Holzschraube verbindet Holzhaus
Leimfrei und metallfrei: In dem kleinen Ort Kreut in Bayern wurde ein kleines Büro aus Massivholzelementen fertiggestellt, das genau diese Attribute vereint. Verwendet wurde eine Schraube aus Holz, die es jedem Holzbauer ermöglicht, leimfreie Wände in Eigenregie herzustellen.
Die Brüder Sebastian, Benjamin und Jonathan Murr – der eine Architekt, der zweite Holzbauingenieur und der dritte Zimmerermeister – sammelten schon jahrelang im Betrieb des Vaters Hans Murr Erfahrungen im Holzrahmenbau, immer darauf bedacht, baubiologisch einwandfreie Materialien zu verwenden. Von den Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen angefangen über die verwendeten Farben bis hin zu Holz, das die Bauherren zum Teil selbst lieferten; sogar Mondholz wurde schon verwendet, um die Holzhäuser zu bauen und widerstandsfähiger zu machen.
„Irgendwann ist dann unser Interesse gewachsen, ein Haus wie aus einem Stück Holz zu bauen“, erzählt Sebastian Murr. Mit diesem Schritt rückte der Massivholzbau zusehends ins Zentrum der Firma.
Homogener Wandaufbau
Das Thema ökologisches Bauen und Baubiologie war immer schon präsent bei der Familie Murr, Hans Murr selbst ist Zimmerermeister und zertifizierter Baubiologe. Die Söhne denken gleich, nämlich so wenig wie möglich Metall oder Leim in eine Wandkonstruktion einzubringen, um die Materialität so homogen wie möglich zu halten. Das sei am ehesten mit einer massiven Holzwandkonstruktion zu erreichen, erklärt Sebastian Murr. Zu Beginn der Entwicklung der massiven Wand war man sich über den Wandaufbau allerdings noch im Unklaren. Bis die erste massive Holzwand ohne Leim und Schrauben stand und 2005 das Patent dafür angemeldet wurde, war eine lange Entwicklung nötig. Heraus kam schließlich ein dreischichtiger Aufbau (horizontal, vertikal, diagonal angeordnete Holzlagen) der Wandelemente.
Massivholzwand ohne Leim und Metall
„Auf der Suche nach einem System, das ebenso wie unser bisheriger Ständerbau konsequent auf Baubiologie setzt, überzeugte uns keines der auf dem Markt verfügbaren Produkte“, erinnert sich Benjamin Murr, der Holzbauingenieur, zurück. Verleimte Platten schieden deshalb von vornherein aus, ebenso Metallverbindungen. Bei den von Kollegen verwendeten einstofflichen Verbindungen aber störte die Entwickler der hohe Anlagenaufwand bei eigener Fertigung, beziehungsweise die Tatsache, dass die Wertschöpfung beim Zukauf von fertigen Wandtafeln zu großen Teilen aus der Hand gegeben werden muss.
„Ist es nicht möglich einen Holzdübel wie eine Metallschraube in das Holz zu drehen?“, war irgendwann die zentrale Frage. Viele Versuche und Prototypen waren nötig, bis dann der sogenannte Kerbig entwickelt war (der Kerbig bezieht sich auf die Vertiefung des Schraubengewindes, von Kerbe = Vertiefung). Dieser Kerbig, eine 140 mm lange Holzschraube, hält die kreuzlagige und diagonale Brettschichtholzkonstruktion der massiven Wandelemente zusammen. Er besteht aus Hartholz und wird im Betrieb selbst gefertigt. Allerdings sind auch andere Schraubenlängen möglich, je nach gewünschter Wandstärke.
2010 erfolgte dann die Erteilung des europäischen Patents für diese Technik und seitdem werden bei der Hans Murr, Häuser in Holz GmbH die Wandelemente für die individuell gestalteten Häuser nur noch so gefertigt. Circa 50 Holzhäuser wurden schon nach diesem Prinzip produziert.
Ein Holzhaus am Hang
2011 bauten die Brüder dann in dieser Technik ein eigenes Haus. Da wurden nämlich die Büroräume des Holzbaubetriebes, der in einem Gewerbegebiet auf dem Gelände der ehemaligen Tilly-Kaserne bei Neuburg an der Donau steht, zu klein. Was lag nun näher, als ein kleines kompaktes Holzhaus mit den Wandelementen aus dem eigenen Betrieb zu bauen.
Von seiner exponierten Lage an einer Böschung kragt das Büro zwei Meter aus und zieht so die Aufmerksamkeit der Besucher im Hof der Zimmerei auf sich. Die Fassade besteht aus einer Lärchenschalung. Die großformatigen Fensterflächen lassen sich mit Schiebeelementen sowohl aus Sicherheits- wie aus Sonnenschutzgründen schließen und sorgen dafür, dass der Kubus im Laufe des Tages mehrmals seinen Charakter durch die veränderte Lichteinstrahlung ändert. Vom geschlossenen und massiv erscheinenden Holzblock verwandelt er sich so in einen lichtdurchfluteten Arbeitsraum mit großzügigen Fensteröffnungen.
Klare Gliederung des Raumes
„Unser Ziel war es, einen klaren, übersichtlichen und hellen Arbeitsraum zu schaffen, der gleichzeitig wie ein Galerieraum das neue System ausstellt“, erklärt Architekt Sebastian Murr. Der Innenraum wird gefasst und organisiert durch massive Wandscheiben, die Regale, Stauräume, eine Couch und auf der Außenseite die Schiebeelemente aufnehmen. Die großen Glasscheiben (die größte mit einer Abmessung von 2,75 x 2,95 m) vermitteln dabei den Eindruck als würde das Grün der Umgebung direkt in den Raum hineinfließen. Als tragende Wände wurden, wie schon erwähnt, das eigene Massivholzwandsystem M3 (3 steht für drei Lagen) verwendet.
Beim dem Büroneubau folgen auf die Massivholzwand zwei Dämmebenen mit jeweils 100 mm aus weichen Holzfasermatten. Das dazu gehörige Riegelwerk ist bei der inneren Dämmebene vertikal, bei der äußeren horizontal montiert. Auf diese Weise gibt es nur an den Kreuzungspunkten durchgehendes Riegelwerk, das die Innere mit der äußeren Gebäudestruktur verbindet. Zusammen mit den Holzfaserdämmebenen wird ein hervorragender U-Wert von 0,13 W/m2K erreicht.
Bau als Experimentierfeld
„Das Haus ist das Experimentier-Projekt, wo wir alles mögliche ausprobiert haben“, sagt Sebastian Murr. „Da steckt viel Herzblut und handwerkliche Arbeit drin. Wir können den Besuchern hier zeigen, was alles möglich ist“, erzählt Murr weiter. Angefangen von einer großen Dämmstärke mit einem hervorragenden Dämmwert, über Schiebeläden bis zur Lärchenschalung, die sehr feingliedrig und von hinten, also verdeckt, geschraubt ist. Und diese innovative Bauart scheint den Besuchern zu gefallen und den Erbauern natürlich auch. „Wir sind stolz auf das, was wir gebaut haben, das Haus ist ein Kleinod das man gerne und immer wieder herzeigt.“
Autor
Rüdiger Sinn ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift dach+holzbau.
Der dreischichtige Wandaufbau ist homogen und baubiologisch korrekt
Das Haus war für die Erbauer Leidenschaft und Experimentierfeld zugleich
Bautafel (Auswahl)
Projekt Haus Tilly (Arbeitstitel), Am Straßweiher 2,
86697 Oberhausen/Kreut
Architekt Dipl. Ing. Sebastian Murr, Diessen am Ammersee
Tragwerksplanung Dipl. Ing. Benjamin Murr,
Neuburg an der Donau
Zimmerermeister Jonathan Murr, Neuburg an der Donau
Bauherr Hans Murr, Häuser in Holz GmbH
Fertigstellung 2012
Wandaufbau (von innen nach außen)
Fermacellplatte 12,5 mm
Massivholzwand M3, 140mm
gedämmtes Riegelwerk, senkrecht, 100 mm (Dämmmaterial: Holzfasermatten, weich)
Holzfaserplatte, hart, 35 mm
gedämmtes Riegelwerk, waagrecht, 100 mm (Dämmmaterial: Holzfasermatte, weich)
Holzfaserplatte, hart, 35 mm
Konterlattung, 50 mm
Boden / Deckel-Schalung Lärche, 44 mm (je 22 mm), unbehandelt, verdeckt von hinten geschraubt
Schiebeelemente Lärchenschalung auf Unterkonstruktion, 120 mm
Deckenaufbau (von innen nach außen)
Die M3-Produktion ist für jeden Holzbaubetrieb möglich
Das Holzbau-Wandsystem wird bereits von verschiedenen Zimmereien angewandt, auch von kleineren Betrieben. Es ermöglicht eine Produktion von Massivholzwänden, die ohne aufwändige Anlagentechnik und somit hohen Investitionen auskommt, wie sie vergleichsweise bei traditionellen Holzdübel-Verbindungen oder verleimten Wänden notwendig ist. Gleichzeitig sind diese Zimmereien unabhängig von der industriellen Wandproduktion und behalten die komplette Wertschöpfung im eigenen Betrieb.