Insektenfraß – Problem oder Einzelfall?

Auf einem Steildach eines landwirtschaftlich genutzten Gebäudes wurde 2005 eine Unterdeckbahn verlegt. Nach dem Bruch von Dachziegeln, stellte der Bauherr 2011 fest, dass seine Bahn durchlöchert ist. Ein Gutachter bestätigte Insektenfraß. Wird dieses Phänomen unterschätzt oder handelt es sich nur um einen Einzelfall?

Jeder verantwortungsbewusste Baufachmann ist bemüht, die zum Zeitpunkt seiner Baumaßnahme gültigen anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Dazu orientiert er sich nicht nur an den für das Bauteil maßgebenden Verordnungen, Normen und Fachregeln, sondern auch an den vom Materialhersteller veröffentlichten Verarbeitungshinweisen, technischen Datenblättern und – im Fall einer Dacheindeckung – bei der beim ZVDH hinterlegten Materialgarantie. In Deutschland gilt es für Steildächer neben den Fachregeln des ZVDH die gültigen technischen Normen, in Österreich die ÖNORM B 4119 und ONR 22219 zu beachten. In allen genannten technischen Unterlagen fehlt bisher allerdings jedweder Hinweis auf die Problematik der Beschädigung von normgemäßen Unterdeck- und Unterspannbahnen für Dacheindeckungen durch Insekten. Insbesondere bei Verlegung solcher Bahnen aus anorganischen Stoffen, wenn diese ausdrücklich für den Anwendungsbereich ausgewiesen sind. Auch in der Fachliteratur findet man bisher – aus Unkenntnis oder Interessenkonflikten entzieht sich meiner Kenntnis – keine Hinweise auf diese Problematik. Es gab bisher vereinzelt Gerüchte darüber, dass sich Dachbahnen „auflösen“ würden, doch auf Nachfrage nach belegbaren Objekten konnten diese nicht benannt werden.

Der Schadensfall: eine zerfressene Unterdeckbahn

Nun gibt es allerdings einen Schadensfall und damit könnte eine Diskussion über die Beständigkeit von Dachbahnen gegen Insekten neu geführt werden.

Auf dem rund 500 m² großen Steildach eines landwirtschaftlich genutzten Gebäudes wurde im Juli 2005 eine Unterdeckbahn auf einer Brettschalung vom Dachdecker gemäß den Verarbeitungsrichtlinien des Bahnenherstellers verlegt und nach rund zwei Wochen die Eindeckung mit Dachziegeln auf Konterlattung fachgerecht ausgeführt. Der Dachaufbau ist folgender: Dachkonstruktion Pfettendach, Dachschalung 24 mm raue Bretter, Unterdeckbahn mit Überdeckung nach den Verarbeitungsrichtlinien des Herstellers, 30 / 50 mm Konterlattung, 30 / 50 mm Dachlattung, Dacheindeckung mit Tondachziegel.

In seinem technischen Datenblatt (UDB-A, USB-A) gibt der Hersteller der verarbeiteten Bahn an, dass seine Unterdeckbahn aus einem Verbund von PE-HD und PP besteht. Ihre Eignung wird als Unterspann-, Unterdeck- und Schalungsbahn für Steildächer mit Harteindeckung und Schiefer benannt. Ihre Widerstandsklasse gegen Schlagregen ist W1, Nachweis Widerstand gegen Schlagregen durch ein Prüfzeugnis der TU Berlin.

In seinen Verarbeitungsrichtlinien schreibt der Hersteller: „Eine insektenundurchlässige oder winddichte Ausführung kann durch das Verkleben der Überlappungsstöße mit (vom gleichen Hersteller angebotenem) doppelseitigem Klebeband hergestellt werden.“

Im Frühjahr 2011 kam es bei dem aufgeführten Gebäude zum Bruch von Dachziegeln. Infolgedessen zeigten sich plötzlich Feuchteschäden in den unter dem Dach befindlichen Räumen, der Bauherr stellte fest, dass Regenwasser aus dem Dach ins Gebäude lief. Beim Austausch der beschädigten Ziegel wurde sichtbar, dass die vorhandene Unterdeckbahn durch unterschiedlich große Löcher perforiert war. Ein beauftragter Gutachter stellte bei Ortsbesichtigung fest, dass dadurch die geforderte Eigenschaft der Regendichtigkeit der Dachfläche nicht mehr gegeben ist.

Zunächst viel auf, dass die Lochanordnung sich über den Stoßfugen der Bretterschalung häufte. Die ursprünglich dicht gestoßen eingebauten Schalungsbretter hatten im Laufe der Liegezeit aufgrund ihrer Austrocknung die Stoßfugen um einige Millimeter geöffnet. Durch diese Spalten fraßen sich die Raupen der, wie der beauftragte Gutachter feststellte, Kleidermotte (Tineola bisselliella). Es wurden auch abgestorbene Raupen gefunden (der Sachverhalt ist auf den vom Gutachter angefertigten Fotos deutlich sichtbar).

Unscheinbare Kleidermotte mit großer Wirkung

In der Literatur (Pestizid Aktions-Netzwerk e.V., Wikipedia „Kleidermotte“, Umweltbundesamt „Schädlingsratgeber“, u. A.) wird die Kleidermotte als unscheinbarer 4 mm bis 9 mm großer Schmetterling beschrieben, der keine Nahrung aufnimmt und seine 50 bis 250 Eier bevorzugt in warmen Räumen ablegt. Die Materialschäden werden durch die Larven, als Raupen bezeichnet, verursacht. Sie werden 7 mm bis 9,5 mm lang, sind weißlich oder weiß-gelb und haben einen gelbbraunen Kopf. Die Raupen ernähren sich von keratinhaltigen Materialien wie Wolle, Haare oder Federn. In der Literatur wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass Fraßbefall durch sie auch bei Mischtextilien aus organischen und anorganischen Materialien bekannt ist. Auch in Verpackungsmaterialien aus anorganischen Stoffen wurden sie schon nachgewiesen. Die Raupen nehmen die Materialien nicht zur Nahrung auf, sondern scheiden diese sofort wieder aus. Entdeckt werden Kleidermotten meist erst dann, wenn Fraßlöcher – wie im geschilderten Fall der Unterdeckbahn – sichtbar sind. Da ihr Auftreten nicht von selber verschwindet, müssen sie bekämpft werden.

Einsatz von Pestiziden ist nicht die Lösung

Doch der Einsatz von chemisch-synthetischen Mottenbekämpfungsmitteln, sie gehören zu den Biozidprodukten, ist nicht ungefährlich. Chemische Biozide gelten grundsätzlich als gefährliche Stoffe, ihr Einsatz birgt Gesundheitsrisiken für Mensch und Tier.

Deshalb ist es nicht vertretbar, Dachbahnen solche Mittel zuzusetzen, um einen Insektenbefall zu verhindern. Die Zusätze können in die Raumluft übertreten, Lebensmittel kontaminieren oder mit dem Regenwasser in die Umwelt gelangen. Zudem könnten sie durch die im Dachraum anzutreffenden hohen Temperaturen ausgasen und damit in die Umwelt gelangen. Außerdem sind solche chemischen Zusätze nach einigen Jahren ausgegast und somit in der Bahn nicht mehr vorhanden. Deshalb ist augenblicklich ein insektizider chemischer Schutz der in Dach und Fassade genutzten technischen Textilien nicht möglich.

Ein anderer Ansatz ist der Einbau sogenannter „Insektengitter“. Es handelt sich um anorganische textile Gewebe oder Gewirke, wie ähnlich aus der Armierung von Fassadenputzen bekannt sind. Doch sind diese einmal mit ihrer Lochgröße nicht dicht genug, um die kleinen Raupen nicht durchschlüpfen zu lassen, zum anderen zeigt sich, dass die Raupen sich durch solche Gewebe oder Vliese durchbeißen können.

Welche Unterdeckbahnen sind betroffen?

Wie viele Dachbahnen und Hersteller betroffen sind, ist unklar, jedenfalls gab es schon weitere Fälle: Meine Recherchen ergaben, dass es mit der gleichen Dachbahn bereits im Jahr 2000 einen ähnlichen Schadensfall gab. Der seinerzeit tätige Zimmermann berichtete, auf einem landwirtschaftlichen Gebäude diese Unterdeckbahn verlegt zu haben. Nach etwa zwei Jahren stellte man Wassereintritt im Bereich der auf dem Dach verlegten Solarelemente fest. Nachdem an diesen Stellen die Dachfläche geöffnet wurde, stellte der Verleger Lochfraß im Bereich der Stöße der Brettschalung fest. Nach Aussage des Zimmermanns, hatten sich die Raupen der Motte aus dem Gebäudeinnern durchgefressen. Er reklamierte umgehend bei seinem Baustofffachhandel, der ihm diese Unterdeckbahn empfohlen und geliefert hatte. Die genaue Typenbezeichnung der Bahn ist ihm nicht mehr bekannt, jedoch handelt es sich um den gleichen Hersteller wie im Fall oben beschrieben.

In diesem Fall lieferte der Fachhändler umgehend Ersatz mit der Bahn eines anderen Herstellers, womit in 2001 das Dach im beschädigten Bereich ausgebessert wurde. Allerdings wurde die restliche Dachfläche nicht geöffnet, sodass dort noch immer die ursprüngliche Dachbahn liegt. Immer wieder dringt, nach Aussage des Verarbeiters, in diesem Bereich Regenwasser in das Gebäude ein.

Anlässlich der BAU 2013 sprach ich sowohl den Bahnhersteller wie auch mehrere andere Dachbahnhersteller auf das Problem des Insektenfraßes an. Ein anderer Hersteller berichtete mir, das um das Jahr 2000 bei einem Gebäude, das mit einer ähnlichen Unterdeckbahn aus dem eigenen Programm eingedeckt wurde, die gleiche Problematik mit Insektenfraß gehabt zu haben. Das Unternehmen zog daraus die Konsequenz und nahm diesen Dachbahnentyp aus dem Vertrieb.

Fazit: Komplexes Thema, bei dem alle am Bau
Beteiligten gefragt sind

Die in diesem Beitrag geschilderten Fälle und erwähnten Personen (aus rechtlichen Gründen können weder Namen noch Ortsangaben veröffentlicht werden) sind dem Autor und der Redaktion bekannt und die Schadensfälle sind dokumentiert. Auch dem Hersteller der betroffenen Unterdeckbahn ist der Sachverhalt seit 2011 bekannt.

Der Hersteller lehnte bisher eine Schadenregulierung ab, weil es aus seiner Sicht ein Einzelfall und darüber hinaus kein Materialfehler war. Und weiter: Alle beim ZVDH hinterlegten Materialgarantien würden keine Widerstandfähigkeit gegen Insektenfraß zusichern. Allerdings basieren die Materialgarantien allein auf den Definitionen des jeweiligen Herstellers und stellen lediglich eine Versicherung für den Verarbeiter dar, wenn das Material nach den ZVDH-Regeln verlegt wird.

Aber – und darüber sollten sich die Hersteller Gedanken machen – ist die Formulierung „Insektenundurchlässige Ausführung“ verwirrend. Denn „insektenundurchlässig“ bezieht sich auf einen Anwendungsfall (nämlich die „Verklebte Überlappung“ – Fachregel des ZVDH – Hinweise Holz-Holzwerkstoffe, Kapitel 4 Holzschutz, 4.3 Bauliche Maßnahmen für Konstruktionen ohne chemischen Holzschutz) und nicht auf eine Materialeigenschaft.

Es bleibt daher abzuwarten, welche Maßnahmen künftig von Herstellern empfohlen werden. Zumindest sollte ein deutlich lesbarer Hinweis in den Verarbeitungshinweis erscheinen, der auf die Problematik des Lochfraßes durch Insekten verweist.

Und doch drängen sich aufgrund des Schadensfalls weitere Fragen auf: Kommt so etwas nur bei landwirtschaftlich genutzten Gebäuden vor? Sind technische Textilien vor Insektenfraß sicher? Sollten nun, nachdem der Insektenfraß allein durch die unvorhergesehene Dachöffnung festgestellt wurde, alle mit einer Unterdeckbahn ausgeführten Steildächer überprüft werden? Muss in den entsprechenden Normen und Richtlinien der Hinweis auf Insektenfraß aufgenommen werden? Welche Maßnahmen werden künftig Hersteller dagegen empfehlen und wann unterrichten sie Handel und Verarbeiter?

Dem Dachdecker oder Zimmermann kann man, solange keine praktikable Lösung angeboten wird, nur empfehlen, sich vom Hersteller der auf seiner Baustelle zu verlegenden Dachbahnen eine schriftliche Erklärung zum Problem des Insektenfraßes geben zu lassen. Zudem sollte er seinen Bauherren dahin gehend deutlich informieren, dass es bisher einen wirksamen Schutz vor Insektenfraß nicht gibt. Ob das allein auf landwirtschaftlich genutzte Gebäude zu begrenzen ist oder auch andere Gebäude betreffen kann, ist zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend darzustellen. Eine Diskussion darüber sollte aber im Interesse der Verarbeiter und aller Hersteller sein.

Der Geschädigte indes, bleibt auf seinem Schaden sitzen. Hier hätte der Hersteller Kulanz zeigen können und die Dachbahn ersetzen. Schließlich, so war die Argumentation, sei es doch ein Einzelfall gewesen.

Autor

Hans Jürgen Krolkiewicz ist Sachverständiger, Buchautor, lebt in Köln und publiziert als freier Journalist Themen aus dem Baubereich.

Die Bezeichung „Insektenundurchlässig“ bedeutet nicht, dass die Bahnen sicher gegen Insektenfraß sind

Dem Handwerker kann man nur empfehlen, sich vom Hersteller eine schriftliche Erklärung zum Problem des Insektenfraßes geben zu lassen

Einzelfälle oder noch nicht erkannte Fälle? Bitte melden Sie sich!

Noch muss von Einzelfällen bei der Problematik der Bahnenbeschädigung durch Insekten gesprochen werden, zumindest gibt es keine Dokumentation darüber. Trotz seiner jahrzehntelangen Berufserfahrung sind dem Autor ähnliche Fälle nicht begegnet. Doch es gibt natürlich auch keine absolute Sicherheit und Gutachter können oft nur durch Schadensfälle auf die Probleme aufmerksam gemacht werden.  Deshalb der Appell, der sich an alle richtet, die an der Lösung des Problems interessiert sind (Hersteller, Baustoffhändler und Verarbeiter). Bitte teilen Sie uns dokumentierbare Anwendungsfälle mit, beziehungsweise schildern Sie uns, wie Sie mit dem Problem umgegangen sind.

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