IG BAU warnt vor „Asbest-Welle“ in der Sanierung
Die IG BAU und die BG Bau appellieren für mehr Aufklärung und einen besseren Schutz vor Asbest. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt hat jetzt eine „Asbest-Charta“ vorgelegt. Gefordert werden beispielsweise ein Gebäudepass und eine Sanierungsprämie. Maurer Wolfgang Leihner-Weygandt erkrankte an Lungenkrebs und schildert sein Schicksal.
Laut der IG BAU rollt eine „Asbest-Welle“ in Deutschland heran: In 9,4 Millionen Wohnhäusern, die von 1950 bis 1984 gebaut wurden, lauert laut der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt der gesundheitsgefährliche Baustoff Asbest. „Wohnraum wird gebraucht, das ist unstrittig. Es müssen aber all jene geschützt werden, die Wohnungen schaffen“, fordert Carsten Burckhardt, Bundesvorstand der Industriegwerkschaft BAU und für die Bauwirtschaft und den Arbeitsschutz zuständig. Die Gewerkschaft informierte gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) in einer Pressekonferenz in Berlin am 10.8.2023 über den krebserregenden Stoff und legte eine „Asbest-Charta“ vor.
Carsten Burkhardt vom Bundesvorstand der IG Bau stellte die „Asbest-Charta“ vor, in der fünf Forderungen formuliert sind.
Foto: Alireza Khalili / IG Bau
„Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Die energetische Gebäudesanierung wird enorm an Fahrt aufnehmen. Asbest ist eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso wie für Heimwerker“, so Burckhardt. Die krebserregende Mineralfaser stecke in vielen Baustoffen: „Asbest ist oft im Putz und sogar in Spachtelmassen und Fliesenklebern enthalten“, sagte Carsten Burckhardt. Ein großes Problem sei Spritz-Asbest: „Hier sind die Asbestfasern schwächer gebunden. Sie können deshalb leichter freigesetzt werden. Vor allem Aufzugsschächte sowie Schächte mit Versorgungs- und Entsorgungsleitungen wurden früher intensiv mit Spritzasbest verkleidet.“
„Bundesweit gibt es gut drei Millionen Wohnungen, die in den vier Jahrzehnten ab 1950 in Mehrfamilienhäusern mit 13 und mehr Wohnungen neu gebaut wurden. Bei einer Sanierung im bewohnten Zustand ist es wichtig, hier mit allergrößter Sorgfalt professionell vorzugehen“, mahnt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.
4,35 Millionen Tonnen Asbest wurden importiert
IG Bau und BG Bau sprachen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin über die große Asbest-Gefahr
Foto: Alireza Khalili / IG Bau
Insgesamt sind nach Angaben des Pestel-Instituts von 1950 bis 1990 rund 4,35 Millionen Tonnen Asbest nach Ost- und Westdeutschland importiert worden. Daraus seien rund 3500 Produkte hergestellt worden – die meisten davon für den Baubereich. „73 Prozent des Asbestes gingen in die Produktion von Asbest-Zementprodukten: Aus rund 32 Millionen Tonnen Asbestzement entstanden vor allem Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen – die alten Eternitplatten“, so Burckhardt.
In allen Bereichen eines Hauses, vom Keller bis zum Dachboden, seien Asbest-Produkte verbaut worden. 1993 wurde Asbest als Baustoff verboten. „Asbestfasern sind unsichtbar. Das ist tückisch. Bis zum Ausbruch einer Krankheit können vielen Jahren vergehen. Arbeit darf aber nicht krank machen. Alle auf dem Bau müssen über die Gefahr informiert werden“, sagte Carsten Burckhardt.
Die IG BAU beklagt eine Zunahme bei Asbest-Erkrankungen: „Bei den Berufskrankheiten ist Asbest die häufigste Todesursache“, sagte Burckhardt. Er beruft sich dabei auf aktuelle Zahlen der BG Bau für das Jahr 2022. In den vergangenen zehn Jahren seien 3376 Versicherte der BG Bau infolge einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben – darunter allein 320 Baubeschäftigte im vergangenen Jahr.
Asbest-Warnungen, die alle Arbeitnehmer verstehen
Die Bau-Gewerkschaft fordert deshalb eine intensive Asbest-Aufklärung: „Bauarbeiter und Heimwerker müssen wissen, wie der optimale Schutz vor Asbest aussieht. Und das muss den Menschen in der Sprache gesagt werden, die sie verstehen – den ausländischen Beschäftigten also auch in ihrer Muttersprache“, sagte Carsten Burckhardt.
Laut Dr. Thomas Solbach, Arbeitsmediziner der BG Bau, bleiben Asbest-Stäube bis zu 24 Stunden im Raum. Daher bestehe nicht nur eine direkte Gefahr für Handwerker, sondern auch weitere Personen. „Die Latenzzeit beträgt 30 bis 50 Jahre. Asbest kann Kehlkopfkrebs, Eierstock-Krebs oder auch den besonders bösen Tumor Mesotheliom auslösen“, so Solbach.
Wolfgang Leihner-Weygandt war als Maurer Asbest-Stäuben ausgesetzt und erkrankte an Lungenkrebs. Er warnte vor einem sorglosen Umgang mit dem mittlerweile verbotenen Baustoff
Foto: Alireza Khalili / IG Bau
Eindringlich schilderte Wolfgang Leihner-Weygandt, gelernter Maurer und Fachkraft für Arbeitssicherheit im Ruhestand, sein Schicksal. Er erkrankte an Lungenkrebs durch Asbest. „Ich habe Zementfaserplatten zersägt und die Stäube eingeatmet. Ich habe auch mit Spachtelmassen gearbeitet, ohne zu wissen, dass diese auch Asbest enthalten. Generell hat uns damals niemand über die Gefahren aufgeklärt“, betonte er. In den 80er Jahre hörte er auf und wechselte in die Arbeitssicherheit. „1994 bekam ich plötzlich starke Schulterschmerzen. Nachdem ich bei mehreren Orthopäden war, war schließlich klar, dass ich einen Tumor im rechten Lungenflügel hatte.“ Er wurde operiert und überlebte, hat aber ein verkleinertes Lungen-Volumen. Beim Treppensteigen geht ihm die Luft aus. Sein Apell: „Nutzt die Schutzausrüstungen, die es gibt! Und wendet sie richtig und konsequent an. Das bedeutet: Klopft die Anzüge nach der Arbeit nicht einfach ab, sondern lasst euch von einem Kollegen absaugen.“
Ein praxistauglicher Schutz vor Asbest sei möglich, betonte Michael Kirsch, stellv. Hauptgeschäftsführer der BG Bau. Er stellte die Schutzpakete der BG Bau zum Bauen im Bestand vor: Dabei gibt es beispielsweise Schutzanzüge, Masken, Handmaschinen mit Absaugung, Luftreiniger und Staubschutztüren. „Jeder Handwerker hat die Pflicht, auch mal Nein zu sagen“, verwies Kirsch auf die Informationspflicht der Arbeitsgeber. Sie müssen eine Gefährdungsbeurteilung erstellen und Schutzmaßnahmen festlegen.
Die „Asbest-Charta“ der IG Bau:
1. Die Gewerkschaft fordert einen Schadstoff-Gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbest-Belastung eines Gebäudes. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert“, so Carsten Burckhardt. Eine solcher Gebäude-Pass gibt es beispielsweise in Frankreich. Noch umfassender und deshalb ratsam wäre gleich ein Schadstoff-Gebäudepass, der neben Asbest-Belastungen auch andere Schadstoffe (z.B. Holzschutzmittel) ausweist.
2. Ein „Asbest-Gipfel“ von Bund, Ländern und Kommunen müsse einberufen werden. Eine übergreifende staatliche Kooperation sei notwendig, um das Asbest-Problem und die Finanzierung der Altlasten auf möglichst breiter Ebene anzugehen.
3. Burckhardt fordert zudem eine staatliche Sanierungsprämie. Dazu müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbest-Sanierung“ schaffen. „Das hilft, Kosten abzufedern, die bei einer, beispielsweise energetischen oder altersgerechten, Gebäudesanierung in asbestbelasteten Wohnhäusern zusätzlich entstehen. Außerdem ließe sich damit auch eine ordnungsgemäße Entsorgung von alten Asbest-Baustoffen sicherstellen.“
4. Durch eine Informations-Offensive müsse der Arbeitsschutz in den Fokus rücken. Hier ist vor allem auch eine Aufklärungskampagne notwendig, die sich an Baubeschäftigte genauso wie an Heimwerker richtet. Es gilt, vor den Gefahren zu warnen und über den fachlich richtigen Umgang mit Maschinen und Schutzausrüstungen zu informieren. Mit Blick auf die Beschäftigtenstruktur in der Baubranche sei es erforderlich, zentrale Informationen auch in anderen (vor allem osteuropäischen) Sprachen bereitzustellen.
5. Letztlich plädiert die IG BAU für mehr Arbeitskontrollen. Zudem müssten die Länder Baustellen bei ihren Kontrollen stärker als bislang in den Fokus nehmen und beim Asbest-Arbeitsschutz einen Schwerpunkt setzen.
Autorin
Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
1. Fachkongress Bauen im Bestand 2023
Am 7. und 8. November 2023 veranstaltet der Bauverlag in Kooperation mit der BG Bau im Landschaftspark Duisburg-Nord den 1. Fachkongress Bauen im Bestand. Ziel ist es, allen Verantwortlichen und Beteiligten – Planern, SiGeKos, Bauleitern, Bauausführenden, Handwerkern, Facility Managern, Wohnungsbaugesellschaften – Lösungen zur Staub- und Gefahrstoffvermeidung bei Umbau- und Sanierungsarbeiten aufzuzeigen.
Der Gefahr durch Asbest sind gleich mehrere Vorträge beim Fachkongress Bauen im Bestand 2023 gewidmet. Sven Melzer, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Maler- und Lackiererhandwerk, wird auf dem Kongress über seine Erfahrungen bei der Arbeit mit asbesthaltigen Baustoffen berichten. Andrea Bonner von der BG Bau berichtet auf dem Kongress über Anforderungen und neue Regelungen der Gefahrstoffverordnung zu Asbest in Europa.
Der Kongress findet im Landschaftspark Duisburg-Nord statt, einem ehemaligen Stahlwerk, das heute als Event- und Veranstaltungslocation genutzt. Jetzt informieren und anmelden