Holzbau auf dem Gipfel
In über 2000 m Höhe wurde im Sommer 2015 das multifunktionale Gipfelgebäude auf dem Schweizer Chäserrugg eingeweiht. Die Seilbahnstation mit Restaurantbetrieb des Architekturbüros Herzog & de Meuron ist nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine handwerkliche und logistische Meisterleistung.
Der Chäserrugg ist ein Berggipfel der Schweizer Alpen, genauer gesagt der östlichste der sieben Churfirsten im Dreieck zwischen Zürich, St. Gallen und dem Bodenseeraum. Auf seinem weitsichtigen Hochplateau baute das international renommierte Architekturbüro Herzog & de Meuron eine Seilbahnstation für die Toggenburg Bergbahnen AG. Hierfür wurde die bestehende Station überbaut, das vorhandene Restaurant ersetzt und beides zu einem modernen, harmonischen Holzbau zusammengefasst. In seiner bekannten Architektursprache mit dem Blick für das Ganze auf der einen und der Feinfühligkeit und Präzision bis in die Details auf der anderen Seite, präsentiert das Schweizer Architektenteam ein Bauwerk, das man getrost als „Architekturperle“ bezeichnen kann. Einen großen Anteil am Erfolg hatten die ausführenden Ingenieure, Handwerker und Zulieferer: Das Gebäude wurde in nur einem Jahr in 2262 m Höhe bei verschärften Witterungsbedingungen mit größter Sorgfalt und Genauigkeit umgesetzt.
Ergänzung des Alten
Das vorhandene Technikgebäude der Seilbahn aus den 1970er Jahre wurde um einen langgestreckten Neubau mit Restaurantnutzung für bis zu 500 Gäste ergänzt, so dass sich im Grundriss eine T-Form ergibt. Die Längsseite des gut 50 m langen Riegels zeigt dabei nach Süden, während die Gondeln aus dem Tal an der Nordseite in die Station einfahren. Zusammengefasst werden die beiden Gebäudeteile durch ein großes, asymmetrisches Satteldach mit Metalldeckung. Besucher der Seilbahnstation gelangen zunächst auf eine Plattform an der Ostseite des Gebäudes in einen offenen Raum mit Außenklima. Das Dach und eine Holzverschalung aus gespreizten Brettern bieten dabei Schutz gegen Wind und Schnee.
Von hier aus erreichen die Besucher den eigentlichen Neubau, der als Restaurant, aber auch als Konzert- oder Veranstaltungsraum genutzt werden kann. Neben der langgestreckten verglasten Südfassade mit vorgelagerter Holzterrasse bieten auch die kurzen Stirnseiten mit jeweils einem großen Panoramafenster tolle Ausblicke in die Natur. An der Nordseite des Neubauflügels befinden sich außerdem kleinere Raumnischen mit Tischen und Bänken, die durch die dazugehörigen Fenster an Zugabteile erinnern. Im übrigen Restaurantbereich können die Gäste an langen Holztischen essen und ein Kamin mit gemütlichen Loungemöbeln bietet Platz zum Entspannen.
Innen wie außen steht das Material Holz im Mittelpunkt. Insgesamt wurden etwa 1000 m3 Fichten- und Tannenholz verbaut, von dem über 80 Prozent aus der Schweiz stammen. Insgesamt war Nachhaltigkeit beziehungsweise das umweltschonende Bauen für die Architekten ein wichtiges Kriterium. So wurde weitestgehend auf Helikopterflüge für den Materialtransport verzichtet, das Aushubmaterial vor Ort wiederverwendet und fast ausschließlich mit Schweizer Subunternehmen und Lieferanten zusammengearbeitet. Ein weiterer ökologischer Pluspunkt: Über die große Dachfläche wird das anfallende Regenwasser gesammelt und als Grauwasser wiederverwendet. Die Dämmstärke in Dach und Außenwänden betrug rund 320 mm. Aus brandschutztechnischen Gründen durfte nur eine nicht brennbare Dämmung eingesetzt werden, daher kam Mineralwolle zum Einsatz.
Das Tragwerk
Bei der gewählten Konstruktion handelt es sich um einen Holzbau, der aus einem konventionell aufgerichteten Tragwerk, kombiniert mit vorgefertigten Holzrahmenbau-Elementen, erstellt wurde. Es kamen traditionelle Zimmermannsverbindungen, wie Verzapfungen oder Versätze zum Einsatz, welche durch Verbindungsmittel des Holzingenieurbaus ergänzt wurden. „Der Ansatz, den wir auch konsequent weiterverfolgt haben, war ein klassischer Holzbau mit überwiegend traditionellen, zimmermannsmäßigen Anschlüssen, welche ingenieursmäßig getunt wurden“, erklärt dazu David Riggenbach, Holzbauingenieur bei der ausführenden Firma Blumer-Lehman AG. Dieser Ansatz zeigt sich insbesondere an Knotenpunkten mit Lastumkehr: So wurde beispielsweise an der weitesten Auskragung des Daches der doppelte Versatz, mit der die Dachpfette mit der Strebe verbunden ist, durch Doppelschlitzbleche, Stabdübelverbindungen und Vollgewindeschrauben ergänzt, um Zugkräfte auf Grund von abhebenden Windlasten zu übernehmen sowie Querdruck und Querzug abzufangen. „Die Hauptlasten, also die Vertikallasten haben wir durch formschlüssige Verbindungen aus dem Holz selbst entwickelt. Dort, wo Zug- und Abscherkräfte wirken, haben wir – so minimal wie möglich – Metallverbindungen eingesetzt.“ Dabei handelt es sich um Bauteile mit teilweise enormen Querschnitten von fast einem Meter Höhe!
Arbeiten bei Wind, Regen, Schnee und Sonnenschein
Überhaupt ist das große Dach ein wichtiger Punkt. Wind- und Schneelasten sind in diesen Höhen, zudem in einem Föhngebiet, extrem hoch. Windlasten und Winddruckbeiwerte wurden in einem maßstabgetreuen Modell des Gebäudes und der umgebenden Landschaft im Windkanal getestet und entsprechend große Querschnitte aus normalem Brettschichtholz gewählt.
Eine weitere Besonderheit des Daches sind die so genannten „fliegenden“ Sparrenköpfe. Den Architekten war es wichtig, auf einen abschließenden Schräg-sparren zu verzichten. Stattdessen sind die Sparrenköpfe an (in der Dachebene versteckten) liegenden BSH-Trägern mit von oben eingedrehten Holzschrauben befestigt.
Das Blechdach wurde als Gemeinschaftsarbeit mit verschiedenen Bauspenglern in Verantwortung von der Bühler Bedachungen Bauspenglerei AG aus Romanshorn ausgeführt. Die Hauptarbeiten gingen von Herbst bis Dezember 2014. Im Frühjahr wurden noch die Kamine bekleidet. „Das war eine große Herausforderung auf 2262 Meter Höhe. Wir haben bei Wind, Regen und Schnee gearbeitet, aber es gab auch viel Sonnenschein“, berichtet Marcel Bühler. Mit insgesamt 41 875 Falzhaften befestigten die Dachhandwerker die Edelstahl-Uginox-Bleche auf der Holzschalung. Über 13 Tonnen Blech wurden für das 2170 m2 große Dach verarbeitet.
Holzbau auf Betonfundament
Neben dem großen Dach und den besonderen Stützen-, Pfetten- und Sparrengeometrien zeichnet sich das Gebäude mit der klaren Aussage „Holzbau auf Betonfundament“ aus. Doch so einfach dies im Endergebnis wirkt, so sorgfältig musste hier bei der Ausführung gearbeitet werden. Die markanten dreiarmigen Betonfundamente für die sich verzweigenden Vertikal- und Diagonalstützen an der Ostfassade des überbauten Bestandsbaus stellten hier eine besondere Herausforderung dar. Hier legte das Architekturbüro Wert auf präziseste Ausführung. „An dieser Stelle war es nicht möglich, Toleranzen aufzunehmen, es hätte sofort wie gebastelt ausgesehen“, erklärt Ingenieur Riggenbach. „Das Betonfundament musste mit sauberer Schalungsoberfläche fertiggestellt werden. Zudem konnten die Stützen an diesen Stellen nicht vorgängig zugeschnitten werden. Für jeden dieser Punkte wurden erst nach Fertigstellung des Fundamentes auf das Zehntel Grad genau Strebenneigung und Verkippung sowie die exakte Länge aufgemessen, im 3-D-Modell eingepasst und erst dann zugeschnitten und angeliefert.“
Ein weiteres markantes Detail, das dem Betrachter auffällt, wenn er mit der Seilbahn auf die Station zusteuert, ist die Auffächerung der Streben, die die Pfetten tragen. Die Fußpunkte sitzen auf unterschiedlichen Höhen, damit entsteht ein besonderer Effekt.
Hervorragende Logistik, gute Teamarbeit
Etwa 3600 t Material mussten für den Bau auf den Berg transportiert werden. Genutzt wurde hierfür ausschließlich die Seilbahn mit etwa 1600 Fahrten. Lediglich der Baukran wurde per Helikopterflug auf den Gipfel transportiert. Zu den größten Bauteilen gehörten über 20 m lange Brettschichtholzträger mit einem Querschnitt von 440 auf 920 mm. Außerdem wurde für ein provisorisches Restaurant während der Bauzeit drei Raumzellen in Holzbauweise von 2,90 x 3,30 x 8,80 m mit der Seilbahn auf den Gipfel transportiert. Auch für das aufwändige Baugerüst musste sehr viel Material angeliefert werden. Über 6000 m2 Fassadengerüst mit Sicherheitsnetzen wurde montiert.
Da das bestehende Bahngebäude mit Station, Seilschacht und Technikräumen komplett erhalten blieb und die neue Gebäudehülle „nur“ übergestülpt wurde, konnte der Betrieb der Bahn während der gesamten Bauzeit gewährleistet werden.
Als ausgesprochen positiv beschreibt Riggenbach die gesamte Teamarbeit auf der Baustelle: „Sehr konstruktiv war auf der einen Seite die Zusammenarbeit mit den Architekten, die uns als Holzbauingenieure immer wieder mit ins Boot geholt haben, wobei die ästhetischen Ansprüche ausgesprochen hoch waren. Es musste sehr viel weiterentwickelt, optimiert und verfeinert werden. Das machte während der Bauphase doch eine recht sportliche Leistung aller Ausführenden erforderlich. Heute muss ich sagen, dass sich der Aufwand unbedingt gelohnt hat und jede Diskussion gerechtfertigt war!“
Zum anderen war auch die Zusammenarbeit mit den Agierenden vor Ort sehr positiv. Gemeinsam mit dem Polier wurde beispielsweise überlegt, wie das „perfekte Anschlussdetail“ zu entwickeln sei. „Die Motivation hier oben zu arbeiten, gemeinsam Sonderlösungen zu finden, war einfach sehr besonders und nicht vergleichbar mit einem Standardbau im Tal“, schwärmt der Holzbauingenieur. „Für mich eine der schönsten Bauaufgaben!“
Die Holzbauteile haben zum Teil Querschnitte von fast einem Meter Höhe
Das bestehende Gebäude blieb komplett erhalten, die neue Gebäudehülle wurde „nur“ übergestülpt
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherrin Toggenburg Bergbahnen (TBB) AG,
Ch-9657 Unterwasser
Bauherrenvertretung Mélanie Eppenberger,
Präsidentin TBB AG
Architektur Planung Herzog & de Meuron,
CH-4056 Basel
Bauleitung Ghisleni / Planen / Bauen GmbH,
Ch-8640 Rapperswil
Tragwerksplanung Schnetzer Puskas Ingenieure,
Ch-4051 Basel
Pirmin Jung, CH-7320 Sargans
Schällibaum, CH-9100 Herisau
Haustechnik Amstein + Walthert, CH-8050 Zürich
Holzbau Holzbau Blumer-Lehmann AG,
CH-9200 Gossau
Dachdeckerarbeiten Bühler Bedachungen Bauspenglerei AG, CH-8590 Romanshorn
Schreinerarbeiten Innenausbau Holz, Schreinerei Stolz, CH-9657 Unterwasser
Gerüstbau Roth Gerüste AG, CH-4133 Pratteln
Baudaten (Auswahl)
Bauweise Konventioneller Holzbau mit vorgefertigten Holzrahmenbauelementen auf Stahlbetonsockel
Brandschutz Einzelne Brandabschnitte in REI60 erstellt
Bauzeit April 2014 bis Juni 2015
Gebäudefläche GF Neubau 2500 m2,
(Bestand etwa 1580 m2)
Holzvolumen Total etwa 1000 m3 Holz
Davon 420 m3, BSH 220 m3
Dach Dachfläche 2170 m2, etwa 13 600 kg Ugionox-Blech aus Edelstahl
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