Studenten und Flüchtlinge bauen in Mannheim ein Gemeinschaftshaus aus Holz

In Mannheim haben Architekturstudenten und Flüchtlinge ein Gemeinschaftshaus aus Holz gebaut. Besonders arbeitsintensiv war dabei der Bau von Gitterwänden und -trägern. Die Gitterwände werden von einem Tragwerk aus Holzlatten gehalten. Die Träger bestehen aus Fachwerkkonstruktionen.

Nach ihrer Ankunft in Deutschland sind Flüchtlinge oft zu einer langen Zeit der Passivität verurteilt. Schuld sind bürokratische Abläufe, die es diesen Menschen erschweren, eine Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung auf dem Gelände der ehemaligen US-Kaserne Spinelli Barracks in Mannheim sind sie mit dem Nötigsten versorgt. Die Umgebung auf dem Kasernengelände ist aber recht trostlos. Genau hier setzt das Projekt von 18 Studenten des Fachbereichs Architektur der TU Kaiserslautern an. Vor zwei Jahren bauten sie, gemeinsam mit 25 Flüchtlingen der Erstaufnahmeeinrichtung, ein Gemeinschaftshaus aus Holz. Das Haus hat überdachte Sitzbereiche, einen Ruhebereich im Innenhof und Platz für Werkstätten. Mit dem Bau erhielten die Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung die Gelegenheit, ihr Umfeld mitzugestalten und einen Ort für die gemeinsame Nutzung zu schaffen. Die Flüchtlinge verbesserten ihre Deutschkenntnisse, lernten das Arbeiten in Deutschland kennen und eigneten sich neue handwerkliche Fähigkeiten an. Die Architekturstudenten nutzten die Möglichkeit, einen tatkräftigen Beitrag im Rahmen der Flüchtlingskrise zu leisten. Zunächst wurde gemeinsam das Raumprogramm und Rahmenbedingungen erarbeitet. Unter Leitung der Fachgebiete Tektonik im Holzbau, Tragwerk, Material und Digitale Werkzeuge der TU Kaiserslautern entwickelten die Studenten Entwürfe. Die Arbeiten wurden einer Jury aus Vertretern der Bauherrschaft und der Fachgebiete präsentiert und der auszuführende Entwurf bestimmt.

Genehmigungen in kurzer Zeit

Im Anschluss daran wurden von der gesamten Gruppe  die Genehmigungs-, Ausführungs- und Tragwerksplanung, Visualisierungen, die Massen-, Termin- und Kostenplanung erarbeitet. Nur durch das besondere Engagement der Stadt Mannheim konnten die baurechtlichen Genehmigungen und öffentlichen Auftragsvergaben innerhalb kurzer Zeit durchgeführt werden. So konnte der Bau Mitte August 2016 beginnen. Bis Ende Oktober bauten, aßen und wohnten die Studenten zusammen mit den Flüchtlingen in den Spinelli Barracks. Eine intensive Arbeitsatmosphäre und positive Gruppendynamik entstand so im Team. Die Flüchtlinge fühlten sich in ihrer Situation ernst genommen und wertgeschätzt.

Die Architekturstudentinnen und -studenten erstellten zusammen mit den Flüchtlingen den Holzbau unter Leitung der Arbeitsgemeinschaft Krötsch Graf Kretzer Architekten und Ingenieure. Die Beton- und Dachabdichtungsarbeiten erledigten  Baufirmen. Als sich die Bauzeit durch verschiedene ungünstige Umstände von sechs auf zwölf Wochen verlängerte, beschloss die Studentengruppe, auf Urlaub und sonstige Vorhaben zu verzichten und bis zum Ende der Semesterferien durchzuarbeiten. Das Gebäude wurde Ende November 2016 feierlich übergeben.

Transportwägen und gleichzeitig Gerüste

Das Tragwerk, Wand- und Deckenoberflächen, der Bodenbelag und die Möblierung bestehen aus unbehandeltem Holz. Um sämtliche Tragwerksteile wie Wände und Dächer in nur sechs Wochen erstellen zu können, wurden großformatige Bauteile in einer ungenutzten Halle der ehemaligen Kaserne vorgefertigt und auf der Baustelle montiert. Das geringe Eigengewicht des Holzes erlaubte den Transport großer Teile mit einfachen Mitteln. Dazu entwickelten die Studenten Transportwägen aus Holz, mit denen eine einfache und unfallsichere Montage großer Wandelemente möglich war. Um 90° gedreht ließen sich die Transportwägen als Baugerüste nutzen. Die geschlossenen Wände des Pavillons sind Holz-Rahmenbauelemente aus KVH (Konstruktionsvollholz), beplankt mit Fichte-Dreischichtplatten, die außenseitig (Werkstatt/Kiosk) oder beidseitig (Ruheraum/Gemeinschaftsraum) mit einer hinterlüfteten Brettschalung aus Douglasienholz bekleidet sind. Die Dachkonstruktion ist eine Balkendecke aus KVH und Dreischichtplatten.

Wenig Beton, dank Einzelfundamenten

Die Leichtigkeit der Wandelemente erlaubte eine Gründung auf wenigen Einzelfundamenten (jeweils 1 m x 0,5 m groß) im Raster von etwa 3,50 m. Die vier Meter hohen Holzrahmenwände dienen als Träger. Dadurch konnten nicht nur entscheidend Kosten gespart, sondern auch die Menge des Betons verringert werden. An der 22 m langen Nordwand ist diese Einsparung der Fundamentierung auf die Spitze getrieben. In die Wand integrierte Sitznischen sind durch eine zwei Meter breite Überdachung regengeschützt. Die Trennwände benötigten dabei kein Fundament. Der Gebäudeteil mit einseitiger Dachauskragung und Trennwänden ist ausschließlich entlang der Rückwand gelagert. Er fällt nur deshalb nicht um, weil die mit Schrauben schubfest miteinander verbundenen Dreischichtplatten der Dachfläche als horizontaler Träger wirken. Damit entsteht zusammen mit der vertikalen Wand sowie den an beiden Wandenden befindlichen, gelagerten Querschotten ein aussteifendes Tragwerk.

Gitterwände aus Douglasien-Latten

Um Baukosten zu reduzieren und die vielen helfenden Hände effektiv einsetzen zu können, wurde auf den Einsatz von Großgeräten wie Kräne oder Transportfahrzeuge verzichtet. Dadurch kamen Konstruktionen und Bauprozesse zum Einsatz, die einfach und materialsparend, aber arbeitsintensiv sind. Sinnbildlich dafür sind die Gitterwände und -träger, die aus fünf Lagen vertikal und diagonal angeordneter Douglasien-Latten von 3 auf 5 cm zu einem Tragwerk verschraubt sind. Der Werkstoff Holz erlaubt aufgrund seiner geringen Querzugfestigkeit und der damit verbundenen Spaltgefahr in den Schraubverbindungen der Latten untereinander nur geringe Kraftübertragungen. Die Gitterwände kompensieren dieses holztypische Phänomen durch die Vielzahl tragender Latten und durch die Tatsache, dass eine Kraftweiterleitung von einer Latte auf die nächste nicht erforderlich ist.

Filigrane Fachwerkkonstruktionen

Im Gegensatz zu den Gitterwänden ist das Tragverhalten der beiden Gitterträger von 7 beziehungsweise 14,5 m komplex. Während bei den Wänden vertikale Lasten in direkter vertikaler Wirkungslinie abgetragen werden konnten, müssen vertikale Beanspruchungen auf Träger vom Inneren des Trägers zum Auflager geführt werden. Dieser Kraftfluss führt zur Aufsummierung der Kräfte zum Auflager hin, so dass die in den Verbindungen wenig tragfähigen Latten große Kräfte zu übertragen hätten. Die Konstruktion des kleinen Gitterträgers bedient sich deshalb leicht stärkerer Druckdiagonalen von 4 auf 5 cm, die mit Ober- und Untergurt durch Stirnversätze verbunden sind. Das ließen die wesentlich höheren Kräfte des großen Trägers nicht mehr zu. Um dennoch architektonisch das Erscheinungsbild von Gitterträger und Gitterwand einheitlich zu gestalten, wurden filigrane Fachwerkkonstruktionen in die Gitterträger integriert. Materialgerecht wurden Druckdiagonalen 8 auf 20 cm aus Holz eingesetzt, die durch Stirnversätze über einfache Kontaktpressung hohe Kräfte übertragen können. Für die zur Vervollständigung der Fachwerkkonstruktion notwendigen vertikalen Zugstäbe wurden filigrane Gewindestangen verwendet, die im Gitterwerk der verkleideten Träger fast nicht mehr in Erscheinung treten.

Die Gitterkonstruktionen verleihen dem Gebäude aber auch sein einzigartiges Aussehen. Das ornamentale Geflecht mit seinem Lichtspiel wird von den Flüchtlingen als Anleihe an orientalische Ornamente und als einladende Geste zur Identifikation an einem fremden Ort verstanden.

Autoren

Dipl.-Ing. Stefan Krötsch ist Juniorprofessor für Tektonik im Holzbau an der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern.

Andreas Kretzer ist Professor für Digitale Gestaltung und Darstellung an der Hochschule Stuttgart.

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