Sonnensegel im Dortmunder Westfalenpark saniert

Hyparschalenkonstruktion von Günther Behnisch statisch ertüchtigt und neu abgedichtet

Hyparschalen sind statisch ganz besondere Konstruktionen – vor allem, wenn sie aus Holz sind und aus der Feder von Günter Behnisch stammen. Im Dortmunder Westfalenpark wurde jüngst eine solche Hängeschale für rund 2,7 Mio. Euro saniert. Das Holztragwerk wurde erneuert und das Dach neu abgedichtet.

Die Architektur der 1960er Jahre war in den beiden damals noch jungen, deutschen Republiken von Aufbruch und Experiment geprägt. Auch in statischer Hinsicht wollte man etwas wagen und beweisen, was mit den seinerzeit verfügbaren Baustoffen bereits möglich war. Das 1969 nach Plänen von Günter Behnisch anlässlich der Europa-Gartenschau im Dortmunder Westfalenpark entstandene Sonnensegel ist ein solches experimentelles Bauwerk.

Behnisch zählt zu den bedeutendsten deutschen Architekten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auf ihn geht auch der 1972 in München zu den Olympischen Spielen fertiggestellte Olympiapark zurück. Die 1967 in München begonnene Zeltdachkonstruktion wäre ohne die Arbeit seines Kollegen Frei Otto sicher nicht möglich gewesen. An dem schon 1955 von Frei Otto für den Musikpavillon der Bundesgartenschau in Kassel entworfenen, textilen Vierpunktsegel orientierte sich Behnisch bei der Gestaltung seines Sonnensegels in Dortmund. Dieses wirkt wie ein rechteckiges Tuch, das man mit zwei Zeltstangen als Hochpunkte und zwei Heringen als Tiefpunkte zu einer gekrümmten Fläche gespannt hat – wie ein gebautes Kräftegleichgewicht. Das Sonnensegel ist eine hyperbolische Paraboloidschale, kurz: Hyparschale. Solche Tragwerke entwarfen auch Herbert Müller und Ulrich Müther in der damaligen DDR. Ab den 1950er Jahren experimentierten sie mit Schalentragwerken aus Beton. Behnisch wählte für seine Hängeschale im Dortmunder Westfalenpark Holz als Baustoff: Eine freitragende Schalenkonstruktion aus einer Primärstruktur mit einem 1,40 m tiefen Randgurt und parallel an der Untersicht der Dachfläche verlaufenden Nebenträgern. Auf die Nebenträger nagelten die Zimmerer seinerzeit drei Brettlagen. Diese bilden die hölzerne Membran der Hängeschale, die zwischen den beiden als Druckstützen mit Zugseilen gehaltenen Hochpunkten und den beiden Tiefpunkten verläuft. „Die hier in der Dachschale verbaute, dreilagig kreuzweise verlegte Holzschale ist quasi ein früher Vorläufer des Brettsperrholzes, das heute das Bauen mit Holz revolutioniert“, sagt Thorsten Helbig vom Ingenieurbüro knippershelbig. Das Ingenieurbüro wurde mit der Tragwerksplanung der Instandsetzung des Sonnensegels beauftragt. Das Baumaterial für das Sonnensegel war ursprünglich eine Materialspende der Holzindustrie: Die Arbeitsgemeinschaft Holz e. V. wollte zur Europa-Gartenschau anhand des Sonnensegel-Pavillons die besonderen Eigenschaften des Werkstoffs Holz demonstrieren. Dabei sollte das Sonnensegel nur vorübergehend im Westfalenpark stehen bleiben. Aber wie bereits beim Pariser Eiffelturm, der nach dem Ende der Weltausstellung wieder hätte abgebaut werden sollen, blieb auch das Sonnensegel von Behnisch stehen. Die Dortmunder und die Besucher des Westfalenparks hatten sich schnell an die überdachte Open-Air-Bühne gewöhnt.

Sanierung statt Neubau

Ein 500 Seiten dicker Ordner mit Berechnungen des Bauingenieurs Günter Scholz half Thorsten Helbigs Team bei der Tragwerksplanung der Instandsetzung. Zwar hatte Bauingenieur Julius Natterer damals den Zuschlag für den von ihm vorgeschlagenen Prototypen eines „punktgestützten Hängedachs mit den Merkmalen einer Seilnetzkonstruktion“ erhalten. Berechnet hatte die vorgespannte Rippenschale des Sonnensegels jedoch der Bauingenieur Günter Scholz aus München. Das Sonnensegel gilt als das erste umgesetzte, zugbeanspruchte Holzflächentragwerk mit  freien Rändern. Insbesondere die freien Randträger und die Stützen der Hängeschale wurden dem durch Feuchtigkeit und Witterungseinflüsse beanspruchten Holz jedoch zum Verhängnis. Pilzbefall war die Folge. Schon in den 1970er Jahren hatte dies zu Reparaturarbeiten geführt. 2009 mussten die Holzstützen und Seile mit einer Stahlkonstruktion ertüchtigt werden. 2012 schätzte ein Sachverständiger die Schäden an der Hängeschale als so gravierend ein, dass das Bauwerk nicht mehr genutzt werden konnte. Das Sonnensegel galt als unsanierbar. Es drohte der Abriss, mit der Option eines Neubaus. 2015 wurde das Sonnensegel jedoch unter Denkmalschutz gestellt. Abbruch und Neubau hätten der Substanzerhaltung der Denkmalpflege widersprochen und waren damit vom Tisch.

Nach Hinweisen des Landesdenkmalamtes nahm sich 2016 die Wüstenrot Stiftung des Sonnensegels an. Sie prüfte im Jahr darauf mit einer Machbarkeitsstudie die Möglichkeiten einer denkmalpflegerischen Sanierung. Nach weiteren umfangreichen Untersuchungen und mithilfe eines digitalen Modells, das die Beanspruchung der einzelnen Bauteile sowie die verschiedenen Belastungssituationen genau analysierte, entwickelte das Ingenieurbüro knippershelbig ein Instandsetzungskonzept. Mit diesem konnte die Substanz des Sonnensegels weitgehend erhalten und die Tragfähigkeit durch eine neue Sekundärstruktur gesichert werden. Eine experimentelle Herangehensweise, die gut zum Geist des Bauwerks passt, das ja als Experimentalbau gilt. „Ein experimentelles Bauwerk wäre es auch jetzt noch, wenn man es heute bauen würde“, meint Thorsten Helbig, der als Ingenieur von Anfang an vom Tragwerk der Konstruktion begeistert war. Für die Umsetzung des Instandsetzungskonzeptes sorgte das Dortmunder Büro HWR Architekten.

Austausch der Stützen und Spannseile

Prof. Philip Kurz, Geschäftsführer und Leiter des Denkmalprogramms der Wüstenrot Stiftung, spricht angesichts der etwa 1000 m² großen und rund 290 Tonnen schweren Holzschale von der „Wucht der Substanz“, die zum Glück erhalten werden konnte und dass es nicht darum ginge, das Bauwerk wieder hübsch zu machen. „Wir mussten der alten Dame unter die Arme greifen“, umschreibt Thorsten Helbig die Sanierung und meint damit die auf lange Dauerhaftigkeit angelegte Ertüchtigung der Hängeschale. Hierzu mussten unter anderem die defekten Holzstützen und die stählernen Spannseile ausgetauscht werden. „Es war eine gespannte Konstruktion, die auf zwei Auflagerpunkten liegt, die man wegnehmen musste, weil sie kaputt waren“, beschreibt Philip Kurz die statische Herausforderung der Sanierung. Um die Hängeschale an jedem Stützpunkt kraftschlüssig zu unterfangen, wurden 26 Hydraulikpressen mit einer Tragfähigkeit von 100 bis 300 kN unter das Sonnensegel gefahren. Damit wurde die Konstruktion millimetergenau hochgehoben und auf einer aufwendigen Gerüstkonstruktion abgelegt. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Schwerlast-Traggerüststützen und fast 10 000 m³ eines Modul-Raumgerüsts, das die Gerüstbauer an die hyperbolische Geometrie der Dachfläche anpassten.

Die spezielle Geometrie der Hängeschale und die daraus resultierenden, erheblichen Lastwechselsituationen erforderten eine hohe fachliche Qualifikation der Gerüstbauer, sowohl für die komplexe technische Bearbeitung der Traggerüstkonstruktion als auch für die Hydraulikarbeiten. Nach dem Anheben konnten die Zimmerer die drei Holzstützen entfernen und gegen neue Stützen aus acetyliertem Holz ersetzen. Diese wurden als Brettschichtholzbinder mit Sonderquerschnitt bei der Schaffitzel Holzindustrie in Schwäbisch Hall gefertigt. Zwei dieser Stützen haben eine Länge von je 9,42 m, eine weitere misst 13,82 m. Die Stützen erhielten eine bauaufsichtlich notwendige Zustimmung im Einzelfall. Im Vorfeld musste daher eine der für rund 25 000 Euro gebauten Stützen in einem Test zerstört werden. „Die Stützen sind aus einem Material, das es 1969 noch gar nicht gab“, erklärt Thorsten Helbig. Das acetylierte Holz der Stützen ist ein modifiziertes Bauholz, das in einem chemischen Verfahren getrocknet und mit Essigsäureanhydrid behandelt wurde. Dadurch wird die Ansiedlung von Pilzen oder Insekten im Holz ­verhindert beziehungsweise erschwert. Das so präparierte Holz ist dadurch selbst bei Feuchteanfall  wesentlich haltbarer als konventionelles Bauholz.

Schale und Abdichtung

Die Träger des Randgurtes und die oberen beiden Lagen der Holzmembran des Sonnensegels zeigten zum Teil erhebliche Schäden. Auf dem, während der Bauarbeiten wetterfest eingehausten, Dach der Hyparschale und vom Gerüst aus führten die Zimmerer die Reparaturarbeiten aus. Im Zuge der Instandsetzung mussten sie mehr als die Hälfte der Brettlagenkonstruktion ersetzen. Die Schäden waren insgesamt größer als ursprünglich gedacht. Die Reparaturarbeiten an den Randträgern führten die Zimmerer mit Schäftungen aus. Auch an den Nebenträger mussten zum Teil Instandsetzungen durchgeführt werden. An der Untersicht zeigt sich die Dachfläche nach Abschluss der Holzsanierung jedoch weiterhin in ihrer ursprünglichen Materialität.

Um die sanierte Holzkonstruktion dauerhaft vor den Einflüssen der Witterung zu schützen, sorgten die Handwerker zudem für eine neue Dachabdichtung und einen Schutz der Randträger. Ursprünglich war die Dachfläche mit einer weißen PVC-Folie abgedichtet. Auf diese hatte man später schwarze Dachpappe verlegt. Die mittlerweile defekte Dachabdichtung entfernten die Handwerker und verlegten auf der Dachfläche eine neue Abdichtung. Diese besteht aus Bitumenbahnen und Abdichtungsbahnen aus flexiblen Polyolefinen (FPO) im sehr hellen Farbton Sandgrau, also fast Weiß.

Neue Abdichtung der Dachfläche

Im ersten Schritt wurde die Bitumenbahn auf der Holzschalung mechanisch befestigt. Die Bitumenbahn dient jedoch nicht als Abdichtung, sondern bildet lediglich die Grundlage für eine glatte Verlegung der nachfolgenden, eigentlichen Abdichtung. Diese führten die Dachdecker mit FPO-Kunststoffabdichtungsbahnen („Flagon Eco F“ von Soprema) aus. Im Gegensatz zur ursprünglich verlegten PVC-Bahn ist die FPO-Bahn besonders widerstandsfähig und in der verwendeten Version auch für Neigungen von über 20° geeignet. Beim Verlegen gingen jeweils zwei Dachdecker mit den Bitumenbahnen voraus. Ein dritter folgte und flämmte die vlieskaschierten FPO-Bahnen ein, sodass eine sichere Verbindung entstehen konnte. Eine besondere Herausforderung für die Dachdecker war die symmetrische Anordnung der Bahnen: zum einen ist die Dachfläche der Hyparschale unregelmäßig gebogen, zum anderen steigen die beiden gegenüberliegenden Spitzen des Sonnensegels in unterschiedlich steilen Winkeln an. Die Bahnen sollten an beiden Firstpunkten völlig symmetrisch zulaufen, auch wenn man das von keinem Standpunkt vom Boden aus in Gänze sehen kann. Mit exakt eingepassten, keilförmigen Bahnenzuschnitten gelang es den Dachdeckern, den Eindruck zu erwecken, dass die Abdichtung mit der Architektur zu fließen scheint.

Fazit

„Ohne gute Handwerker kann man natürlich überhaupt nichts machen. Denn eine denkmalgerechte Instandsetzung eines Ingenieurbauwerks wie dem Sonnensegel gelingt nicht am grünen Tisch, man braucht dafür die Kompetenz der Handwerker. Für dieses Projekt haben wir die passenden Betriebe ausgesucht: Handwerker, die richtig Leidenschaft für dieses Projekt entwickelt haben“, meint Philip Kurz von der Wüstenrot Stiftung. Und dabei kann man von den rund 2,7 Mio. Euro teuren Arbeiten der Handwerker noch nicht einmal etwas sehen, wenn man im Dortmunder Westfalenpark unter dem Sonnensegel steht. Aber gerade das ist das Besondere, wie Michael Holtkötter vom Denkmalamt erklärt: „Es gibt für ein Denkmal kein schöneres Ergebnis, als wenn man von der Instandsetzung nichts sieht“ .

Das Ziel der Instandsetzung, so viel Originalsubstanz zu erhalten wie möglich, wurde erreicht und optisch sogar noch übertroffen. Im September 2021 wurde das Sonnensegel für die Öffentlichkeit wieder eröffnet.

 

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr Stadt Dortmund und Wüstenrot Stiftung, Prof. Philip Kurz, Ludwigsburg, www.wuestenrot-stiftung.de

Bauuntersuchung und Bewertung Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart, www.mpa.uni-stuttgart.de

Architekt HWR Architekten, Dortmund, www.architekten-hwr.de

Projektsteuerung Büro Knappheide, Thomas Knappheide, Wiesbaden, www.knappheide.eu

Statik knippershelbig Stuttgart, Thorsten Helbig, Florian Gauss, Stuttgart, www.knippershelbig.com

Stahl- und Gerüstbauarbeiten Teupe & Söhne Gerüstbau, Stadtlohn, www.geruestbau.com

Zimmererarbeiten Wilhelm Risse, Meschede, www.holzbau-risse.de

Dachabdichtung SD Bedachungen und Solarprojekt GmbH, Menden, https://sd-bedachungen.de

 

Herstellerindex (Auswahl)

Brettschichtholzbinder Schaffitzel Holzindustrie, Schwäbisch Hall, www.schaffitzel.de

Gerüst Wilhelm Layher GmbH & Co. KG, Güglingen-Eibensbach, www.layher.com

Kunststoffdachbahnen Soprema GmbH, Mannheim, www.soprema.de

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