Wie oft haben Sie heute schon gelogen?
„schreib doch was über Griechenland …“, antwortete mir meine Frau auf meine Frage, was ich denn im Editorial schreiben soll – also gut, im Sommerloch geht das: Griechenland ist ein schönes Land, es gibt dort hervorragenden Wein, und der Ouzo schmeckt nach dem Essen ausgezeichnet. Ich hatte mal einen Schulfreund, dessen Vater war Grieche. Georgios hieß der, ein netter Kerl mit einem wunderbaren Akzent. Ja, ein, schönes Land! Hach ja … Aber meine Frau meinte sicher die Griechenland-Krise, hm, ja – da war doch was …
Ich beobachte diesen Aufruhr mit Wohlwollen den Hellenen gegenüber und bin bisweilen amüsiert bis traurig oder gar schockiert, was deutsche Medien so verzapfen. „Die Schummel-Griechen machen unseren Euro kaputt“, „in Wirklichkeit sind die Griechen doppelt so reich wie wir“ oder „keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen“ – diese Zitate aus der Bild-Zeitung zeigen mir, wer die eigentlich Gierigen sind, die es mit der Wahrheit wohl oft nicht so genau nehmen: Der (Boulevard-)Presse wird mit jeder billigen reißerischen Meldung und mit jeder Zeitung, die verkauft wird, Geld in den Rachen gestopft!
Es geht in der Griechenland-Krise ganz allgemein um Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Wer lügt, wer gibt was vor, wer möchte sich besser (dar)stellen? Es geht um Tugenden, die jeder kennt und jeder für sich definieren muss. Denn die Wahrheit, die liegt bekanntlich in der Mitte und eines ist sicher: Die legt jeder für sich selbst ganz subjektiv aus. Und schon sind wir bei einem spannenden Thema mit der Frage, die man am besten an sich selbst testet: „Wie oft habe ich heute schon gelogen, beschummelt, nicht die Wahrheit gesagt, etwas verheimlicht?“ Nennen Sie es, wie Sie wollen. Sie werden aber wahrscheinlich herausfinden, dass Sie es heute schon getan haben. Manche Studien sprechen von zwei bis drei Lügen am Tag, andere von 200.
Wenn Sie sich also beim Lügen ertappt haben, dann sind Sie damit nicht alleine. Studien wollen herausgefunden haben, dass es bei den Menschen wenig regionale Unterschiede gibt. Allerdings spielt das Alter eine Rolle. Je jünger, desto mehr wird gelogen, meistens – weil das Selbstbewusstsein noch nicht so ausgeprägt ist – um sich gegenüber anderen besser zu stellen. Betagte Menschen lügen nicht so oft, das bringt wohl die Gelassenheit mit fortschreitendem Alter mit sich.
Auch wird mehr gelogen, wenn die Zeit knapp ist. Lügen ermöglichen uns also, schneller Entscheidungen zu treffen. In hektischen Zeiten wird folglich mehr gelogen. Aber es gibt auch gute Seiten: Lügen tragen zum sozialen Frieden bei. Schließlich müssen Sie dann nicht der Tante Elfriede beim Kaffeekränzchen erzählen, dass sie ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen hat. Vielleicht – wer weiß – würde sie diese Wahrheit aber auch vertragen!
Und was hat das alles mit Ihnen und dem Dach- und Holzhandwerk zu tun, fragen Sie sich nun sicherlich? Nun, so viel oder wenig, wie Sie sich auf diese Frage einlassen. Ich würde es gerne mal so sagen: Ich musste ein Editorial schreiben, mir ist nichts eingefallen, und das ist dabei herausgekommen. Und das ist die Wahrheit, oder: eben nicht gelogen!
Ich wünsche Ihnen eine feine Sommerzeit auf der Baustelle, eine ausgewogene Berichterstattung aus dem Baustellenradio und eine anständige Tageszeitung!
PS: Meine Frau ist übrigens meine Freundin, und ich war noch nie in Griechenland!
Rüdiger Sinn (verantwortlicher Redakteur der dach+holzbau bis 2018)