"Stadt aus Holz" in Bad Aibling

Die „city of wood“ wächst auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne in Bad Aibling zu einem riesigen Experimentierfeld für Bautechnik und Architektur aus Holz heran. Wir von der Redaktion der dach+holzbau haben das Versuchsgelände Ende Februar besucht und die neuesten Infos und Fotos mitgebracht.

Es ist ein beglückendes Erlebnis, ein Gelände zu erkunden, auf dem so viele gelungene Holzbauten entstehen. Gemeint ist damit die „city of wood“ auf dem Areal eines ehemaligen Fliegerhorstes der Nationalsozialisten in Bad Aibling. Vor elf Jahren erwarb die B&O Gruppe die 70 Hektar große Militärbrache von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und ließ sich damit auf ein großes Wagnis ein.

Ein Stadtentwickler, der aus dem Handwerk kommt

Zur Jahrtausendwende erfand sich die B&O neu: Einst einer der größten Dachdeckerbetriebe Deutschlands ist sie heute ein bedeutender Dienstleister der Wohnungswirtschaft. Sie saniert und repariert den Wohnbestand der großen Immobilienbesitzer. Die B&O tut dies mit Mitarbeitern, die tatsächlich gewerkeübergreifend arbeiten und liefert dadurch alles aus einer Hand.

Als sie 2005 das Areal in Bad Aibling kaufte, erwarb sie nicht nur 52 alte Militärgebäude sondern auch die daran haftende Geschichte. Aus den Mannschaftsgebäuden der Kaserne, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gefangenenlager der US-Army waren, machte sie ein schickes Hotel. Die unrühmliche Geschichte des Ortes wird auf dem Gelände auch heute noch an den ins riesenhafte vergrößerten „Golfbällen“ sichtbar – Überreste der Folgenutzung als Abhörzentrale der USA. Der zwischen den Bestandsbauten auf dem Areal freie Platz wächst seit einigen Jahren zu einem riesigen Experimentierfeld für Bautechnik und Architektur aus Holz heran.

Stadtplanung ist die Königsdisziplin der Architektur – theoretisch zumindest. Denn am guten Willen und Plan allein kann man auch scheitern. Hinzukommen müssen Erfahrung und Pragmatismus, um Stadtplanung gelebte Praxis und gebaute Realität werden zu lassen. In Bad Aibling ist es vor allem diese Mischung gepaart mit einer gehörigen Portion Neugier und Freude am Ausprobieren, die die „city of wood“ zu einem großen Erfolg werden lässt – zu einem Ort, an dem Menschen unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft miteinander Wohnen und Arbeiten und das alles bezahlbar aus einem Baustoff aus der Natur im Einklang mit derselben. So entwickelte sich die B&O vom Dachdeckerbetrieb nicht nur zum Dienstleister der Wohnungswirtschaft, sondern an diesem Projekt auch zum Bauherrn, Konstrukteur, Designer, Forscher und eben auch zum Stadtplaner.

Vier- und Achtgeschosser aus Massivholz

Dem Grau der Lärchenholzfassade des viergeschossigen Holzhauses „H4“ sieht man mittlerweile an, dass es das erste Gebäude der „city of wood“ ist. Der Rohbau wurde 2010 nach Plänen des Architekten Arthur Schankula vom Holzbauer Huber & Sohn in nur vier Tagen aus in der Werkstatt komplett vorgefertigten massiven Holzelementen auf einem alten Keller aufgestellt. Bei dem mehrgeschossigen Wohnhaus handelt es sich um ein komplett aus Massivholz erbautes Gebäude, bei dem nicht nur die Innenwand- und Deckenelemente aus Massivholz bestehen, sondern auch die Außenwände als Blockständerwände aus dicht aneinander gefügten Kanthölzern hergestellt wurden. Selbst der Aufzugschacht ist aus Holz und wurde in einem Teil vorgefertigt und ebenso wie das offene und damit verrauchungssichere Treppenhaus vor das Gebäude gestellt. Insgesamt verarbeiteten die Zimmerleute in der Werkstatt von Huber & Sohn für das „H4“ 250 m3 Holz von Lärche und Fichte.

Ein Jahr später stellte das gleiche Team aus Handwerkern und Architekten das mit acht Geschossen doppelt so hohe Holzhaus „H8“ fertig. Statisch tragend sind bei diesem Haus die in Schottenbauweise auf­gestellten Massivholzinnenwände und die Massiv­­holzaußenwände der Schmalseiten. In der anderen Richtung dient das brandschutzbedingt aus Be­­tonfertigteilen aufgebaute Treppenhaus als Aussteifung, das, weil es eine Laubengangerschließung darstellt, ebenfalls als verrauchungssicher gilt.

Die Decken bestehen aus 20 cm dickem Brettsperrholz aus Kiefernholz. Ursprünglich sollten sie aus brandschutztechnischen Gründen abgehängt werden. Mit Kompensationsmaßnahmen wie Brandmeldern konnte man jedoch durchsetzen, dass die Decken unverkleidet bleiben können – bis auf die Flurdecken, die abgehängt wurden. Daher sieht das Holz der Decken ehrlicherweise so aus, wie es eben ist: roh und von minderer Qualität, was der Atmosphäre und dem Raumklima jedoch keinen Abbruch tut. Auch die Elektrokabel für die Deckenleuchten sind wegen der fehlenden Verkleidung unter den Holzdecken sichtbar befestigt.

Genau wie die tragenden Wandelemente wurden auch die nichttragenden Außenwände aus der Huber-Holzmassivwand errichtet, die im Werk komplett mit Fenster und Holzschalung beziehungsweise Putzträgerplatte vorgefertigt wurden. Insgesamt verarbeiteten die Mitarbeiter vom Holzbauer Huber & Sohn für das KfW Effizienzhaus 55 „H8“ 570 m³ Fichtenholz. Mit beiden Projekten loteten die Architekten und B&O die Möglichkeiten eines Bausystems aus Massivholz für den Geschosswohnungsbau aus.

Mehrgeschosser in Holz-Beton-Hybridbauweise

Und sie kamen zu einem Ergebnis: Die beiden Geschosswohnungsbauten aus Massivholz bieten wegen der zügigen Montage und Bewohnbarkeit sowie der hohen Ausführungsqualität aufgrund der Vorfertigung in der Werkstatt zwar Vorteile gegenüber „konventionellen Bauweisen“, sind im Vergleich mit diesen allerdings teurer. Um nun die Vorteile der Holzbauweise zu moderaten Kosten anzubieten – also auch unter Einhaltung der Förderkriterien des sozialen Wohnungsbaus – schlugen Architekt Arthur Schankula und Holzbauer Huber & Sohn einen Fünfgeschosser in Holz-Beton-Hybridbauweise vor, den sie direkt an ein bestehendes Kasernengebäude bauten. Das 2013 fertig gestellte KfW Effizienzhaus 40 ist sogar ein Plusenergiehaus, da es sich um ein durch die dena (Deutsche Energie-Agentur) gefördertes Projekt handelt, das entsprechende energetische Anforderungen erfüllen muss. Treppenhaus und Tragwerk bestehen aus Stahlbetonfertigteilen. Die tragenden Innenwände sind Stahlbetonhohlwände, die nach dem Versetzen mit Beton vergossen wurden. Auch die Geschossdecken bestehen als Hohldielen aus vorgespanntem Beton. Durch das geringe Gewicht dieser Elemente war es möglich, sie in fünf Geschossen übereinander auf die Holzständerwände aufzulegen, die von Huber & Sohn als in der Werkstatt komplett vorgefertigte geschosshohe Außenwandelemente angeliefert und montiert wurden. In der Werkstatt schraubten die Handwerker nicht nur die Fassade aus graubraun lasierten Lärchenbrettern als vertikale Schalung auf die Holzständerelemente, sondern bauten auch die Fenster ein, was trotz der notwendigen Koordination zwischen dem Betonbauer und dem Holzbauer insgesamt zu einer kurzen Bauzeit führte.

Gleich nebenan entsteht zurzeit nach Plänen des Architekten Petzenhammer ein viergeschossiges Wohnhaus ebenfalls in Holz-Beton-Hybridbauweise, das als Musterhaus so konzipiert ist, dass man es zur städtischen Nachverdichtung auf Parkplätzen aufstellen kann. Das Erdgeschoss besteht aus Stahlbetonwänden, die drei oberen Wohngeschosse wurden in Holz-Beton-Hybridbauweise mit massiven Holzaußenwänden errichtet.

Dreigeschosser mit unterschiedlichen Gesichtern

Auf dem Gelände der „city of wood“ entstanden auch Holzhäuser mit nur drei Geschossen, die allerdings unterschiedlicher nicht sein könnten. So handelt es sich bei dem 2013 nach Plänen der Architektin Claudia Petzenhammer (der Wettbewerbsentwurf stammt von Petzenhammer und Petzenhammer) vom Holzbauer Regnauer Hausbau Seebruck fertiggestellten Doppelhaus um eine Holz-Riegel-Konstruktion. Wie bei einer Villa der Moderne sind die mit einer horizontalen Lärchenholzschalung bekleideten Raumvolumen wohlproportioniert von einem bis zu drei Geschossen gestaffelt ineinander geschoben.

Die von 2013 bis 2014 nach Plänen des italienischen Stararchitekten und Designers Matteo Thun von Huber & Sohn aus massiven Holzelementen erbauten Reihenhäuser haben dagegen eine Fassade aus geflämmtem Lärchenholz, die die Handwerker mit Drahtbürsten bearbeiteten.

Nicht minder interessant sind die sechs dreigeschossigen Wohnhäuser des Architekten Andreas Hanke, der den von der B&O 2012 aus­gelobten Wettbewerb in der Kategorie Geschosswohnungsbau gewann. Decker Immobilien ließ sie 2014 von Huber & Sohn aus Massivholzelementen bauen. Die beiden unteren Geschosse der Häuser sind mit einer hori­zon­talen grau lasierten Lärchenholzschalung verkleidet, während das oberste Geschoss weiß verputzt ist. Auch hier wurde mit dem KfW Effizienzhaus 55 ein energetischer Standard nahe am Passivhaus erreicht.

Kinderkrippe als Röhre mit Lärchenholzschale

Das jüngste erst im Dezember vergangenen Jahres nach Plänen der Architektin Claudia Petzenhammer vom Holzbauer Wörndl fertiggestellte Gebäude der „city of wood“ ist die Kinderkrippe Sternenbrücke. Gleich einer hölzernen Röhre besteht ihr Tragwerk aus extrem gekrümmten Holzleimbindern, die sich im Scheitel der Röhre treffen. Dach und Wand gehen außen sowie Wand und Decke innen nahtlos ineinander über. Auf den Bindern befestigten die Zimmerleute vom Holzbauer Wörndl massive Profil-Holz-Elemente (PHE), wobei sie die 24 mm dicken Nadelholzbretter der Stapel-Elemente nur im vorderen Teil mit Aluminium-Rillenstiften befestigten. Dadurch lässt sich der Spalt zwischen den einzelnen Brettern im Stapel nach außen hin aufweiten, so dass die Profil-Holz-Elemente der Binderbiegung folgen können. Auch bei den geraden Innenwänden handelt es sich zum einen um Profil-Holz-Elemente, zum anderen um Holzständerwände, die die Handwerker mit Gipskartonplatten beplankten.

Außen schraubten die Zimmerleute eine Schalung aus unbehandeltem Lärchenholz mit jeweils 1 cm Abstand zwischen den einzelnen Brettern auf eine Lattenunterkonstruktion, die der gebogenen Form der Binder folgt. Die wasserführende Ebene befindet sich als kaltselbstklebende Elastomerbitumen-Dampfsperrbahn darunter und schützt wie bei einem belüfteten Flachdach als Abdichtung die auf den Profil-Holz-Elementen verlegte Mineralwolldämmung. Die Fenster und Türen der Kinderkrippe sitzen in farbigen Kuben aus Trespa-Platten, die in der Röhre aus Lärchenholzbrettern stecken.

Dieses jüngste fertig gestellte Gebäude der „city of wood“ macht einmal mehr anschaulich, worum es der B&O geht: unterschiedliche Wege im Bauen mit Holz ausprobieren, die zu architektonisch ansprechenden Ergebnissen führen.

Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Die „city of wood“ wächst zu einem riesigen Experimentierfeld für Bautechnik und Architektur aus Holz heran

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