Geht nicht, gibt´s nicht!

Besuch im Praxiszentrum der BG-Bau in Nürnberg

Die Arbeit auf dem Bau ist gefährlich. 55 Arbeitsunfälle auf 1000 Beschäftigte zählte die BG Bau 2016, im Zimmerer- und Dachdeckerhandwerk sind es noch mehr. Besonders gefährlich sind Abstürze. Die BG Bau schult in mehreren Zentren in Deutschland Handwerker, eines davon haben wir in Nürnberg besucht.

Von außen schmucklos, im Inneren praxisnah: Das Schulungs- und Praxiszentrum der BG Bau in Nürnberg überrascht im Innern mit einer vierstöckigen Schulungsbaustelle. Hier steht ein Haus im Haus, es ist dreigeschossig mit Bautreppen im Treppenhaus und Giebeldach. Der gesamte Gebäudekomplex wirkt wie eine Baustelle, allerdings sehr aufgeräumt und weitestgehend staubfrei – schließlich wird hier unter anderem geübt, staubfrei zu arbeiten.

Wie es sich für eine Baustelle gehört, sind alle Geländer Baustellengeländer, also temporär angebracht. Dazu ragen überall die unterschiedlichsten Gerüstvarianten vom Boden auf. Gerade wird von einem Mitarbeiter ein Gerüst abgebaut, das schrille Geräusch von Metall auf Metall dröhnt durch den Bau. „Das ist ein flexibler Schulungsraum, wir können hier immer wieder umbauen und unterschiedliche Varianten von Situationen simulieren, verändern und so auch immer neue Bausituationen schaffen“, sagt Dieter Terner. Er leitet das Praxiszentrum, das seit 20 Jahren in Nürnberg besteht.

Auch das Dach des Hauses im Schulungszentrum ist eingerüstet. Der Schornstein ist mit einem extra Gerüst versehen. Dazu musste die Dachdeckung zum Teil entfernt werden, die Gerüstfüße sind mit dem Sparren des Daches verbunden. Es ist eine große „Spielwiese“ für alle, die sich mit der Sicherheit auf Baustellen beschäftigen.

Höhere Unfallzahlen, höhere Versicherungsbeiträge

Es herrscht Helmpflicht, und so hat jeder der Schulungsteilnehmer, die am heutigen Tag hier sind, einen Helm auf dem Kopf. Dieter Terner begrüßt eine etwa 20köpfige Gruppe, Zimmerleute aus Baden-Württemberg und Bayern. Die Ansprache ist eindeutig: „Wir wollen Sie hier schulen, damit weniger Unfälle passieren. Sie sollen präventiv tätig werden, zum Beispiel durch Gerüste, Seitenschutz, Anschlagpunkte oder Netze“, sagt Terner. Nicht alle scheinen motiviert zu sein. Bei der Frage, welches Interesse sie mitbringen, kommen bisweilen flapsige Antworten. Einer fragt, wann die Schulung denn endlich vorbei sei, obwohl sie noch gar nicht richtig begonnen hat.

In einer Pause erzählt der Schulungsleiter, dass das bisweilen typisch sei für die Menschen, die am Bau arbeiten. Oft komme die Antwort, „das haben wir immer so gemacht, das brauchen wir nicht ändern.“ Aber gerade das sei ein fataler Irrtum, weiß Terner. „1000 Mal geht es gut ohne Seilsicherung auf dem Dach zu stehen und beim 1001sten Mal fällt einer runter.“ 2016 haben sich rund 20 000 Handwerker bei Stürzen und Abstürzen von Leitern, Dächern oder Gerüsten verletzt. Für 29 endete der Sturz tödlich. Das zieht Kosten nach sich und natürlich menschliche Tragödien.

Weil die Unfallbelastung im Zimmererhandwerk unvermindert hoch ist, musste die BG BAU eine eigene Tarifstelle für Zimmererarbeiten bilden. Während die durchschnittliche Unfallquote im Bereich der Bauwirtschaft 2016 bei 55,29 Fällen pro 1000 Beschäftigten lag, bewegt sich das Unfallrisiko im Zimmererhandwerk deutlich darüber. Für die anderen Gewerbezweige in der Tarifstelle „Bauwerksbau“ wurde die Gefahrklasse dadurch gesenkt.

Die Innungen und Verbände versuchen gegenzusteuern, die Kampagnen „Wir Zimmern sicher“ und „Absichern statt Abstürzen“, die von der BG Bau initiiert wurden, werden von Holzbau Deutschland und dem ZVDH unterstützt. Und die Kampagnen scheinen Wirkung zu zeigen: „Die Anmeldezahlen für unsere Schulungen sind hoch und steigen stetig“, sagt Terner. 2017 gingen rund 4000 Teilnehmer durch das Praxiszentrum und wurden geschult.

Die erste Station im Praxiszentrum liegt in der Treppenhaus-Ebene ein Stockwerk tiefer. Hier ist ein Absturznetz gespannt und mit Bandschlingen und Rätschen straff an Gerüststangen an der Wand fixiert. „Das Netz wird präventiv für den Absturz nach Innen eingesetzt“, erklärt Terner. Außen auf der Baustelle steht das Gerüst, das würde inzwischen jeder Handwerker als gegeben ansehen, so Terner weiter. Anders hingegen verhalte es sich immer noch mit der Absturzsicherung in den Innenraum. „Wird ein Dachstuhl gestellt, sieht man häufig, wie die Zimmerleute auf der Firstpfette entlangbalancieren. Meist ohne Absturzsicherung“, beobachtet Terner immer wieder. Der Leichtsinn hat auch eine lange Tradition. Gerhard Mayer, Zimmerermeister und Chef des gleichnamigen Holzbaubetriebes aus Nussdorf, ist mit seinen Zimmerleuten bei der Schulung dabei und erzählt, wie man in früheren Zeiten oft als Feigling am Bau hingestellt wurde, wenn man sich – aus heutiger Sicht – fahrlässige Dinge wie das Balancieren auf der Firstpfette nicht getraut habe. Er möchte solchen falschen Ehrgeiz erst gar nicht aufkommen lassen und zeigt sich offen für Neuerungen.

Totschlagargument: „Das geht doch gar nicht“

Zurück am Netz für den Innenraum zeigt sich, mit was die Mitarbeiter der BG Bau immer wieder zu kämpfen haben. Die Schulungsteilnehmer tragen Beispiele vor und argumentieren, dass es manchmal unmöglich sei, sich richtig abzusichern. „Ich höre immer wieder ´aber das geht doch nicht, dass wir das so oder so machen`“, antwortet Dieter Terner darauf. Für ihn sind solche Aussagen Totschlagargumente, damit würden sämtliche Neuerungen zunichte gemacht. Eine Antwort auf diese Sätze hat er auch: „Geht nicht, gibt´s nicht!“ So gäbe es für alles Lösungen, wenngleich es bisweilen für den Handwerker aufwendiger erscheint. Das muss aber nicht sein. Wenn Arbeitsschutz – also, zum Beispiel das Anbringen von Sicherheitsösen oder -haken bei der Vorfertigung – mit in die Arbeitsvorbereitung einfließe, sei Arbeitssicherheit sogar wirtschaftlich darstellbar und eben oft nur eine Frage der Organisation. Darauf aber zu verzichten sei nachlässig und im härtesten Fall unverzeihlich: „Das Schlimmste was Ihnen als Chef passieren kann, ist, zur Familie eines Mitarbeiters gehen zu müssen und von einem schweren Unfall zu berichten, vielleicht sogar von einem Todesfall“ – plötzlich gesenkte Häupter, Totenstille.

Unfälle um 80 Prozent verringert

Oft fehle es nur an der Unterweisung, sagt Terner und macht das am Beispiel einer Baukreissäge deutlich, deren spezielle Sägeblatt-Abdeckhaube durch das Eigengewicht grundsätzlich geschlossen ist. Beim Sägevorgang hebt es sich dann automatisch durch das zu sägende Holzteil. Die Vorrichtung ist allerdings erklärungsbedürftig und braucht eine Unterweisung. „Für so etwas sind wir hier“, sagt Terner. Die Arbeitsunfälle seien seit Einführung der Haube stark zurückgegangen, berichtet Terner, in der Schweiz bis zu 80 Prozent.

Trotzdem gibt es Unbelehrbare und dass das Team um Terner mit Widrigkeiten des Baualltags zu kämpfen hat, zeigt der Sicherheitsexperte an der gleichen Säge. Denn natürlich kann man so eine Vorrichtung auch manipulieren. Beispielsweise werde ein Meterstab so zwischen Haube und Haubenbefestigung gesteckt, dass diese immer oben bleibt. Der Nutzen so einer Manipulation bleibt überschaubar, denn eigentlich müsste sich der Handwerker – auch nur ein Gewohnheitstier – nur umgewöhnen. Eine Weiterentwicklung, um die Manipulation auszuschließen, gibt es bereits: Der Motor schaltet erst dann ein, wenn die Haube vollends geschlossen ist.

Leitern mit Seitengeländern erhöhen den Schutz

Der Schulungstag ist lang für die Gruppe, bisweilen auch langatmig. Aufmerksam werden die Handwerker immer dann, wenn sie selbst Hand anlegen und Dinge ausprobieren dürfen. Beispielsweise bei der Unterweisung mit Leitern mit Absturzgeländer. Die Unfallgefahr ist bei normalen Bockleitern ohne Geländer hoch, noch höher, bei denen, die keine Plattform besitzen. Sicherheitsleitern mit Plattform hingegen haben ein Geländer und breite Standfüße für sicheren Stand. Das Verschieben solcher Leitern ist ein wenig aufwendiger, aber sie sind sicherer.

Beim Ausprobieren eines fahrbaren Liftes verspürt der Handwerker, der das Gerät ausprobieren darf, dann sogar große Freude. Anwendung findet diese Hub-Arbeitsbühne, die etwa 3000 Euro kostet, bei der Montage oder aber für Wartungsarbeiten. Die Arbeitshöhe geht bis etwa vier Meter, besonders gut lässt sich die Arbeitsbühne dort einsetzen, wo der Boden schon einigermaßen eben ist. Gerhard Mayer von Mayer Holzbau ist für solch eine Anschaffung offen, für die Befestigung einer Kehlbalkenlage könnte die Investition sinnvoll sein, überlegt er.

Kettensäge: Sinnvoll oder nur gefährlich?

Handwerker haben viel mit Maschinen zu tun, demensprechend widmet sich die Schulung auch diesem Bereich. Beispiel Kettensäge, ein durchaus gebräuchliches Gerät auf dem Bau, aber auch ein gefährliches. Und ist es wirklich sinnvoll? Denn welcher Handwerker arbeitet schon mit Schnittschutzhosen auf der Baustelle? Gerade die ist aber wichtig bei der Verhütung schlimmer Unfälle. Durch das spezielle Gewebe wird die Säge beim Eindringen in den Stoff gestoppt, ohne dass dem Anwender etwas passiert.

Etwas langsamer, aber dafür sicherer

Dieter Terner präsentiert eine Alternative, der elektrische Fuchsschwanz. Der ist tatsächlich etwas langsamer im Arbeitsfortschritt (allerdings nur bei größeren Balkendurchmessern), aber dafür umso genauer und vor allem sicherer, da die Spanabnahme weniger groß ist und es keinen Rückschlag gibt. Ungläubige Blicke erntet Terner trotzdem, immer wieder kommt das berühmte „ja, aber …“, er wird heute nicht alle überzeugen, bleibt ruhig und erzählt von kritischen Gefahrensituation oder gar tödlichen Unfällen.

Arbeitsschutz hört nicht bei Maschinen auf, beim Rundgang durch den Park der Sicherheitsmöglichkeiten bekommen die Handwerker Einblicke in die Gefahren des Baustroms, finden Antworten zu Fragen bei der Vermeidung von Staubbelastungen und bekommen einen Überblick über die Fördermöglichkeiten, die die BG-BAU unterstützt.

Arbeitsschutz kann auch schön sein

Junge Menschen muss man auch durch die Optik überzeugen, ist sich Dieter Terner sicher. Als Beispiel zählt der Bauhelm, der in der modernen Version eher wie ein Kletterhelm aussieht und einen viel besseren Tragekomfort besitzt als gewöhnliche Bauhelme. Einen solchen schwarzen Helm zieht ein junger Zimmermann bereitwillig auf. In der Abteilung wird auch über Sonnenschutz aufgeklärt, ein Thema, das laut Terner immer wichtiger wird. „Wenn ich gut gegen Sonne geschützt bin, kann ich besser arbeiten und bin ausgeruhter“, sagt er. Zudem seien die Zahlen des weißen Hautkrebs in den letzten Jahren signifikant angestiegen. Der Sonnenschutz beginnt beim Nackenschutz und geht bis hin zur kühlenden Weste, um die Hitze besser zu ertragen, die auch wir in unseren Breiten womöglich in Zukunft stärker abbekommen werden.

Zusammen statt gegeneinander

Zimmermeister Gerhard Mayer geht mit vielen Ideen aus der Schulung aber hat auch Fragen. Er sei offen für verschiedene Sicherheitsvorkehrungen, aber auf der anderen Seite herrsche Termindruck, der kontraproduktiv sei. „Wenn wir auf eine Baustelle kommen, die eigentlich richtig abgesichert sein sollte und da ist die Hälfte nicht vorhanden, weil der Gerüstbauer das vergessen hat, dann sollten wir eigentlich wieder nach Hause gehen.“ Aber genau das sei schwierig. Er sieht allerdings die Notwendigkeit, sich gut abzusichern und will zukünftig noch besser darauf achten. Sein Resümee zur Schulung fällt positiv aus. „Ich habe einige Anregungen mitgenommen“, sagt der Zimmermeister aus Bayern. „Vor 25 Jahren war die BG Bau unser „Feind“, weil die auch ab und an Baustellen dicht gemacht haben.“ Das aber habe sich deutlich geändert. „Jetzt arbeiten wir mit denen zusammen!“

Autor

Rüdiger Sinn ist Redakteur der Zeitschrift dach+holzbau.

 

Praxiszentren der BG Bau

Im Praxiszentrum Nürnberg, aber auch im Arbeitsschutzzentrum Haan können sich Betriebe kostenlos schulen lassen.

Weitere Informationen und Kontaktadressen finden Sie im Internet

Praxiszentrum Nürnberg

www.bgbau.de/die-bg-bau/ansprechpa/schule/nuernberg

Arbeitsschutzzentrum Haan bei Düsseldorf

www.bgbau.de/die-bg-bau/ansprechpa/schule/haan

Fördermöglichkeiten der BG Bau

Die BG Bau fördert und prämiert Geräte und Hilfsmittel, die für den gewerblichen Bereich zugelassen sind. Dabei sind die Anforderungen und Hinweise für die jeweilige Bezuschussung einzuhalten. Gefördert werden unter anderem präventive Maßnahmen gegen Absturz, Staub und Gefahrstoffe, UV-Strahlung, Reduzierung von körperlicher Belastung, Lärm, elektrische Gefährdung und sichere Handmaschinen.Weitere Informationen unter www.bgbau.de/praev/arbeitsschutzpraemien.

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