Mittelalterliche Holztechnik neu belebt
Mit Hobelpferd, Wippdrechselbank und Grünholz arbeiten – Begriffe, die wir heute mit Schulterzucken kommentieren, waren im vorigen Jahrhundert bei der Holzbearbeitung wichtig. Jugendliche aus ganz Europa konnten diese Techniken in Norddeutschland während eines Praxisseminars wieder neu (für sich) entdecken.
Es ist das viel beschriebene „flache Land“ mit seinen kleinen schnuckeligen Dörfern und den alten Fachwerkshäusern: zwischen Elm und Estorf, 40 Kilometer westlich von Hamburg liegt der kleine Ort Estorf-Hude und außer Mooren und ehemaligen Torabbaugebieten gibt es hier nicht viel. Der ideale Platz, um Jugendliche an ursprüngliche Handwerkstechniken heranzuführen und darin auszubilden.
Letzten Herbst hatte die Jugendbauhütte Stade der deutschen Stiftung Denkmalschutz dorthin eingeladen. In der Jugendbauhütte Stade leisten Jugendliche aus ganz Europa einen Freiwilligendienst und werden dabei – untergebracht in verschiedenen Betrieben und Institutionen, die im Denkmalbereich arbeiten – durch solche Exkursionen an das Thema Denkmalschutz und die Denkmalpflege herangeführt.
In dem Jugendbildungsheim des Landkreises Stade, einem großen niedersächsischen Fachwerkhallenhaus, wurde ein fünftägiges Praxisseminar abgehalten. Dabei wurde den 23 männlichen und weiblichen Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren unterschiedliche Arbeitsweisen vermittelt.
Neben dem Arbeitsfeld Farbe und Holzschnitztechnik wurde das Grünholzdrechseln als vertiefendes Thema angeboten. Ein junger Handwerker empfahl sich hier als Mentor, lehrte diese mittelalterliche Holzbearbeitungstechnik und gab seine Kenntnisse weiter.
Grünholzbearbeitung ist das Wort für die älteste Art, Holz zu bearbeiten. Seit der frühen Eisenzeit wird frisches (also grünes) Holz durch Spalten aufgeschlossen. Die Weiterverarbeitung erfolgt mit Beilen, Dexeln und Messern zu den unterschiedlichen Formen. Die vorgestellte rekonstruierte Wippdrechselbank war im Mittelalter schon in dieser gleichen Form bekannt. Diese traditionelle Arbeit wurde auf dem Land noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts angewandt. Während sich in den Städten das Handwerk durch die Zünfte als dritter Stand gegen Kirche und Adel stark machte, wurde in der Provinz noch vorwiegend traditionell gearbeitet eine Vielzahl an Holzgegenständen so hergestellt. Der Vorteil dieser Technik: das frische weiche Holz lässt sich mit Werkzeugen besser bearbeiten und Risse können zum Beispiel durch eine geeignete Holzauswahl vermieden werden. Die Werkstücke werden bei dieser Bearbeitungsart zunächst mit der Schrotsäge abgelängt und mit Keilen, sowie Schindeleisen zu Rohlingen gespalten. Die Rohlinge wurden danach mit Schnitzbeilen geformt und dann auf dem Hobelpferd mit dem Ziehmesser geglättet. Sollten die Rohlinge rund sein, wurden sie auf die fußbetriebene Wippdrechselbank gespannt und dort rund gedrechselt.
Auf diese Art entstehen auch noch heute von Traditionalisten Stühle, Hocker, Bänke, Möbelteile, Treppengeländer, Werkzeuggriffe und Mollen wie im Mittelalter. Auch den Freiwilligen der Jugendbauhütte ermöglichte das Seminar die klassisch historischen Holzwerkzeuge und die daraus hergestellten Holzobjekte kennen zu lernen. Als gemeinsame Arbeit arbeiteten die jungen Drechsler während des workshops in liebevoller Kleinarbeit an einem überproportionalen „Wikinger-Schachspiel“ aus Holz.
„Die Arbeit führt neben dem Kennenlernen der alten Technik auch zu einem bewussten Verständnis des vielseitigen Baustoffes Holz“. Das sagten nicht nur die Anleiter der Jugendbauhütte Stade, das konnten auch die Teilnehmer bestätigen.
Autor
Hans Jürgen Ronicke ist Malermeister, Innenarchitekt WKS und Restaurator im Handwerk. Er lebt und arbeitet in Wittenberg.