Filigranes Tragwerk aus Bretterbögen
Modellbauwerkstatt an der Universität LiechtensteinDie Studentinnen und Studenten der Architekturfakultät in Liechtenstein haben zusammen mit Zimmerern eine Modellbauwerkstatt aus Holz geplant und gebaut. Dabei entstand ein konstruktiv elegantes Gewölbe aus filigranen Bretterbögen, das die organische Spannung des Baustoffs Holz nutzt.
Im Rahmen eines Workshops wurde für die Modellbauwerkstatt der Universität Liechtenstein eine schwungvolle Konstruktion aus Brettern entwickelt, die elegant die organische Spannung des Naturbaustoffs Holz nutzt – eine „Entwicklung aus der Logik des Materials“, wie es Dr. Carmen Rist-Stadelmann und Prof. Urs Meister vom Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität formulieren. Sie leiteten jeweils eine der beiden Entwurfsgruppen des Workshops. Dieser war Teil des Erasmus-Programms „Crafting the façade“. Vorgegeben war dabei der Baustoff Holz für eine Nurdach-Konstruktion auf einem Grundriss von etwa 5 x 14 m.
Statische Experimente
Im Vorfeld experimentierten die Student/innen drei Tage mit Holzbrettern und -balken und entwickelten daraus verschiedene statische Konzepte für den Entwurf. Dabei blieben vier von ursprünglich acht Varianten übrig. In einer Variante schwingen dünne Bretter auf und ab – statisch gesehen Zweigelenk-Träger mit Ober- und Untergurt. In der nächsten Variante ist das Dach aus dreieckigen Elementen konstruiert. In einer weiteren Variante kreuzen Scharen von dünnen Brettern in mehreren Schichten übereinander. Die vierte Variante ist eine Konstruktion mit Dreigelenk-Trägern. Alle Varianten überarbeiteten die Studentinnen und Studenten und bauten sie als Prototypen im Maßstab 1:1, um sie konstruktiv zu überprüfen. Christoph Frommelt, Geschäftsleiter der Zimmerei Frommelt und fünf Zimmerer aus dessen Betrieb unterstützten die Student/innen bei ihrer Arbeit.
Spannung und Gegenspannung
Die letztendlich ausgewählte Variante ist eine Tragstruktur aus gebogenen Brettern für das Dach und den Boden. Für das Dach wurden zwei symmetrische Kreissegmente gegeneinander gelehnt, sodass sie einen nach oben spitz zulaufenden Bogen bilden. In vielen Versuchen und Bruchtests wurden die einzelnen Tragelemente optimiert. Für die Kreissegmente wurden 10 cm breite Bretter vor einer bogenförmigen Bretterschale wellenförmig ausgelegt und auf einer fix montierten Lehre um die halbe Breite versetzt miteinander verbunden. So entstehen zwei Gurte, die gegeneinander versetzt abwechselnd oben und unten laufen und sich durch Spannung und Gegenspannung stabilisieren. Druckstäbe verbinden die Gurte in ihren Hoch- sowie Berührungspunkten mit der Schale. In ihren Tiefpunkten sind sie, mit verleimten Hartholzkeilen unterfüttert, mit sichtbaren Schrauben direkt auf die Schale geschraubt. Dort, wo die Bretter stark gebogen sind, wurden sie dünner gehobelt. Durch Bruch an diesen Stellen entstand viel Ausschuss bei der Produktion. Trotz der Feinheit der Bretter konnte eine Höhe der Werkstatt von 5 m realisiert werden.
Schwungvoller Boden
Auch die Holzträger des Bodens werden von einer gebogenen Konstruktion unterstützt. Hier allerdings ist es nur ein Bretter-Bogen, der in seinen Drittelspunkten über einen Druckstab mit dem Träger verbunden ist. So liegen die filigranen Bretter geschützt unter dem Boden im Innenraum. Die Dachelemente bereiteten die Studentinnen und Studenten in einer Seminarwoche in der Werkhalle der Zimmerei Frommelt vor. Jedes Element ist in sich stabil, einen Meter breit und deshalb leicht in der Handhabung. Auf der Baustelle, hinter der Universität, richteten die Student/innen die Elemente von Hand und nur mit Hilfe einiger Böcke auf den Fundamenten auf. Im First verschränken sich die Bretter der Schale wie die Finger einer gefalteten Hand. In der Mitte des Firsts lassen sie Lücken für das Tageslicht. Eine quer aufgelegte, montierte Bretterlage stabilisiert das Dach in Längsrichtung und bildet die Unterlage für den Dachaufbau. Dieser besteht aus einer Dampfbremse, darüber 14 cm Glaswolldämmung, Holzfaserplatten, einer Steildachbahn, Hinterlüftung und schließlich der Wetterhaut aus Lärchenholzschindeln.
Selbstbau stärkt das Wissen
Entsprechend dem Fortschritt im Bauprozess lösten die Student/innen unterschiedliche Bauaufgaben, wie etwa den Dach- und Wandaufbau, die Stirnfassaden, die Dachlaterne und den gesamten Innenausbau. Anschließend bauten sie die Details. „Die dabei gemachten Erfahrungen im realen Maßstab stellen einen unschätzbaren Wert für die Studentinnen und Studenten dar“, sagt Dr. Carmen Rist-Stadelmann vom Institut für Architektur und Raumentwicklung der Uni Liechtenstein. Das computerbasierte Entwerfen habe das Entwickeln von Gebäuden aus der Logik der Materialien zunehmend aus der Architekturausbildung vertrieben, meint die Hochschuldozentin.
Die Studentinnen und Studenten freuten sich beim Bau der Modellbauwerkstatt über den Kontakt mit dem Baustoff Holz beim Bohren, Sägen und Hobeln. „Wer das Material kennt, weiß auch, zu was es fähig ist“, sagt Studentin Miriam Ender, „generell finde ich es vorteilhaft, dass wir in diesem Entwurf viel Handwerkliches gelernt haben. Ich bin mir sicher, dass man als Architekten dieses Wissen gut gebrauchen kann.“ Zum Beispiel bei der Kommunikation mit Zimmerern, um gemeinsam innovative Holzbauten zu entwickeln.
Autor
Achim Pilz ist Architekt, Baubiologe (IBN), Buchautor, freier Journalist und Chefredakteur von baubiologie-magazin.de.
Bautafel (Auswahl)
Projekt Modellbauwerkstatt der Universität Liechtenstein, 72 m² Nutzfläche
Bauherr Universität Liechtenstein, Institut für Architektur und Raumentwicklung, www.uni.li/de
Projektbeteiligte Entwurfsleitung Dr. Carmen Rist-Stadelmann und Prof. Urs Meister, 53 Studenten/Studentinnen der Architekturfakultät der Uni Liechtenstein
Holzbau Zimmerei Frommelt Ing. Holzbau AG, FL-9494 Schaan, www.frommelt.ag
Wandaufbau (von außen nach innen): Holzschindeln dreilagig, Hinterlüftung 40 mm, Steildachbahn „Siga Majcoat“, Gipsfaserplatte NBB 15 mm, Holzfaserdämmplatte 40 mm, Glaswolle „Saglan F50 Carbolane“ 140 mm, Dampfbremse „Siga Majpell“, Innenschalung Weisstanne 15 mm