Spätmittelalterliches Fachwerkhaus saniert

Der Architekt und Zimmermann Rolf Klärle sanierte eine besonders schöne, spätmittelalterliche Fachwerkkonstruktion aus Eichenholz mit kompliziert verblatteten Holzverbindungen. So gibt er dem historischen Zentrum von Bad Mergentheim eine einmalige, historische Fassade zurück.

In Bad Mergentheim wurde 1460 in der Ochsengasse ein Lager oder eine Werkstatt mit einem Fachwerk aus Eichenholz gebaut. Im Laufe des 16. bis 17. Jahrhunderts wurde das Gebäude grundlegend zum Bauernhaus umgebaut, erhielt einen Gewölbekeller und als Anbau eine Scheune. 2013 kaufte der Architekt Rolf Klärle das inzwischen abbruchreife Haus. Als altbauerfahrener Planer und gelernter Zimmermann wollte er es neu beleben. Als er die Fassadenverkleidung auf der Rückseite abnahm und die Wände und Decken öffnete, wurde jedoch erst das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar. Doch der gelernte Zimmermann ließ sich davon nicht abschrecken. „Da relativ viel Substanz des spätmittelalterlichen Tragwerks erhalten war, wollte ich diesen Originalzustand so weit wie möglich wieder herstellen“, sagt Klärle, „das Fachwerk ist eines der wenigen dieser Art im Umkreis. Mir war es wichtig, es in seiner ursprünglichen Art zu zeigen.“

 

Behutsame Modernisierung

So reparierte er die Holzkonstruktion in handwerklicher Zimmermannsarbeit und machte sie dadurch sowohl außen als auch innen wieder sichtbar. Wegen der Nachbarbebauungen waren in den Traufseiten keine Fenster möglich. Durch horizontale Schlitze im Dach und Öffnungen in den Decken ließ der Architekt dennoch Tageslicht tief ins Gebäude eindringen. Das Obergeschoss und die Dachgeschosse des Denkmals beherbergen heute eine große Wohnung über drei Ebenen. Im Erdgeschoss ist das Büro des Architekten untergebracht.

 

Schiefes Tragwerk

Als Rolf Klärle das Haus 2013 kaufte, war das Tragwerk noch sehr stark verformt mit bis zu 50 cm Höhenunterschieden. So war beispielsweise die Traufseite der 2,40 m langen Balken über der Einfahrt 30 cm niedriger als auf der gegenüberliegenden Seite. Das war wahrscheinlich auf den nachträglichen Einbau des Kellers zurückzuführen. Der südliche Teil des Hauses war insgesamt etwas abgesackt und nach Osten und Westen abgeknickt. Durch das seitliche Absinken kam es zu Brüchen im gesamten Tragwerk: Bundbalken waren in vielen Geschossen gebrochen, Anschlüsse hatten sich gelöst. Die Traufwand im Osten war durch eindringendes Regenwasser besonders stark zerstört. Alle Deckenbalken- und Sparrenköpfe waren auf gut der halben Gebäudelänge zerstört. Der verputzte Giebel zur Straßenseite war etwas besser erhalten als der zur Hofseite liegende Giebel, der bis zur Sanierung hinter Wellplatten verborgen war.

Bewegliche Konstruktion

Die Zimmerer hoben das 13 m lange Tragwerk des Hauses mit fünf hydraulischen Zylindern an der westlichen Traufe bis zu 30 cm an, an der östlichen Traufseite um bis zu 20 cm. Von Hand wurden die Zylinder zuerst um wenige Zentimeter hochgepumpt. Dann wurde etwas abgewartet, damit sich alle Eichenbalken zurückbiegen konnten. Innerhalb von zwei Tagen war eine Seite des Hauses abgeschlossen. Entlang der Mittelachse senkten die Zimmerer das Tragwerk teilweise sogar wieder um einige Zentimeter ab. Schließlich verschob man die südliche Hälfte des Hauses horizontal um 10 cm, damit die Stützen wieder etwas besser im Wasser stehen. „Wenn man sich mal so intensiv mit einem mittelalterlichen Haus beschäftigt, merkt man, dass es total einfach und archaisch ist. Da stecken noch überall die Holznägel drin, sodass man es auseinandernehmen und wieder zusammenstecken kann. Das hat mich sehr beeindruckt“, berichtet Rolf Klärle. Die gesunden Fachwerkhölzer strahlte der Architekt und Zimmerer von außen mit Trockeneis ab und bürstete das gesamte Gebälk. „Es kamen wunderschöne Holzbalken zum Vorschein“, sagt er begeistert.

 

Handwerkliche Verblattungen

Nun konnte das Tragwerk aufwendig handwerklich saniert werden. Rolf Klärle erneuerte Kopfbänder, reparierte Bundstreben, Klammerbüge (eine württembergische Form einer geblatteten Strebe zur Horizontalaussteifung) und baute ganze Wände wieder auf, immer mit handwerklich originalen Verblattungen. An gebrochene Balken wurden neue Stücke mit einfachen Verblattungen angesetzt und verleimt. Der Statiker hatte im Vorfeld die Verbindungsarten systematisiert. Die Verblattung der Deckenbalken wurden abschließend mit Stabdübeln aus Edelstahl kraftschlüssig verbunden, die der Wandelemente wie Riegel und Klammerbüge mit Vollgewindeschrauben. Das Ergebnis ist überzeugend. „Man denkt, die handbehauenen Balken sind alle krumm und schief, aber manches neue Dach ist nicht so eben wie dieses“, gibt Klärle zu bedenken.

Bei der Sanierung des Tragwerks fand er auch einen kleinen Balken in der Abseite der Traufe. Er hatte die Nummer 1 des ersten Bundes und sitzt heute wieder an seiner ursprünglichen Stelle, an der bauzeitlich das Rauchloch gewesen war.

 

Fensterbänder im Dach

Auch die neue Belichtung wurde mit dem Denkmalamt abgestimmt. Im Dach bestand Klärle auf horizontale Lichtbänder. Im Osten baute er ein 9,6 m langes Lichtband ein. Jeweils am Anfang und am Ende des ansonsten fest verglasten Bandes lässt sich ein breites Lamellenfenster öffnen. Auch nach Westen gibt es ein Fensterband. Es liegt etwas höher, ist schmaler und komplett fest verglast. Neu sind auch die Dreiecksfenster oben in den Giebeln. Die Öffnungen für die zwei kleinen Fenster darunter sind vermutlich original. Erhalten und aufarbeiten konnte er die beiden historischen Fenster in der westlichen Traufseite.

Soweit es ging, verwendete Klärle bauzeitliche Materialien wieder. Alle Holzreparaturen und Ergänzungen führte er in Eiche aus. Wie zur Bauzeit verwendete er auch Holznägel. Beim Anheben der Westwand konnte er das Lehmflechtwerk erhalten. Es wurde danach reduziert ausgebessert und zurückhaltend mit fliederfarbener Lehmfarbe gestaltet.

 

Beidseitig sichtbares Fachwerk

Klärle wollte das so umfangreich sanierte Fachwerk sowohl nach außen als auch nach innen zeigen, obwohl die Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA) in ihrem Merkblatt zur „Ausfachung von Sichtfachwerk“ eine solche Lösung als problematisch bezeichnet. Denn es fehlt eine durchgängige winddichte Schicht. Nach Absprache mit einem Bauphysiker entschied sich Klärle dennoch, das Fachwerk beidseitig zu zeigen und die Gefache auszudämmen. Die Gefachefelder haben zwar viele Anschlusspunkte, die schwierig dicht zu bekommen sind, aber nur relativ kleine Flächen.

 

Diffusionsoffen und kapillaraktiv

Der Bauphysiker riet zu robusten, diffusionsoffenen und kapillaraktiven Materialien, welche die Giebelfassaden trocken halten: Auf einer Unterkonstruktion aus Holzlatten dichtet nach außen nun ein Kompressionsband eine Putzträgerplatte aus Holzfasern ab. Innen schließen Gipsfaserplatten die Felder. Der Raum zwischen den Platten ist mit Holzweichfaser gedämmt. Die inneren Platten erhielten einen Rotkalkputz, die Hölzer blieben roh. Außen wurde das Fachwerk wie ursprünglich mit Leinöl gestrichen. Ein mineralischer Außenputz im Gefach unterstützt das Abtrocknen von Regenwasser und von Kondensationsfeuchte.

Wichtig ist bei dieser Bauweise eine Kontrolle, ob alles dauerhaft dicht ist. Fugen können vor allem durch langsam schwindendes Neuholz entstehen. Und tatsächlich mussten Fugen im Holz der Mittelstütze auf der Straßenseite nachträglich geschlossen werden.

 

Weitere energetische Ertüchtigung

Das Dach mit 65° Neigung erhielt eine Zelluloseeinblasdämmung (260 mm Dicke), so dass die alten Balken noch sichtbar sind. Über den Sparren wurden Holzfaserplatten verlegt, darüber eine Konter- und Traglattung montiert und die ursprünglichen Biberschwanzziegel auf dem Dach verlegt.

Um bei der Decke über der Durchfahrt in den Hof genug Raumhöhe zu erhalten, dämmte Klärle den Boden von innen mit EPS-Dämmplatten. Schließlich dämmte er beide Traufseiten: die westliche außen mit 6 cm Holzfaserdämmung, die östliche mit porosierten Ziegeln und Porenbetonsteinen. „Damit ist ein Großteil der Außenhülle gut gedämmt“, sagt Klärle zufrieden. Der berechnete Jahres-Primärenergiebedarf Q nach EnEV beträgt 107 kWh/m²a und erreicht das Niveau eines KfW-Effizienzhaus 115.

 

Ausgezeichnet mit Denkmalschutzpreis

Der Zimmermann und Architekt Rolf Klärle hat eines der ältesten Häuser in Bad Mergentheim einfach und gleichzeitig ausdrucksvoll saniert und für die Nachwelt gerettet. Insgesamt 4000 Stunden hat er eigenhändig an dem Haus gearbeitet, das nun wieder das Stadtbild prägt. Das sanierte Haus wurde mit dem Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet. Sein Fachwerk wirkt heute wieder ruhig und archaisch und ist nicht nur ein großer Gewinn für Bad Mergentheim, sondern auch für die Baukultur insgesamt.

 

Autor

Achim Pilz ist Architekt, Baubiologe (IBN), Buchautor, freier Journalist und Chefredakteur des Baubiologie Magazins.

Bautafel (Auswahl)

Projekt Sanierung der Fachwerkfassade eines Wohnhauses in Bad Mergentheim

Nutzfläche 170 m² (Wohnen) + 106 m² (Büro)

Baujahr etwa 1460, Sanierung bis 2020

Bauherr Rolf Klärle, Architekt und Zimmermann,

Planung Architekturbüro Klärle, Bad Mergentheim, www.klaerle-architektur.de 

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