manchmal langwierig. In den Wochen nach dem Treffen der Steinmetzgewerke im Geschichtspark Bärnau im Mai 2022 blieben einige fremde Freiheitsbrüder hier, um auch im Naturdorf zu arbeiten. (Anm. d. Red.: Das Wort „fremd“ bedeutet hier: auf Wanderschaft. Ein Freiheitsbruder ist ein Mitglied der Gesellenvereinigung Fremder Freiheitsschacht). Gemeinsam mit den anderen Handwerkern und der Bauleitung wurde die Baustelle ausgemessen und im gleichen Zuge auch eingemessen. Irgendwann kam der Tag, als endlich der Bagger kam, um die Streifenfundamente für das erste der vier Häuser auszuheben.
Das Fundament für das erste von vier Fachwerkhäusern im Naturdorf Bärnau entsteht (rechts im Bild)
Foto: Naturdorf Bärnau
Streifenfundamente ohne Zement und Beton
Inzwischen hatte ich ziemlich Feuer gefangen, genoss die Arbeit mit lustigen und begabten Handwerkern im Büro und auf der Baustelle und stand mit Leib und Seele hinter dem Gedanken des Projekts „Naturdorf“. Die Tiefbauarbeiten zogen sich über einige Wochen. Die Streifenfundamente wurden mit vier verschiedenen Schichten ausgeführt (von oben nach unten):
- gemauerter Granitsockel (Fachwerkschwelle);
- Branntkalk-Stampf-Fundament;
- Schotter (Steine zwischen 4 und 6 cm Größe);
- Schroppen (Steine zwischen etwa 10 und 20 cm Größe)
Das Branntkalk-Stampf-Fundament des Fachwerkhauses wurde ohne Zement hergestellt
Foto: Naturdorf Bärnau
Die KG2000-Rohre, die wir in der Drainageschicht im Schotter verlegt haben, waren der einzige Kunststoff, der beim Bau der Häuser verbaut wurde, da es für solche Rohrleitungen noch keine einfache, auf nachwachsenden Rohstoffen basierende Alternative gibt. Da ich Zimmergeselle bin und noch nie Tiefbauarbeiten ausgeführt habe, durfte ich bei diesem, doch ziemlich zehrenden, Arbeitsschritt viel lernen und mitbekommen. Ähnlich war es beim Schalungsbau für das Branntkalk-Fundament.
Der Abbund beginnt
Anfang August 2022 war die Holzlieferung für die ersten Gebäude da. Auf die Zeit des Abbunds freute ich mich schon, seitdem ich für das Projekt eingesetzt wurde und war dementsprechend so aufgeregt wie ein kleiner Junge, der an seinem Geburtstag die Treppe herunterläuft. Im August war ich schon seit fast vier Monaten in Bärnau, eine ungewöhnlich lange Zeit für einen Gesellen auf Wanderschaft. Aber jetzt begann der für mich interessante Teil erst so richtig: Der Abbund eines Fachwerkneubaus. Wann hat man denn schon so eine Gelegenheit?
Die Zimmerer Leon Kasper (links) und Franz-Georg Neuner in der ersten, fertiggestellten Wand für das Fachwerkhaus
Foto: Naturdorf Bärnau
Leon Kasper, Zimmerer, fremder Freiheitsbruder und ich brauchten nur etwa 15 Sekunden, um ein eingespieltes Team in der Halle zu bilden, während an der Baustelle die Fundamentarbeiten weiterliefen. Da wir beide noch nie ein komplettes Haus in diesem Stil abgebunden hatten, mussten wir uns einige Ausführungsdetails selbst erschließen und arbeiteten quasi nach bestem Wissen und Gewissen und mit viel Motivation.
Uns Handwerkern wurde im Projekt viel Entscheidungsfreiheit in der Ausführung gelassen. Wenn ein vorher besprochenes Detail im finalen Kontext vielleicht doch keinen Sinn ergab, konnten wir es mithilfe einer gut begründeten Erklärung problemlos ändern. Ich fühlte mich respektiert und wertgeschätzt aufgrund dieses Vertrauens, das uns entgegengebracht wurde.
Gemeinsam etwas Besonderes erschaffen
Abbund der Schwellen mit der Handkreissäge „MKS 165“ von Mafell
Foto: Naturdorf Bärnau
Die Zeit verging wie im Flug und die Berge des gelieferten Holzes vor der Abbundhalle wurden kaum merklich kleiner – die Hübe der fertigen Wände wurden dafür immer mehr. Gesellen reisten zu und ab. Wir waren eine bunte, sich ständig verändernde Truppe, die gemeinsam etwas Besonderes erschaffen wollte. Einheimische und fremde Gesellen, die auf Wanderschaft waren oder diese bereits beendet hatten, unabhängig jeglicher Schachtzugehörigkeit oder des Gewerks, arbeiteten Hand in Hand.
Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich so viel mit den Plänen beschäftigt hatte, dass ich sogar davon träumte. Einmal wachte ich mitten in der Nacht erschrocken auf, da mir klar geworden war, dass eine geplante Zwischenwand nicht in den Abbundplänen enthalten war. Montags wurde dann sofort der Architektenplan im Büro ausgerollt und die Planmappe aus der Halle geholt, um festzustellen, dass meine Annahme tatsächlich richtig war. Wir bestellten Holz nach und zeichneten eine spontane Lösung.
Die Straße ruft – Fernweh kommt auf
Obwohl ich die Arbeit sehr genoss, fing das Fernweh bald zu drücken an. Die letzten Wochen war ich unruhig, teilweise auch schlecht gelaunt und merkte, dass es Zeit wurde, weiterzureisen. Die Straße selbst wollte mir vermutlich auch mitteilen, dass sie mich vermisste und verpasste mir kurzerhand bei einem Fahrradsturz eine Platzwunde an der Augenbraue. So fügte ich mich dem etwa zwei Wochen später und reiste im September 2022 ab, nach ziemlich genau 5,5 Monaten in Bärnau. Der Abbund wurde ohne mich fertiggestellt. Ende November 2022 wurde das erste Haus aufgerichtet. Den Richtspruch durfte ich halten, was mir eine große Ehre und Freude war.
Ende November 2022 wurde das erste Fachwerkhaus im Naturdorf fertiggestellt. Den Richtspruch durfte Zimmerer Franz-Georg Neuner halten
Foto: Naturdorf Bärnau
Zusammengefasst durfte ich in Bärnau unermesslich viel lernen, in allen möglichen Themenbereichen im Bau und darüber hinaus. Ich habe gelernt, große Verantwortung in meinem Handwerk zu übernehmen, die mehr als ein einziges Bauprojekt betrifft und mich auf mich selbst und meine Entscheidungen zu verlassen. Darüber hinaus hat sich mein Denken über modernes Bauen grundlegend geändert. Ich durfte Menschen kennenlernen, die ich nun als sehr gute Freunde und Kameraden schätze und sogar eine junge Frau, die ich sehr lieben gelernt habe. Die Zeit im Naturdorf wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Die Baustelle wird wahrscheinlich noch die nächsten zwei Jahre weitergehen. Gesellinnen und Gesellen aller Gewerke haben hier eine seltene Möglichkeit, sich praxisnah und experimentell mit ökologischem Bauen auseinanderzusetzen. Also: Gesellen und Gesellinnen, auf in die Oberpfalz!
Das Naturdorf Bärnau im Juli 2023: Zwei von vier Häusern sind fast fertiggestellt. Das als erstes errichtete Fachwerkhaus befindet sich auf dem Bild rechts
Foto: Naturdorf Bärnau
Franz-Georg Neuner ist Zimmerergeselle, Mitglied des Rolandsschachts und fremdgeschriebener Rolandsbruder (Geselle auf Wanderschaft).
Mehr über die Arbeit von Franz-Georg Neuner auf einer historischen Schaubaustelle im Geschichtspark Bärnau-Tachov mit traditionellen Handwerkszeugen lesen Sie im ersten Teil des Artikels, den Sie hier finden.
Das Naturdorf Bärnau
Mit dem Naturdorf Bärnau entsteht ein Feriendorf aus vier Fachwerkhäusern direkt neben dem Geschichtspark Bärnau-Tachov. Alle Gebäude werden in Fachwerkbauweise errichtet und das Holz händisch abgebunden. Für den Bau der Häuser kommen natürliche Baustoffe wie Naturstein, Lehm, Kalk und Holz zum Einsatz.
Durch den Einsatz von natürlichen Materialien und die handwerkliche Umsetzung sollen die „graue Energie“ der Gebäude reduziert, langlebige Gebäude erschaffen und traditionelle Handwerkstechniken bewahrt werden. Die Häuser werden von außen unterschiedlich gestaltet: mit Boden-Deckel-Schalungen, komplett verputzt oder mit einem Sichtfachwerk mit gedämmten und verputzten Gefachen.
Handwerker und Handwerkerinnen, die sich für das Bauen mit regionalen und ökologischen Baustoffen im Naturdorf interessieren, erhalten weitere Informationen unter https://naturdorfbaernau.de
Verband der Europäischen Gesellenzünfte
Dieser Artikel erschien erstmals 2023 im Magazin „Bulletin – Verbandsmitteilungen der Europäischen Gesellenzünfte“, Nr. 84. Das Magazin wird herausgegeben von der C.C.E.G. (Confédération Compagnonnages Européens Europäische Gesellenzünfte), dem Dachverband europäischer Gesellenvereinigungen. Die Vernetzung und der Austausch der europäischen Gesellenvereinigungen untereinander sind die Hauptziele des Verbands. Zum Verband gehören derzeit fünf deutschsprachige Schächte und Gesellenvereinigungen, drei französischsprachige und eine skandinavische Gesellenvereinigung. Eine Übersicht aller Mitglieder des CCEG finden Sie online unter www.cceg.eu
Das Verbandsmagazin „Bulletin“ erscheint zweisprachig (Deutsch & Französisch) und enthält in jeder Ausgabe Reiseberichte von Gesellen und Gesellinnen, die in Europa und weltweit auf die zünftige Walz gehen. Außerdem gibt das Magazin Einblicke in die Verbandsarbeit, Tipps für Fortbildungen und Seminare. Fachartikel runden den Inhalt ab. Das „Bulletin“ kann online bestellt werden unter www.cceg.online
Fremdgeschrieben oder einheimisch? Das bedeuten die Begriffe
In diesem Artikel werden die Wörter „fremd“, „fremdgeschrieben“ und „einheimisch“ genutzt, die hier eine andere Bedeutung als sonst haben. Daher wollen wir diese Wörter kurz erklären:
Das Wort „fremd“ bedeutet in diesem Zusammenhang, von einer zünftigen Gesellschaft oder einem Schacht „fremdgeschrieben“ zu werden, um anschließend nach deren Regeln auf die zünftige Wanderschaft zu gehen. In dieser Zeit darf der Heimatort nicht besucht werden.
Im Gegensatz dazu bedeutet der Begriff „einheimisch“, dass der Geselle, der nach den Regeln seiner Gesellschaft unterwegs gewesen ist, seine „zünftige Tippelei“ beendet (hat). Oftmals geschieht das im Rahmen einer großen Feier mit vielen Freunden, Verwandten und anderen Gesellen und Gesellinnen. Man spricht dann auch von der „Einheimischmeldung“. Diese bildet den Schlusspunkt der Wanderschaft. Fremdgeschriebene und einheimische Handwerksgesellen und Gesellinnen treffen sich übers Jahr zu wiederkehrenden Gelegenheiten, um ihre Gedanken und Erlebnisse miteinander auszutauschen. Der Kontakt untereinander bleibt oft ein Leben lang bestehen.