Ein Hochstudhaus wird zum Künstlerhaus  

Im schweizerischen Kanton Aargau konnte ein über 300 Jahre altes und für die Region typisches Hochstudhaus erhalten und einer neuen Nutzung als Künstlerhaus zugeführt werden. Bei den anspruchsvollen Holzbauarbeiten wurden zahlreiche Herausforderungen gemeistert.

Das Künstlerhaus in Boswil (Schweiz) ist der dritte Bau eines Ensembles, zu dem die bereits sanierte Alte Kirche sowie das umgebaute Pfarrhaus gehören. Das ehemalige Pfarrhaus dient heute als Gästehaus für Musikerinnen und Musiker, die hier an Seminaren teilnehmen. Das ehemalige Sigristenhaus, die einstige Unterkunft der Messdiener, wurde zu einem Haus für Musikerinnen und Musiker mit zwei Proberäumen sowie sieben Gästezimmern umgebaut.

Dem Architekten Gian Salis ist es in einem kooperativen Team aus Bauherr, Tragwerksplanern, dem Denkmalschutz und den ausführenden Handwerksfirmen gelungen, die besondere Konstruktion und das äußere Erscheinungsbild des historischen Hochstudhauses weitestgehend zu erhalten und das Gebäude dennoch einer aktuellen Nutzung zuzuführen. Dabei wurde aus dem zunächst stark verbauten und in seinem Inneren unübersichtlichen, dunklen Bau ein freundlicher, heller Innenraum mit wichtigen Sichtachsen im Gebäude und Blickbezügen nach draußen.

Treppenhaus bis unter das Dach geführt

2014 hatte Gian Salis einen von der Stiftung ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Hierbei war auch der Anbau eines Konzertfoyers an die Kirche Bestandteil gewesen, der 2017 realisiert wurde. 2019 bis 2021 wurde nun das Hochstudhaus saniert. „Uns war wichtig, einerseits möglichst viel des ursprünglichen Bestands, auch im Sinne der Weiterverwertbarkeit, zu erhalten und andererseits mehr Licht und Klarheit in das Gebäude zu bringen“, erläutert der Architekt sein Projekt. Die kleinteiligen Gästezimmer wurden ins erste Obergeschoss gelegt, während im Dachgeschoss mit seinem großen Volumen die Proberäume liegen. Eine Folge dieser Entscheidung war, dass das öffentliche Treppenhaus bis unter das Dach geführt werden musste. Eine gute Entscheidung, denn dadurch öffnet sich den Menschen, die den Bau besuchen, die gesamte Raumhöhe bis unter das Dach und zeigt an dieser Stelle sehr deutlich die Konstruktion des Tragwerks.

Bestehende Konstruktion stark nachgebessert und restauriert

Ein weiterer, wichtiger Aspekt des architektonischen Konzeptes war, bei jeder Wand, jeder Decke und jedem Bauteil zu schauen, welche Seite erhaltenswerter ist. Die weniger wertvolle Seite wurde dann ertüchtigt, denn der Bestand entsprach nicht mehr den Anforderungen an ein zeitgemäßes Gebäude und musste energetisch, schallschutz- und brandschutztechnisch stark nachgebessert werden. Die erhaltenswertere Seite der Bauteile wurde dann entsprechend restauriert. So konnte beispielsweise die bestehende Bohlenständerwand mit einer diffusionsoffenen Fassadenbahn, 15,5 cm starker Zellulosedämmung sowie einer OSB-Luftdichtigkeitsschicht ergänzt werden. Wo möglich, wurde das demontierte Täfer, also die hölzerne Innenverkleidung, wieder von innen vor den neuen Wandaufbau gesetzt. 

„Das Gebäude war zu Beginn unserer Arbeiten extrem verbaut“, erzählt Andreas Treier, Holzbau-Polier in der ausführenden Zimmerei Schäfer Holzbautechnik. „Zunächst musste sehr viel zurückgebaut werden und auch in der Bauphase zeigte sich, dass jede Ecke anders war und eine neue Antwort erforderlich machte“, sagt Treier. Ein Plan mit 20 verschiedenen Wandaufbauten, allein im Obergeschoss, steht sinnbildlich für die Komplexität der Sanierungsaufgabe.

Licht und Wetterschutz in der Bauphase

Während bei vielen Sanierungen damit begonnen wird, das Dach der Gebäude zu erneuern, um dann darunter geschützt arbeiten zu können, wurden bei diesem Projekt zwar in einem ersten Schritt die Ziegel vom Dach heruntergenommen und gesichert. Danach wurde aber zunächst „nur“ eine große, transparente Folie über das Dach gespannt. So konnte unter dem Foliendach geschützt gearbeitet werden und gleichzeitig kam viel Licht von oben in das Haus.

Begonnen wurde dann mit der Ertüchtigung der Fundamente. Hier gab es lediglich Natursteinmauerwände, und das auch nur stellenweise. Der Schwellenkranz lag teilweise auf den Natursteinwänden, teilweise direkt auf der Erde. Die neue Betonbodenplatte mit Dämmung und Fußbodenheizung stellt nun einen zeitgemäßen Aufbau dar. Ebenfalls aus Beton ist der neue Liftschacht, der das Kellergeschoss mit dem Dachgeschoss verbindet. Für die vertikale Lastabtragung wäre er nicht notwendig gewesen, aber als aussteifendes Element sichert er die Steifheit des Gebäudes in der Horizontalen. „Wir hatten hier auch eine Alternative aus Holz diskutiert und wieder verworfen“ erzählt Architekt Gian Salis, „zum einen war ein Betonschacht geeigneter, die Aussteifung im Fundament zu verankern, anderseits dient er auch als Steigzone für die Elektroleitungen. Wichtig war uns, dass er mit den Hochstudpfosten nicht in Konkurrenz steht, darum haben wir ihn, wie die anschließenden Wände, mit geschliffenen, zementgebunden Holzfaserplatten bekleidet.“

Tragelemente mit Reserven

Als das Bestandsgebäude zu Beginn erfasst und analysiert wurde, hatte ein kleines Modell gute Dienste geleistet: „Wir mussten uns als Tragwerksplaner überhaupt erst einmal ein Bild von der Konstruktion sowie von der Qualität der einzelnen Bauteile machen“, erklärt Raphael Greder aus dem Büro Makiol Wiederkehr, der die Sanierung als Projektleiter betreut hat. „Es war recht schnell klar, dass zwar die horizontalen Elemente überlastet waren, die vertikalen Tragelemente hingegen sogar noch Reserven für weitere Lasten hatten. So konnten wir die neue Dachkonstruktion auf die bestehende Konstruktion auflagern.“

Neben dem Betonschacht übernehmen die neuen Decken die Horizontalaussteifung. Platten in den Außenwänden sowie wandartige Träger aus Holz sind zudem Teil des statischen Systems. In der Dachkonstruktion ergänzen zwei Mittel- sowie eine aufgedoppelte Firstpfette die Statik. Die Lage der Mittelpfetten orientiert sich dabei an den Auflagerpunkten des Bestands. Das erklärt, warum das neue Dach noch immer den charmanten Schwung des Bestandsdaches hat. Während die Hochstude nach wie vor zentrales Element der Tragkonstruktion sind, tragen die alten Tragbalken (Rafen) die Akustikschalung sowie die Dämmung.

Akustik und Schallschutz

Im Bereich des großen Tennenvordachs an der Südwestfassade gibt es noch eine Besonderheit: Hier wurden die neuen Sparren mit kleinen Pfosten auf den alten Pfetten abgestützt, um das ergänzte Volumen im oberen Dachbereich auszugleichen.

Während das Vordach als ungedämmtes Element außerhalb der Gebäudehülle liegt, ist das Hauptdach unterhalb des Unterdachs und einer Weichfaserplatte zwischen den neuen Sparren mit Zellulose gedämmt. Darunter sitzen die Dampfbremse und eine Lage Steinwolle zur Schallabsorption. Ein Akustikvlies sorgt zudem für die einem Proberaum angemessene Raumakustik. Von innen ist der Raum oberhalb der alten Tragbalken mit Tannenholz verschalt, so dass diese sichtbar blieben.

Einzelne Kastenelemente bilden die Akustikdecken

Akustik und Schallschutz waren insgesamt ein großes Thema im Künstlerhaus. Gerade für die Gästezimmer musste ein ruhiger Aufenthalt gewährleistet werden können, obwohl sie direkt unter den Proberäumen liegen. Ein wichtiges Element sind daher die „Lignatur“-Kastenelemente „Silence“, in diesem Fall aus Fichte. Während diese häufig zu Plattenelementen zusammengefasst auf die Baustelle geliefert werden, wurden im Künstlerhaus einzelne Kastenelemente verlegt und haargenau in die jeweilige Einbausituation eingepasst. Für den Schallschutz sorgt neben einer Trittschalldämmung die nach dem Einbau eingebrachte Kiesschüttung.

Alte Bodendielen für Wandverkleidungen wiederverwendet

In einem Buch wurde jeder Raum akribisch dokumentiert und dabei festgehalten, welches Brett, welcher Stein wo gefunden wurde, um diese, wenn möglich, entsprechend wiederzuverwenden. Grundsätzlich wurde versucht, so viel Material wie möglich wiederzuverwenden. Ungewöhnlich, aber ästhetisch sehr gelungen: Alte Bodendielen wurden von den Handwerkern als rustikale Verkleidung der Wände wiederverwendet. Um diesen Charakter des Holzes auch in anderen Bereichen nachzuempfinden, kam auf die Zimmerei eine ganz besondere Aufgabe zu: „Da das Bestandsholz nicht für alle Räume gereicht hat, wir aber nicht auf die Qualität des Starkholzes verzichten wollten, wurde ein ganzer Baum gekauft, zu sehr breiten, 60 cm-Bohlen aufgeschnitten und mit dem Handhobel bearbeitet“, erzählt Architekt und Zimmerer Andreas Treier und ergänzt: „Es fängt schon damit an, dass der Baum im richtigen Moment gefällt werden muss. Zudem ist ein entsprechender Trocknungsraum Voraussetzung, um die aufgeschnittenen Bretter trocknen zu können.“

Bei der Holzverkleidung handelt es sich übrigens um regionale Weißtanne, während für die Möbel und das Klebeparkett das sehr harte Holz der Hainbuche verwendet wurde. Das Beispiel zeigt, mit welcher Haltung Architekten und Zimmerleute an die Arbeit gingen. „Wenn man bedenkt, dass das Projekt mit einem Antrag auf Schutzentlassung begann, um an dieser Stelle einen Neubau zu errichten, können alle Beteiligten mit dem heutigen Ergebnis sehr zufrieden sein“, betont Philipp Schneider, zuständiger Bauberater bei der kantonalen Denkmalpflege Aargau, „so wurde ein weiteres Hochstudhaus gesichert und einer zeitgemäßen Nutzung zugeführt.“

 

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Was ist eigentlich ein Hochstudhaus?

 

Die Typologie des Hochstudhauses findet man vor allem im Südschwarzwald, in Teilen des Elsass und im schweizerischen Kanton Aargau. Die Grundidee der besonderen Konstruktion folgt im Prinzip der eines Zeltes. Die vertikalen „Zeltstangen“ bilden hierbei die sogenannten Firstsäulen, die Hochstüde, die in einer Reihe stehend den Firstbalken tragen. Das „Zeltdach“ besteht konstruktiv aus den Rafen (Tragbalken), die immer paarweise verzapft über den Firstbalken und am unteren Ende über die Außenwände „gehängt“ wurden. Das Dach ist in der Regel sehr groß und steil. Ursprünglich waren die Häuser mit Stroh gedeckt. Durch die sehr steile Dachneigung konnte das Regenwasser gut abfließen. Die Umschließungswände entstanden in der Regel in Bohlenständerbauweise auf einem umlaufenden Schwellenkranz.

Das Hochstudhaus in Boswil hatte man zudem Ende des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts erweitert, wobei das große Dach durch seine besondere Konstruktion hierfür quasi „auseinandergeklappt“ wurde, indem die Rafen mit kleinen Pfosten aufgeständert wurden und so die Grundfläche darunter verbreitert werden konnte. Auch der hintere Stalltrakt war nicht Bestandteil des Ursprungsbaus.

Bautafel (Auswahl)

Bauherrschaft Stiftung Künstlerhaus Boswil, Boswil (CH), www.kuenstlerhausboswil.ch

Architektur Gian Salis Architektur GmbH, Zürich (CH), www.giansalis.ch

Bauleitung Hüsser + Partner Architekten, Muri (CH), www.huesserpartner.ch 

Holzbauingenieur und Brandschutz Makiol Wiederkehr, Beinwil am See (CH), www.holzbauing.ch 

Bauingenieure HKP Bauingenieure, Zürich (CH), www.emchberger.ch

Holzbau Schäfer Holzbautechnik, Aarau (CH), www.schaefer-holzbautechnik.ch

Denkmalpflege Kantonale Denkmalpflege Aargau (CH)

Planung 2018 – 2019

Umsetzung 2019 – 2021

Kosten 5,3 Mio Schweizer Franken (ca. 5,3 Mio. Euro)

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