Dachboden einer Schule mit Seegras gedämmt

Diffusionsoffenes Dämmsystem: Unterkonstruktion mit Stecksystem und Seegrasdämmung zur energetischen Sanierung

Das Dämmen der obersten Geschossdecke ist seit einigen Jahren Pflicht bei Altbauten. So natürlich auch bei Schulen. Mit einem funktionalen Dämmsystem konnte das Dachgeschoss einer Schule gedämmt werden. Die Gefache füllten die Handwerker mit Seegras, einem Rohstoff, der aus dem Meer kommt.

Das altehrwürdige vierstöckige Schulgebäude im Karlsruher Stadtteil Mühlburg am Rande der Weststadt wurde 1908 erbaut. Seitdem ist dort eine Schule untergebracht. Nach teilweiser Zerstörung im Zweiten Weltkrieg (das oberste Geschoss wurde komplett zerstört) ist dort heute eine städtische Förderschule mit den Klassen 1 bis 9 untergebracht, die sich vor allem die Inklusion auf die Fahnen geschrieben hat. Derzeit gehen hier 115 Schülerinnen und Schüler zur Schule.

Das Dachgeschoss der Schule wurde nur als Lagerraum genutzt und war als Kaltdach ausgeführt. Darunter befinden sich Klassenzimmer. Im Winter war der Heizbedarf entsprechend hoch. Deshalb entschloss sich die Stadt Karlsruhe (mit dem Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft) als Auftraggeberin, die oberste Geschossdecke zu dämmen. Da sich per Gemeinderatsbeschluss von 2016 Karlsruhe verpflichtet hat, aus Erdöl hergestellte Dämmmaterialien bei städtischen Gebäuden nicht mehr einzusetzen, wurde eine ökologische Lösung gesucht und mit einem Dämmsystem von Hufer-Holztechnik in Kombination mit dem Dämmstoff „Neptutherm“ auch gefunden. Grundlage für den Aufbau ist das „Dämmraum“-System von Hufer. Dazu werden auf den Rohboden 60 mm dicke und 86 mm breite genutete Dämmplattenstreifen ausgelegt. In die Nuten wird der T-förmige Sparrenexpander hineingesteckt, dessen Höhe der Dämmstärke entspricht.  In diese entstandenen Gefache wird dann der Dämmstoff eingefüllt. In diesem Fall war es eine ökologische Dämmung, die vom Meer sozusagen an Land gespült wird.

Erdölbasierte Dämmstoffe sind in Karlsruhe tabu

Beauftragt wurde die Zimmerei Berggötz aus Karlsruhe. Das Unternehmen hat sich unter anderem auf  Altbausanierungen spezialisiert, übernimmt aber auch alle anderen Zimmererarbeiten. Zunächst musste die alte Dämmung ( 2 x 100 mm Styropordämmung und Dampfsperre) rückgebaut werden. Sie hatte nicht mehr die erforderlichen Dämmwerte erbracht. „Styropor verliert mit der Zeit seine Dämmeigenschaften“, sagt Thomas Kühn vom ABK Architekturbüro in Karlsruhe. Er plante den Bau und hatte die Bauüberwachung inne. Auch Fragen zur Entsorgung der HBCD-haltigen Styroporplatten ließen die Verantwortlichen diesen Weg einer Dämmung aus nachwachsenden Rohstoffen gehen. „Lieber jetzt entsorgen als später“, war die Devise. „In Absprache mit dem Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft wollten wir den Rückbau so schnell wie möglich machen, da es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit ist, bis die Deponiepreise für HBCD-haltige Stoffe explodieren“, sagt Thomas Kühn.

Rückbaulogistik trifft Aufbaulogistik

Das alte Dämmmaterial wurde von den Zimmerleuten im ersten Schritt zurückgebaut, gesammelt und per Kran durch eine Dachöffnung aus dem Dachgeschoss gehoben, nach unten gebracht und entsorgt. Durch die gleiche Öffnung brachten die Handwerker den neuen Dämmstoff in das Dachgeschoss. Das Dachgeschoss hat insgesamt eine Fläche von 780 m². Für den Einbau des Dämmsystems wurden jeweils 1310 lfm der Hufer-Sparrenexpander und die dazugehörigen  Dämmplattenstreifen in 2,40 m Länge aus Holzweichfaserplatten geliefert und per Autokran in das geöffnete Dachgeschoss gehoben. „Das war eine besondere logistische Herausforderung“, sagt Dominik Merz, Zimmerer und Vorarbeiter bei der Zimmerei Berggötz. Zu dem Dämmsystem kamen 230 m³ des Naturdämmstoffes „Neptutherm“, verpackt in 200 Liter Säcke. „Wir mussten rund 1000 Säcke Dämmstoff in das Dachgeschoss bringen“, erinnert sich Zimmermann Merz. Der Dämmstoff wird aus Seegras gewonnen, das am Mittelmeer an die Strände gespült und von der Firma Neptutherm aus Karlsruhe weiterverarbeitet wird. Die bräunlichen Bälle kann man rund um das Mittelmeer am Strand finden. Diese werden gesammelt und nach Deutschland transportiert, getrocknet und aufbereitet. Der Dämmstoff kommt ganz ohne chemische Zusätze aus und fällt in die Baustoffklasse B2 (normal entflammbar), hat die höchste Schimmelresistenzklasse und ist sorptionsfähig. „Der Dämmstoff kann Feuchtigkeit optimal aufnehmen und wieder abgeben“, sagt Architekt Thomas Kühn, der sich von dem Dämmmaterial überzeugt zeigt.

Der rohe Dielenfußboden der Vogesenschule musste nicht nivelliert werden, lediglich an den aufsteigenden Sparrenfeldern des Daches wurden als Stellbretter OSB-Platten befestigt, damit der Seegras-Dämmstoff nicht in die Sparrenfelder rieselt. Von einer externen Fachfirma wurden die Kabeldurchdringungen gegen Brand abgeschottet.

Einfache Montage, keine Wärmebrücken

Die Montage des Dämmsystems gestaltete sich als einfach und wirtschaftlich. Zunächst wurde von den Zimmerleuten das Hufer-Dämmsystem ausgelegt. „Begonnen wird mit den Dämmplattenstreifen aus Holzfasern, die mittig eine Nut haben, in die der Sparrenexpander eingeschoben wird“, erklärt Vorarbeiter Dominik Merz, als er das System vorführt. Der Anfang, die ersten Meter, seien dabei entscheidend, so Merz. Hier müsse zum einen die Flucht der Sparrenexpander stimmen und zum anderen der Abstand zwischen den Expandern exakt ausgemessen werden. In diesem Fall wurde ein Sprungmaß von 62,5 cm gewählt, das war vom Planer so vorgegeben.

Sind die ersten Meter gemacht, geht das Verlegen einfach. Nachdem die Dämmstreifen mit der Nut nach oben verlegt und mit Holzschrauben auf dem Boden fixiert sind (wie die Sparrenexpander auch, 2,40 m Länge), steckt der Handwerker den Sparrenexpander (ein T-Profil aus Sperrholzplatte und 55 mm breiten  OSB- Streifen  als oberen Abschluss) in die Nut ein. „Wir verwenden hier den „SE 18 plus, DP 60“ mit einer maximalen Dämmhöhe von 280 mm“, erklärt Dominik Merz, der zusammen mit seinem Kollegen Marvin Werner die Verlegung des Systems zeigt. Es gibt unterschiedliche Systemhöhen, je nach Anforderung. Aus Sicht von Zimmermann Dominik Merz ist das Dämmsystem im Zusammenspiel mit dem Dämmstoff Neptutherm sowohl ökonomisch als auch bauphysikalisch und ökologisch von Vorteil. „Es geht einfach zu verarbeiten, ist schnell zu verlegen, wir haben durch den dünnen Steg keine Wärmebrücken, das System ist diffusionsoffen und wir verwenden nur nachwachsende Rohstoffe“, fasst er zusammen.

Alle losen Dämmstoffe verwendbar

Nachdem das Grundgerüst durch die Stegträger am Boden befestigt ist, wird das Dämmmaterial lose eingefüllt. Die Neptutherm-Säcke sind stabil und mit einem Pfand beaufschlagt und können so vom Hersteller direkt wiederverwendet werden. Verwendbar für das Hufer-System sind allerdings alle Dämmstoffe, die lose verlegt werden können, also auch Zellulose, Holzfaser oder Mineralwolle. „Das Dämmmaterial von Neptutherm ist zwar ein bisschen staubig, aber gut zu verarbeiten und gesundheitlich unbedenklich“, sagt Zimmermann Merz. Beim abschließenden Verlegen der Laufstege über den Sparrenexpandern wird der Dämmstoff, der sich gut stopfen lässt, noch ein wenig verdichtet und unter die Fichteschalung in die Gefache gedrückt. Zimmerer Marvin Werner vernagelt die Schalung dann mit einem Gasnagler auf der Unterkonstruktion.

Rund drei Wochen für 780 m²

So wurde in etwa drei Wochen das gesamte Obergeschoss mit zwei bis drei Facharbeitern vollständig gedämmt. Eine Bretterschalung (24 mm) verlegten die Zimmerleute nur dort, wo Laufwege zu Dachfenstern, Installationen oder Revisionen nötig waren. In allen anderen Bereichen wurde die Dämmung nicht abgedeckt und muss auch nicht – wegen der erwähnten Eigenschaften – vor Feuchtigkeit geschützt ­werden. Da aber im gesamten Dachgeschoss die Sparrenexpander verlegt sind, beseht im Prinzip die Möglichkeit, je nach späterer Anforderung, den gesamten Dachboden später mit einer Holzschalung zu belegen. „Für diejenigen, die die oberste Geschossdecke in einem Haus ökologisch dämmen möchten, ist das System eine sehr gute Alternative zu herkömmlichen Dämmstoffen, also zum Beispiel alukaschierter PUR-Dämmung“, sagt Dominik Merz. Der Fußboden-Aufbau sei zwar höher, allerdings sei das in den meisten Fällen im Dachgeschoss kein Problem, meint der erfahrene Zimmermann.

Planer und Handwerker sind mit der Lösung gut gefahren. Auch das Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft und der Architekt Thomas Kühn sind zufrieden. Demnächst soll das Dachgeschoss einer weiteren Schule mit dem gleichen Fußbodenaufbau gedämmt werden. Ähnliche Lösungen mit dem Dämmstoff und dem Dämmsystem sind für zahlreiche Fassaden bei städtischen Gebäuden in Karlsruhe geplant.

Autor

Rüdiger Sinn ist Redakteur der Zeitschrift dach+holzbau.


Bautafel (Auswahl)

Projekt Dämmung der obersten Geschossdecke eines Schulbaus von 1908

Objekt Vogesen-Förderschule, 76185 Karlsruhe

Bauherrin Stadt Karlsruhe, Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft

Architekt Thomas Kühn, ABK Architekturbüro Kühn, 76133 Karlsruhe

Zimmererarbeiten Zimmerei/Holzbau Andreas Berggötz, 76227 Karlsruhe, www.berggoetz-zimmerei.de

Produkte (Auswahl)

Sparrenexpander „SE 18 plus, DP 60“, Dämmhöhe 280 mm mit Dämmstreifen aus Holzweichfaser (WLG 040), Hufer Holztechnik OHG, 97769 Bad Brückenau, www.daemmraum.de

Dämmstoff „Neptutherm“ aus Seegras, WLG 040, NeptuGmbH, Gesellschaft für nachwachsende Rohstoffe, Herstellung, Vertrieb und Beratung, 76229 Karlsruhe, www.NeptuTherm.de

Flexibel in den Dämmstärken

Bei dem Objekt wurde das von Hufer Holztechnik entwickelte Boden-Stecksystem eigesetzt. Es besteht aus zwei Elementen, die grundsätzlich 2,40 m lang sind: dem hochverdichteten Dämmplattenstreifen „DP 60“ (60 mm x 86 mm Breite) aus Holzfasern und dem sogenannten „Sparrenexpander“. Die Sparrenexpander (Bild links) gibt es in fünf Standardausführungen: SE 12/18/22/26 und SE 30. Mit ihnen lassen sich Dämmstärken von 20/28/32/36 und 40 cm realisieren. Bei Bedarf wird auch jedes gewünschte Zwischenmaß geliefert.

Mit Produkten von Hufer Holztechnik kann der Handwerker mit dem Sparrenexpander auch den Sparrenquerschnitt beim Dachausbau erhöhen. Mit dem „SE 12“ zum Beispiel wird der Sparrenquerschnitt um bis zu 12 cm erhöht, dabei wiegt das 2,40 m lange Element nur 2,5 kg. Somit ist eine Ein-Mann Montage leicht möglich, ausrichten und Sparrenquerschnitt erhöhen erfolgen in Einem – das spart Lohnkosten und ermöglicht durch schlanke Querschnitte eine nahezu wärmebrückenfreie Konstruktion. Bei Bedarf wird jedes gewünschte Zwischenmaß geliefert. Mehr Informationen unter: www.daemmraum.de.

Neptutherm – Dämmstoff aus dem Meer

„Neptutherm“ ist ein 100 Prozent natürlicher Dämmstoff, der frei von jeglichen Zusätzen und Schadstoffen ist. Er ist zertifiziert durch das Eco-Institut, trägt den Blauen Engel und erfüllt alle gesetzlichen Anforderungen an einen Dämmstoff hinsichtlich sommerlichem und winterlichem Wärmeschutz, Brandschutz und Schimmelresistenz. Er ist nahezu immer wieder verwendbar, aber auch eine endgültige Entsorgung ins Gemüsebeet ist völlig unproblematisch. Das Produkt durchläuft also einen echten Cradle to Cradle-Prozess (von der Wiege zur Wiege). Der Dämmstoff wird aus den abgestorbenen Resten des Seegrases „Posidonia oceanica“ hergestellt, die als kleine Bälle an die Strände des Mittelmeers gespült werden. Aus diesen Naturbällen wird also ein naturreines, nachhaltiges und hochwertiges Produkt gemacht. „Wir geben der toten Pflanze die Möglichkeit als Dämmstoff weiterhin die Umwelt zu schonen“, sagt die NeptuGmbH-Geschäftsführerin Monika Meier. Trotz des ziemlich aufwendigen Transports der Rohstoffe hat „Neptutherm“  –  anders als bei bei vielen Wettbewerbsprodukten – einen sehr geringen Primärenergieverbrauch.

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