Natürliche Schönheit
Ein kleines Wohnhaus in Darmstadt konnte kostengünstig in kurzer Bauzeit aus ökologischen Materialien
errichtet werden. Die Innendämmung ermöglicht im Winter warme Wandoberflächen, die schwere, wärmespeichernde Lehmschale kam nach außen und nimmt die Sonnenwärme auf.
Das kleine Einfamilienhaus steht auf einem innenstadtnahen Gartengrundstück an einer ruhigen Anliegerstraße. Trotz eines knappen Budgets mit reinen Baukosten von 233 000 Euro netto und nur sechs Monaten Bauzeit entstand ein natürlich schönes Gebäude mit hoher Wohnqualität, überraschenden Durch- und Ausblicken, flexibel nutzbaren Räumen und immerhin 120 m2 Wohnfläche. Das Erdgeschoss mit Eingang, Küche, Essen, Wohnen und Gästezimmer kann je nach Bedarf mit Schiebetüren unterteilt oder durchwohnt werden. Das Obergeschoss beherbergt Schlaf- und Arbeitszimmer. Ein zweigeschossiger Luftraum mit Galerie verbindet beide Etagen.
Mit seinem oxidroten Kalkputz fügt sich das Wohnhaus harmonisch in das städtische Umfeld und den umliegenden Baumbestand ein. Den überdachten Balkon auf der Westseite tragen glattgeschliffene Rundholzpfosten. Holz-Aluminium-Verbundfenster mit schlanken, nach außen hochklappbaren Aluprofilen sitzen je nach Ausblick, Sonneneinfall und unterschiedlichen Belichtungswünschen frei in der Fassade. An der Eingangsseite im Osten wurden die Innenlaibungen der kleinen Fenster abgeschrägt, um die Sonne besser einzufangen.
Lehm und Holz in Kombination
Obwohl der Neubau von außen verputzt ist, besteht er fast vollständig aus Holz und Lehm. „Alle reden von Nachhaltigkeit – die Baustoffe Holz und Lehm sind es“, sagt Architekt Franz Volhard vom Darmstädter Büro Schauer + Volhard, das seit mehr als dreißig Jahren Holzbauten entwickelt, die mit Lehm ausgefacht werden. Die CAD-unterstützt vorgefertigten Holzrahmen- und Massivholzdeckenelemente des Hauses wurden innerhalb weniger Tage aufgebaut und mit einem leicht geneigten Dach aus großformatigen Faserzement-Wellplatten gedeckt. Einzig die Bodenplatte ist in Stahlbeton gegossen. Dank einer lastverteilenden Dämmschüttung aus recyceltem Altglas wurde auf zusätzliche Fundamente verzichtet.
Auf der Bodenplatte verdübelten die Zimmerleute des Fürther Unternehmens Georg-Wagner Holzbau zunächst die Montageschwellen. Die bis zu 2,8 m hohen und 6 m breiten Holzrahmenbauwände aus PEFC-zertifiziertem Konstruktionsvollholz wurden samt Querstreben und Stützen – 6 x 18 cm, Stützweite 62,5 cm – im Werk vorgefertigt, einseitig mit aussteifenden Gipsfaserplatten beplankt angeliefert und auf der Baustelle mit der Montageschwelle verschraubt. Auf den Holzrahmen montierten die Handwerker 50 cm breite Brettschichtholz-Deckenelemente mit Nut und Feder. In schmalen Aussparungen verlegten sie OSB-Streifen, die die Holzelemente statisch zu Deckenscheiben verbinden. Nach der Dachmontage fachten die Lehmbauer der Firma Unger aus Heppenheim die Innenwände mit stranggepressten Lehmsteinen mit einem Raumgewicht von 1800 kg/m3 aus. Dazu stapelten sie die Lehmsteine mörtelfrei in die offenen Innenwandgefache und befestigten sie mit Klemmleisten.
Umgedrehter Wandaufbau
„Bei der Außenfassade haben wir den herkömmlichen Wandaufbau quasi umgedreht“, sagt Franz Volhard: „Die schwere, wärmespeichernde Lehmschale kam nach außen und kann – im Gegensatz zu außen hochgedämmten Wandkonstruktionen – direkte und indirekte Sonnenwärme aufnehmen.“ Die Innendämmung ermöglicht im Winter warme Wandoberflächen und eine Absenkung der Raumtemperatur. „Das steigert den Komfort und spart Energie, da die Temperaturdifferenz zwischen innen und außen sinkt.“ Trotz nur 29 cm Wandstärke bleibt das Haus, anders als leichte Holzkonstruktionen, im Sommer angenehm kühl – dank 35 Tonnen Speichermasse in Innenwänden, Holzdecke und Estrich.
Die weitgehend natürliche Klimatisierung ersetzt eine komplizierte Haustechnik. Ein Schamottspeicher-Grundofen, in dem Stückholz verfeuert wird, erwärmt mit seiner Strahlungswärme Wohn- und Essbereich und konvektiv über den Luftraum das ganze Haus. Zusätzlich temperiert eine Fußbodenheizung die Räume.
Strohlehm als Außenschale
Für den Bau der 12 cm dicken Lehmschale klammerten die Handwerker eine horizontale, außen durchlaufende Lattung auf die Pfosten. Die Fensterlaibungen wurden mit umlaufenden Brettern aus Lärchenholz eingefasst. Auf der ebenen, zu verputzenden Außenseite brachten die Lehmbauer im Abstand von 8 cm eine geschosshohe Arbeitsschalung aus Brettern an und verfüllten die Zwischenräume der Lattung von innen mit Lehm. Der Strohleichtlehm, Raumgewicht etwa 1000 kg/m3, wurde vor Ort hergestellt: Die Lehmbauer mischten den in Bigbags trocken-krümelig angelieferten Lehm in einer Putzmaschine mit Wasser und spritzten ihn dann per Druckluft über das lagenweise ausgestreute Stroh. Anschließend wurde er zur besseren Verarbeitung einen Tag feucht gelagert. Dann legten sie die plastische Masse in großen Portionen per Hand auf die Lattung und drückten sie gegen die Schalung. Später glätteten sie die Flächen von innen mit einem Holzbrett. Da die Schaltafeln nach dem Auftrag des Lehms sofort in den nächsten Abschnitt versetzt wurden, schafften drei Arbeiter in zwei Wochen 200 Quadratmeter Wandfläche.
Die Trockenzeit nutzten die Handwerker für haustechnische Installationen und Estricharbeiten. Auf den Brettstapeldecken verlegten sie schwimmenden Anhydritestrich und Eiche-Massivparkett geölt und gewachst. Die Decken- und Dachunterseiten wurden – ebenso wie die Wände – mit Gipsfaserplatten beplankt. „Noch lieber hätten wir 2 cm dicke Lehmplatten verwendet, aber dafür reichte das Budget nicht“, sagt Franz Volhard. Anschließend bliesen die Handwerker die Stützen- und Sparrenzwischenräume mit Zellulose aus und spachtelten die Oberflächen. Von außen spritzten sie 15 mm Kalkputz in zwei Lagen gegen die Lehmwand, glätteten den Putz und strichen ihn mit Mineralfarbe.
Verzicht auf Folien und Dichtungsbänder
Die nur 12 cm dicke Lehmaußenschale dient als Wärmespeicher, Schalldämmung und Brandschutz. „Dank des Lehms konnten wir weitgehend auf Kunstharzleim gebundene, verschnittintensive Plattenwerkstoffe verzichten“, sagt Franz Volhard. Der kompakte Wandaufbau aus kapillar leitfähigen Stoffen ermöglicht zudem einen robusten Feuchteschutz ohne Luftschichten, Folien und Dichtungsbänder. Auch an den Fensterlaibungen wurden zum Putz hin keine Dichtungen verbaut, hinter denen sich Stoßfeuchte sammeln könnte. Lehm und Kalkputz nehmen die Feuchtigkeit auf und geben sie schnell wieder ab.
Die für das Haus neu entwickelte, mit Lehm und Faserdämmstoffen ausgefachte Holzkonstruktion ist komplett rückbau-, veränder- und reparierbar. Alle Holzverbindungen wurden lösbar verschraubt, die Lehmsteine trocken ohne Mörtel verbaut. Auch die Beplankungen sind demontierbar. Die meisten Baustoffe können ohne Qualitätseinbußen wiederverwendet werden, Umbauten sind mit einfachem Werkzeug möglich.
Filigrane Dachkonstruktion
Um die Hüllfläche und das beheizte Volumen zu verringern, minimierten die Architekten die Dachneigung auf 12,5 Grad – etwas mehr als die Mindestneigung von Welleternit. „Mit einem Ziegeldach hätten wir steiler werden müssen“, sagt Franz Volhard. Auf den 6 x 22 cm großen Sparren verlegten die Dachdecker aussteifende MDF-Platten sowie eine Lattung und Konterlattung aus 4 x 6 cm großen Latten. Dann montierten sie die 1,25 x 1,05 m großen Welleternittafeln mit Dichtschrauben an der Lattung.
Die Lehmschale läuft direkt bis unters Dach. Ein weiter Dachüberstand schützt die Fassade allseitig vor der Witterung. Der Ortgang wurde mit Holzbrettern, die Dachunterseiten mit einer Holzschalung verkleidet. Die Sparren laufen überm Balkon durch und verjüngen sich zum Dachrand auf schlanke 6 x 8 cm. Die vier Rundpfosten des Balkons (Durchmesser = 140 mm) wurden mittig eingeschnitten, die 6 x 12 cm große Fußpfette aufgelegt und mit je einer Spax-Schraube montiert.
Auch für das Vordach überm Hauseingang fanden die Architekten eine elegante Lösung: Es besteht einzig aus einem 2 mm dicken, verzinkten Blech, das über drei Zugstäbe, (Durchmesser = 10 mm) mit der Fassade verbunden ist. Die Stäbe wurden über Rundhülsen mit Innengewinde und ein T60-Flacheisen an der Holzrahmenkonstruktion aufgehängt. Das Loch verfüllten die Handwerker mit Restlehm und verputzten es. So erscheint das Dach als schlanke Linie, die scheinbar schwerelos über dem Eingang schwebt.
Autor
Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur und Journalismus. Er arbeitet als Redakteur und freier Autor und lebt in Mainz.
„Alle reden von Nachhaltigkeit, die Baustoffe Holz und Lehm sind es“
Die mit Lehm und Faserdämmstoffen ausgefachte Holzkonstruktion ist komplett rückbau-, veränder- und reparierbar
Bautafel (Auswahl)
Projekt Haus J., Einfamilienhaus in Darmstadt
Planung und Bauleitung Schauer + Volhard Architekten BDA, 64285 Darmstadt
Bauzeit April bis Oktober 2012
Wohnfläche 120 m2
Tragwerksplanung Ingenieurbüro Wagner, Zeitter, 65185 Wiesbaden
Holzbau Georg Wagner Holzbau GmbH, 64658 Fürth/Odw., www.zimmerleute.de
Lehmbau Unger GmbH+Co KG, 64646 Heppenheim
Putz, Trockenbau, Malerarbeiten Jakob Heckwolf Malerbetrieb, 64807 Dieburg
Fenster Schreinerei Lauer, 36396 Steinau a.d. Str.
Haustechnik GfÖ Gesellschaft für Ökologie, 64283 Darmstadt
Herstellerindex (Auswahl)
Gründung (Schaumglasschotter) Geocell, A-4673 Gaspoltshofen, www.geocell-schaumglas.eu
Dach (Faserzement-Wellplatten) Eternit, 10719 Berlin, www.eternit.de
Dämmung (Zellulose) Isofloc, 34253 Lohfelden, www.isofloc.de
Fenster (Alu-Holz) Velfac , DK-8700 Horsens, www.velfac.de
Innenwände (ungebrannte Lehmsteine) Lehmprodukte Grün, 64354 Reinheim
Wandbelag/Trockenputz (Gipsfaserplatten) Fermacell, 47259 Duisburg, www.fermacell.de
Wandanstriche innen + außen Keim,
86420 Diedorf, www.keimfarben.de
Im Internet finden Sie weitere Fotos und Zeichnungen vom Bau des Einfamilienhauses in Darmstadt. Geben Sie hierzu bitte den Webcode in die Suchleiste ein.