Riesenbinder im Gewerbebau

Ein großes Einkaufszentrum muss kein Klotz sein. Eines, das architektonisch anders daher kommt, ist das EKZ Mühlencenter nahe Hamburg. Im Dachstuhl wurden rund 300 Kubikmeter Holz verbaut. Zum Einsatz kamen große Pultbinder sowie Parallelbinder mit einem Kragarm von 4,60 Metern.  

Häufig sind große Einkaufszentren in Industrie- und Gewerbegebieten in sachlicher Architektur erbaut, die nicht gerade von architektonischer Raffinesse geprägt ist. Im Vordergrund bei der Projektentwicklung stehen in den meisten Fällen monetäre Sachzwänge, die sich später in Raster- und Pauschalarchitektur darstellen. Dass aber gerade der sinnliche Aspekt ganz erheblichen Einfluss auf das Wohlfühl- und damit auch Einkaufsverhalten hat, wird dabei gerne übersehen. Ein Einkaufszentrum, das all diese pragmatischen Erwägungen auf den Kopf stellt und dennoch ein gutes Preis-Leistungsverhältnis hat, ist das kürzlich fertig gestellte EKZ Mühlencenter in Glinde bei Hamburg. Das Gebäude beinhaltet sieben Einzelhandelsflächen und ein Parkdeck sowie eine Tiefgarage mit insgesamt 234 Stellplätzen.

 

Architektur vereint Form und Funktion

Der Entwurf für das Einkaufszentrum in Glinde vereint zum einen alle Anforderungen an Form und Funktion und ist zum anderen von der Kostenseite nach pragmatischen wirtschaftlichen Statuten optimiert. Und trotzdem ist der Bau ansprechend: Wer darauf zufährt, ist überwältigt von den organischen groß dimensionierten Formen.

Der Entwurf zu diesem Einkaufszentrum stammt aus der Feder des Hamburger Architekturbüros h-k-t Elke Hackel-Kaape und Alfredas Trimonis, die seit über 20 Jahren interessante Entwürfe, besonders auch im Wohnungsbau, verwirklichen.

 

Stahlbeton und Holz

Die Konstruktion des Gebäudes besteht in der Hauptsache aus Stahlbeton. Die beiden Ebenen beinhalten die Flächen für die Einzelhandelsbetriebe. Die Fassadengestaltung der Erdgeschossebene ist mit einer Pfosten-Riegelkonstruktion, die obere Ebene bis zu den Dachkanten mit Alu Profiltafeln der Firma Kalzip GmbH in der Farbe Red Copper 3D beschichtet. Dieser Fassadenbereich ist auch mit integrierten LED Leuchten versehen. Das Einkaufszentrum hat eine Dachfläche von rund 7700 m², wovon 500 m² ein Gründach haben. Der umbaute Raum beträgt 27 000 m³. Im Dachstuhl wurden rund 300 m³ Holz verbaut. Das Dach unterteilt sich in sechs Teilbereiche. Zum Einsatz kommen große Pultbinder sowie Parallelbinder mit einem Kragarm von 4,60 Metern. Vier dieser Binder sind hintereinander gespannt, wobei die größte Spannweite 20 Meter beträgt. Schon das sind gewaltige Dimensionen, aber in der industriellen Fertigung ist sogar mehr drin. So fertigt der Hersteller, die Firma Opitz Holzbau, Binder in noch größeren Abmessungen. „Bis zu 35 Meter freitragend sind Binderkonstruktionen möglich“, sagt Projektleiter André Schilcher.

 

Verschiedene Materialien, wirtschaftliche Fertigung

Die ganz unterschiedliche Dachneigung, vorgegeben durch die organische Form, wurde durch die immer geringer werdende Höhe der Binder realisiert. Dabei liegen diese auf Brettschichtholzträgern, die auch von der Firma Opitz geliefert wurden, oder Stahlbetonbalken als Oberzüge auf. Die Giebelwände werden durch Untergurtverbände mit einer Spannweite von 30 Metern ausgesteift. Teilweise sind Wandelemente auf Stahlbetondecken in die Dachkonstruktion integriert, um Technikbereiche zu umschließen. Diese Möglichkeit bei den Dachtragwerken ist wirtschaftlich: Während auf der Baustelle die Stahlbetonelemente gefertigt wurden, konnten parallel im Werk die Wandelemente gebaut werden. Die Technik und andere nicht sichtbare Elemente verschwinden in dem vom Dach eingeschlossenen nach oben offenen Deckenbereichen. Die Dämmung wurde mit 100 mm Mineralwolle (WLG 040) ausgeführt, die Deckung in Teilen mit den Profilen von Kalzip, ansonsten durch eine mit Schalung und der verschweißten Folienabdichtung.

 

Holzbinder auch im Bereich der Fassade

Auch in großen Bereichen der Fassade wurden Binder als Unterkonstruktion eingesetzt. Hierfür sind teilweise Binder an Binder bis zu sechs Meter nach unten abgehangen. Auf der Oberseite wurden dann die Schalungen eingebaut. Binder, die die Dachhaut und die Unterdecke tragen, bilden gleichzeitig am Gebäudeende einen Dachüberstand von 2,20 Meter. An diesem Dachüberstand wurden seitlich weitere Binder befestigt, die bis zu sechs Meter nach unten abgehangen wurden. Die abgehangenen Binder wurden entlang der Dachkante kontinuierlich kürzer, um der unteren schrägen Dachform zu folgen. Somit war fast kein Binder gleich wie der andere. Auch durch die Abtreppung (der Dachneigung folgend) hatten diese Binder unterschiedliche Höhen. „Es wurden fast 299 verschiedene Binderpositionen verbaut“, berichtet Projektleiter Schilcher. Entgegen „normalen Konstruktionen“ gab es hier somit für jeden Binder nur genau einen Standort und dementsprechend eine ausgeklügelte Logistik: Es musste, beginnend bei der Produktion, beim Verladen und beim Entladen, berücksichtigt werden, wo der Binder anschließend eingebaut wurde. Dank einer genauen Planung wurde ein zeitaufwendiges Umstapeln der Binder während der Montage verhindert.

 

Schwierige Aufgabe der Monteure bei der Montage

Die Montage erfolgte „Zug um Zug“: Sobald im Erdgeschoss ein Stahlbetonabschnitt fertig war war, wurde die Dachkonstruktion aufgestellt. Teilweise wurden Binder gleichzeitig mit den beiden Baustellenkränen und einem zusätzlichen Autokran montiert.

Da die Größe des Dachstuhles die gewöhnliche um ein Vierfaches überstieg, war hier große Umsicht und Erfahrung vonnöten. Dabei mussten auch Sicherheitsmaßnahmen beachtet werden, wie der Einbau zusätzlicher Hölzer zur räumlichen Aussteifung, Anschlussdetailpunkte, die Einbaurichtung der Binder usw. Auch deshalb ist der Projektleiter hoch nach dem Abschluss des Projektes zufrieden: „Diese komplexe Aufgabe konnte ausschließlich von Monteuren ausgeführt werden, die über große Erfahrungen in der Montage von Nagelplattenbindern verfügten“, sagt André Schilcher.  

Autorin

Sabine Opitz-Becker betreibt ein Marketingbüro in Köln und ist zuständig für die Kommunikation der Firmen Opitz Holzbau und Opitz Solar.

In der industriellen Fertigung sind Binderkonstruktionen bis 35 Meter möglich

Herstellung der Fertigteile

Alle Holzkonstruktionen wurden in der Opitz „Zukunftsfabrik“ in Neuruppin (Brandenburg) hergestellt. Von dort gingen die Binder auf die Reise nach Hamburg. Die Namensgebung der Fabrik rührt von der optimierten Energiebereitstellung und der ökologischen Bauweise. Nach Herstellerangaben werden rund 75 Prozent der Energie durch Photovoltaik (auf dem Dach und auf Carports) selbst erzeugt. Zudem wurde beim Bau viel Holz verwendet (Verwaltungsbau in Holzständerbauweise) und das Material des Altbaus komplett recycelt.

Bautafel (Auswahl)

Projekt Einkaufszentrum Mühlencenter in Glinde

Auftraggeber J & J Bau u. Bauträger GmbH

Baujahr 2009/2010

Planung h-k-t Architekten, Hamburg

Dachkonstruktion Nagelplattenbinder Opitz Holzbau

Brettschichtholz Poppensieker & Derix GmbH 

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