Einfach anhängen und losfahren!

Zwei junge Menschen bauen sich ein Tiny House und starten ein gemeinsames Leben

Zwei Menschen, ein Gedanke: Der Traum vom Zusammenleben muss nicht in einem klassischen Einfamilienhaus münden. Zwei Abiturienten machen vor, wie moderne Wohnformen aussehen können – mit einem Tiny-House, das auch mit relativ kleinem Geldbeutel umsetzbar ist.  

Die Pläne sind geschmiedet, im Kopf steht das selbstentworfene Tiny House bereits und die ersten Skizzen sind gemacht. Was auf dem Papier gut aussieht, muss allerdings erst noch umgesetzt werden, und zwar so, dass das mobile Häuschen später steht und am besten für etliche Jahre hält. Genau hier beginnt das zweite Kapitel des Projekts von Maya Prinz und Jonathan Zwiener, denen kurz nach dem Abitur während einer Radtour durch halb Europa die Idee eines Eigenheims gekommen war.

Doch von vorne, zum ersten Kapitel: Maya Prinz und Jonathan Zwiener sind ein gutes Jahr ein Paar, als sie im Sommer 2019 in die Pedale treten und ihre gemeinsame Europatour starten. Sie fahren endlose Straßen in Norwegen, Portugal und Frankreich, durchqueren halb Europa, monatelang – sehen viel, genießen die Freiheit, haben viel Zeit. Zum Nachdenken und spüren, was sie nun wirklich wollen. Zwei Gedanken kristallisieren sich heraus: Der eine: Wir wollen künftig zusammenleben und der zweite: Wir wollen ein Eigenheim!

Für ein normales Haus ist der Geldbeutel zu klein

Nach dem ersten Schwelgen über das eigene Haus folgt der Kassensturz und beide Abiturienten merken: Das eigene Haus sollte deutlich weniger kosten als ein klassisches Haus, das sich viele Menschen auf teuren Grundstücken bauen. Der Ernüchterung folgt ein ganz freiheitlicher Gedanke, denn es gibt Alternativen: Zum Beispiel mobile Häuser. So entwickelten die beiden die Idee, ein Tiny House zu bauen.

Tiny Houses sind in Mode gekommen: ein Leben auf wenigen Quadratmetern, die alltäglichen Dinge zum Leben – Kleidung, Töpfe, Bücher – auf das Minimum reduziert. Auch das bedeutet Freiheit. Und das Beste daran: Viele Minihäuser stehen auf Anhängern, sie sind mobil. Man kann sie theoretisch auch in den Urlaub mitnehmen, vor allem aber kann man hin und wieder den Standort wechseln. Der Trend, Tiny-Houses zu bauen, ist letztlich auch ein Ergebnis von mangelndem und vor allem überteuertem Wohnraum in etlichen Regionen. Das gilt vor allem in Großstädten und deren Einzugsgebieten, zum Beispiel rund um Stuttgart. Dorthin, also genauer ins 40 km weiter südlich gelegene Tübingen, wollten Jonathan und seine Freundin Maya  von Freiburg aus im Sommer 2020 ziehen. Sie wegen eines Studiums der Geowissenschaften, er wegen seiner Ausbildung zum Zimmermann, wofür er bereits eine Zusage hatte. Das Surfen auf diversen Immobilien-Seiten, die ihnen einen Überblick über den Wohnungsmarkt des Universitätsstädtchens verschafften, bestätigte sie in ihrem Beschluss, ein Tiny House zu bauen. „Die Preise dort sind unbezahlbar!“, sagt Jonathan Zwiener. 

Ihren Plan für das kleine Haus bringen Maya Prinz und Jonathan Zwiener nach einer coronabedingt frühzeitigen Rückkehr von ihrer Europareise im Frühjahr 2020 auf Papier: Das Traumhaus passt auf einen DIN A3-Bogen. Bei der anschließenden CAD-Zeichnung hilft der Meister von Jonathan Zwieners künftigem Arbeitgeber: der Zimmerei Soulier in Balingen. In den Werkstätten der Zimmerei dürfen die jungen Tinyhäuslebauer alle erforderlichen Arbeiten zum Bau des Tiny Houses erledigen, sechs Wochen lang.

Der Hausbau seines Vaters sei ihm beim Bau des Tiny House zugute gekommen, erzählt Jonathan Zwiener rückblickend. Als Jugendlicher habe er auf der  Baustelle mitgeholfen, handwerkliche Fähigkeiten erlernt, sich schließlich auch ein Stück weit aufgrund dieser Erfahrung zu einer Ausbildung als Zimmerer entschieden – weil er gerne schafft, vor allem mit Holz.

Maya Prinz sagt von sich, sie sei handwerklich normal begabt. Über die verschiedenen Bauweisen eines solchen Tiny House-Projekts hat sie zuvor zahlreiche Foren durchstöbert und Artikel im Internet gelesen. Auch YouTube, sagt sie, sei eine große Hilfe gewesen: „Dort gibt es viele Erklärvideos, das ist genial.“

Maya Prinz und Jonathan Zwiener haben sich bei ihrem Tiny House für eine Holzständerbauweise entschieden. Sie verwendeten ausschließlich Fichtenholz, sowohl für die äußere Schalung als auch im Innenraum. Tischlerplatten dienen der Aussteifung der Konstruktion. Gedämmt wurden die Wände mit flexiblen Holzweichfasermatten. Zur Montage der  vorgefertigten Außenwände auf einem ausrangierten Lkw-Anhänger rückten die Mitarbeiter der Zimmerei Soulier an. Ohne einen Gabelstapler  und ohne die vielen helfenden Hände hätten  die jungen Häuslebauer die Montage wohl nicht geschafft. „So standen die Meister und Gesellen immer für Fragen zur Verfügung“, berichtet Jonathan Zwiener, „deren Fachexpertise hat uns sehr geholfen.“

Die Wände des Tiny House standen innerhalb eines Tages, ein Flachdach komplettiert das Zuhause – zumindest die äußere Schale. Danach folgte der Innenausbau, ebenfalls eine Herausforderung. Einige Bauten mussten angepasst und nochmals gefertigt werden.

Das Eigenheim kostet 15 000 Euro

Nach rund sechs Wochen Bauzeit, rund 1000 Arbeitsstunden und Gesamtkosten von etwa 15 000 Euro, konnten die beiden ihr Eigenheim endlich beziehen: Damit haben sie ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen. Auf einem Campingplatz vor den Toren Tübingens fanden sie einen Stellplatz. Dort leben sie seit vergangenem Herbst auf 22 Quadratmetern, in einem kleinen, aber doch großartigen Häuschen: Die Küche ist erstaunlich geräumig, in einer Nische findet sich das Bad, im Vorraum hat sogar eine Gästecouch Platz, ebenso ein  ausziehbarer Schreibtisch zum Arbeiten. Per Leiter erreichen sie ihr Schlafzimmer, in dem sie aufgrund der niedrigen Decke zwar krabbeln müssen, im Endeffekt aber auch nur schlafen. Bisher, sagt Maya Prinz, sei ihnen die Decke noch nicht auf den Kopf gefallen. Ganz glücklich sind die beiden mit ihrem Stellplatz allerdings noch nicht. Da die Miete relativ hoch ist und der Rauch vom Kamin die Nachbarn stört, sind sie schon auf der Suche nach einem neuen Platz in der Nähe von Tübingen. Es eilt den beiden aber nicht – eine gute Voraussetzung, um den richtigen Ort zu finden. „Zum Glück können wir mit unserem Tiny House problemlos umziehen“, sagt Maya Prinz. Einfach anhängen und losfahren!

Autor

Christian Engel hat Spanisch und Deutsch studiert, ist freier Journalist und lebt und arbeitet in Freiburg.

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