Tragfähig mit Vollgewindeschrauben

Die Pfosten-Riegel Konstruktion im Haus in der 840 Cambie Street in Vancouver wurde 1912 aus Douglasie (Konstruktions-Vollholz, Abmessung bis 300 x 300 mm, und Balken, Abmessung bis 300 x 580 mm) erstellt. Da diese massiven Holz-Querschnitte nicht bis auf eine Ausgleichs- Holzfeuchte von 12 bis 15 Prozent getrocknet werden konnten, bevor sie verbaut wurden, ergaben sich im Lauf der Zeit starke Trocknungsrisse, die bis zu 30 mm breit sind und tief in den Holzquerschnitt reichen. Risse dieser Größenordnung können die Fähigkeit des Holzes, schwere Lasten zu tragen, signifikant mindern und zu extremen Spannungsspitzen am Riss-Ursprung führen. Insbesondere in Bezug auf Schubbeanspruchung muss man davon ausgehen, dass der kontinuierliche Schubfluss im Holz nicht mehr sichergestellt werden kann und die Schubtragfähigkeit nachlässt.

Unterschiedliche Methoden der Sanierung

Bei einer Sanierung kann die Verstärkung des Holzes durch unterschiedliche Methoden erfolgen. Beispielsweise können Stahlträger angeschraubt oder Materialien aus Faserstoff aufgeklebt werden. Beide Methoden würden es mit sich bringen, dass die Bewohner während der Sanierungsarbeiten ausziehen müssten, da entweder schwere Maschinen für die Stahlträger oder stark riechende Chemikalien zur Epoxydharz-Verklebung eingesetzt worden wären. Die Räumung eines komplett genutzten, mehrstöckigen Gebäudes brächte allerdings enorme finanzielle Einbußen für die Besitzer mit sich. Diese Methoden wurden deshalb nicht in Betracht gezogen.

Beauftragt mit der Sanierung war das Read Jones Christoffersen (RJC) Ingenieurbüro Vancouver. Die Verantwortlichen schlugen eine andere Lösung zur Ertüchtigung der Balken vor: Zur Erhöhung der Tragkraft der Balken können Schrauben verwendet werden. Die Planer entschieden sich für ASSYplus-VG-Schrauben. Die Arbeit wurde durch die Baufirma Wallace and Company Construction Ltd. durchgeführt.

Verwendetes Material

Die Schrauben werden von SWG Schraubenwerk Gaisbach GmbH für die Adolf Würth GmbH & Co.KG hergestellt. In Kanada werden sie durch einen Vertriebspartner (MyTiCon Timber Connectors Inc.) verkauft. Diese Vollgewinde-Schrauben können mit Hilfe der angekniffenen Bohrspitze ohne Vorbohren, beziehungsweise wenn gefordert auch mit 80 mm tief vorgebohrtem Loch, direkt in die meisten Holzarten bis zu einer Dichte von rund 500 kg/m³ eingeschraubt werden. Typische rechnerische  Rohdichten von kanadischem Konstruktionsvollholz liegen im Bereich 350 kg / m³ bis 490 kg / m³. Bei Brettschichtholz liegen die Rohdichten zwischen 440 kg / m³ bis 490 kg / m³. Bei dem sogenannten „old growth“ Konstruktionsvollholz, welches vor etwa 100 Jahren aus den ursprünglichen Urwäldern der Westküste British Columbias entnommen wurde, sind Rohdichten von
600 kg / m³ oder mehr keine Seltenheit.  

Die Vollgewinde-Schrauben im Durchmesser 10 mm und bis zu einer Länge von 750 mm wurden auch im Haus in Vancouver verwendet, um die stark gerissenen Massivholzbalken und -stützen zu verstärken. Die Arbeiten konnten so durchgeführt werden, dass die eingemieteten Firmen nicht ausziehen mussten. Es wurden auch keine schweren Hebe-Vorrichtungen oder Maschinen benötigt, lediglich eine relativ große und starke Bohrmaschine (Milwaukee 3 / 4“ Super Hole-Shooter) zum Einschrauben der langen Schrauben in das sehr harte Douglasienholz (Rohdichte circa 610 kg/m³). Die tragenden Stützen wurden armiert, indem 300 mm lange Schrauben quer zum Faserverlauf eingedreht wurden, um ein weiteres Öffnen der Risse zu verhindern. Die massiven Hauptträger wurden durch das Eindrehen von bis zu 750 mm langen Schrauben in einem Winkel von 45° zum Faserverlauf verstärkt.

Armierung fördert den Fluss der Schubkräfte

Diese Anordnung der Schrauben ermöglicht es, den gleichmäßigen Fluss von Schubkräften entlang der Balken wieder herzustellen. Das hier angewandte Prinzip basiert auf der Annahme, dass steife Elemente Lasten auf sich ziehen. Weil die Schrauben im 45°-Winkel eingedreht werden (ungefährer Winkel der Schubfluss-Ausbreitung) werden die Scherkräfte nun von der steifen Verbindung zwischen Schraubengewinde und Holz angezogen – der Schubfluss findet entlang der Schraubenachse statt. Dadurch kann die Tragfähigkeit der gerissenen Balken bezüglich Schubbelastung wieder hergestellt werden. Um ein sauberes und gerades Eindrehen der langen Schrauben zu garantieren wurden die ersten 80 mm mit einem Bohrer (Bohrergröße = 0,7 x Gewindedurchmesser der verwendeten Schrauben) vorgebohrt. Während der gesamten Bauphase konnte das Gebäude wie gewohnt durch die Mieter – diverse Dienstleistungsfirmen – nahezu ohne Einschränkung genutzt werden. Die ausführende Baufirma nahm die Arbeit jeweils nach Feierabend auf und arbeitete bis spät in die Nacht hinein, sodass keine Störungen verursacht wurden.

Dieses Sanierungs-Projekt zeigt, dass alte Holz-Fachwerk-Konstruktionen ohne größere Einschränkungen für die Nutzer verstärkt werden können. Dabei kann das eindrucksvoll gewachsene alte Holz sichtbar bleiben ohne oder mit wenig Auswirkung auf das architektonische Erscheinungsbild. Für den Schraubenhersteller SWG liegt es in seiner Verantwortung, das kulturelle Erbe auch im Bereich der Architektur für die Nachwelt zu erhalten, und zwar in möglichst ursprünglicher Form. 

Autor

Max Closen ist Gründer von MyTiCon Timber Connectors Inc. und in Vancouver (Canada) verantwortlich für die technische Beratung und den Vertrieb von ASSY Schrauben.