Schienensystem im Schieferdach
Schienensystem zur seilgestützen Zugangstechnik an denkmalgeschütztem Haus in BerlinAuf den Dachflächen eines denkmalgeschützten Hauses in Berlin wurde ein Schienensystem zur Arbeit mit seilunterstützter Zugangs- und Positionierungstechnik installiert. Der Zugang ermöglicht die Reinigung der Spezialverglasung in den Dachflächen, die für natürliches Licht unter dem Dach sorgt.
Bei der Sanierung des Gründerzeithauses am Kurfürstendamm 188 (kurz: K 188) suchten die Architekten des Architekturbüros Axthelm und Rolvien lange nach einem über alle Geschosse reichenden Nutzungskonzept. Alle Ideen scheiterten an der Zugangsmöglichkeit der Dachflächen für die Reinigung und spätere Instandhaltung der Dachrinnen, Kehlen und Gauben. Da aus Denkmalschutzgründen nur Festverglasungen für die schrägen Dachflächen erlaubt waren, war eine Reinigung dieser Verglasung nur von außen möglich. Die Denkmalschutzbehörde duldete hier aber keine fest installierten Befahranlagen am Objekt. Die stark frequentierte Straße machte den Einsatz eines Hubsteigers zur Wartung und Reinigung unmöglich. Das Dachgeschoss wurde daher zunächst nicht ausgebaut.
Alternative zu Gerüst oder Arbeitsbühne
Mit der Arbeitsmethode der seilunterstützten Zugangstechnik lieferten die Techniker von ST Quadrat Fall Protection den Architekten schließlich die Idee, um die Dachflächen praxistauglich zugänglich zu machen. Mit der Verhüllung des Reichstags in Berlin 1995 wurde die seilunterstütze Zugangs- und Positionierungstechnik (SZP) in Deutschland erstmals der breiten Öffentlichkeit bekannt. Durch den Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken e.V. (FISAT), der in enger Zusammenarbeit mit den Berufsgenossenschaften und den Herstellern von Absturzsicherungen agiert, hat diese Arbeitsmethode heute einen sehr hohen Sicherheits- und Qualitätsstandard. Damit können auch für geometrisch komplexe Dachflächen Wartungs- und Instandhaltungskonzepte erstellt werden.
Die Seilzugangstechnik eignet sich als Zugangsverfahren für Arbeiten an hoch gelegenen und schwer zugänglichen Arbeitsplätzen. Sie ist eine Alternative zu Gerüst oder Arbeitsbühne. Das Arbeiten am Seil ist sowohl in Europa als auch in Deutschland gesetzlich geregelt. Für Europa gibt es die Richtlinie 2009/104/EG, die in Deutschland in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) umgesetzt wurde. Hierbei positionieren sich die Höhenarbeiter für Arbeiten an hoch gelegenen Arbeitsplätzen immer mit Trag- und Sicherungsseilen. Diese Arbeitsmethode wird sowohl im Denkmalschutz als auch im modernen Objekt- und Wohnungsbau eingesetzt.
Objektbezogenes Konzept
Das objektbezogene Zugangskonzept für das Büro- und Geschäftshaus K 188 ist methodisch aufgebaut. Es beinhaltet neben der vorangegangenen Gefährdungsbeurteilung auch Aufgangs- und Zuwegelösungen, Vorgaben für die persönliche Schutzausrüstung (PSAgA), zulässige Lastabtragungen, die Anzahl von Personen, Hinweise zu Witterungseinflüssen, Systeme und Komponenten der Absturzsicherung, inklusive Dokumentation der eingesetzten Systeme bis hin zu Empfehlungen für die Rettung verunfallter Personen.
Dachfenster sollten nicht sichtbar sein
Diese schlüssige Arbeitsmethodik hatte ein Umdenken in den Köpfen der Projektverantwortlichen bewirkt. Auch die Denkmalschutzbehörde konnte von der Machbarkeit einer seilgestützten Zugangstechnik auf den Dachflächen überzeugt werden. Der Dachausbau wurde gemäß EnEV 2014 als gedämmtes, hinterlüftetes Schieferdach ausgeführt. Um das Dach überhaupt ausbauen zu können, insbesondere um neu auftretende Deckenlasten sicher in das tragende Mauerwerk einzuleiten, musste auch der Dachboden ertüchtigt werden. Dachgauben waren beim Dachumbau genauso wenig genehmigungsfähig wie reguläre Dachflächenfenster, weil sie nach Auffassung der Denkmalpflege das historische Erscheinungsbild zu stark verändert hätten. Allerdings sah man ein, dass für eine hochwertige Nutzung eine natürliche Belichtung der Dachräume wichtig wäre. Problematisch waren für die Denkmalbehörde aber die hochspringenden Kanten und Reflexionen, die Dachfenster erzeugen können. Beides sollte von der Straße aus möglichst nicht wahrnehmbar sein.
Arbeit auch bei Schlechtwetter möglich
Diese Bauaufgabe lösten die Planer mit einer Festverglasung, bei der die Scheiben mit einem grauen, vertikal verlaufenden Muster bedruckt und flächenbündig in das Dach integriert wurden. Dieses etwa drei Meter breite Scheibenband verläuft nun entlang der beiden Straßenfronten etwas oberhalb der Traufe. Das Tageslicht, dass dadurch ins Gebäude von oben hereinfällt, schafft eine freundliche Raumatmosphäre. Während der Sanierung war das Dach mit einem temporären Schutzdach überspannt. Auf diese Weise konnten die Dachdecker witterungsunabhängig arbeiten.
Schienensystem am Steildach
Den Zugang für die spätere Reinigung der großformatigen Festverglasung löste man mit dem Schienensystem „Lux-top FSA 2010-H“. Es besteht aus einer horizontalen Anschlageinrichtung mit fester Führung gemäß DIN EN 795 Typ D, die zum sicheren Anschlagen der persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) in absturzgefährdeten Bereichen dient. Das Schienensystem ist dafür ausgelegt, dass Höhenarbeiter in der Lage sind, die Dachfläche sicher zu begehen und darauf zu arbeiten, in diesem Fall vor allem für die Reinigung und Inspektion. Um möglichen Verformungen der Schiene entgegenzuwirken, wurde der maximale Abstand der für das Schieferdach erforderlichen Halter von standardmäßig 3 m auf 0,9 m reduziert. Die zum System gehörenden Unterkonstruktionen montierte der beauftragte Dachdeckerbetrieb verdeckt unter der Schieferdeckung. Entsprechende Ein- und Ausstiegpunkte in der Nähe der Schiene erleichtern die Benutzung. Insgesamt drei Dachflächen sind mit dieser Zugangstechnik ausgerüstet, zwei davon liegen neben der zwiebelturmartigen Rotunde und dem Schmuckgiebel zum Kurfürstendamm hin. Eine weitere Schiene wurde im rückwärtigen Bereich zur Schlüterstraße hin in die Dachfläche integriert. Die Schienen fügen sich konstruktiv und farblich durch eine passende farbliche Beschichtung gut in das Dach ein. Die Immobilie ist im Bestand eines Frankfurter Immobilienunternehmens. Die zusätzlich geschaffenen Büroflächen im Dachgeschoss haben schnell einen Mieter gefunden. Das Beispiel zeigt, dass mit rechtzeitiger Planung und seilunterstützter Arbeitsmethodik die Reinigung und Instandhaltung an schwer erreichbaren Gebäudeteilen möglich ist. Die Investition in seilunterstützte Zugangstechnik ist dabei eine Alternative zu gängigen gebäudetechnischen Festinstallationen.
AutorDipl.-Ing. (FH) Martin Binder ist Geschäftsführer von ST Quadrat Fall Protection S.A. in Beyren (Luxemburg).
Bautafel (Auswahl)
Projekt Sanierung und Ausbau des Dachgeschosses eines denkmalgeschützten Gebäudes, Kurfürstendamm 188, 10707 Berlin
Bauherr RFR Management GmbH, 60325 Frankfurt am Main, www.rfr-management.de
Architekten Axthelm Rolvien GmbH & Co. KG, 14482 Potsdam, www.axthelm-rolvien.de
Schienensystem sichert bis zu vier Personen
Das Schienensystem „Lux-top FSA 2010-H“ dient der Sicherung von Personen auf Flach- und Schrägdächern, an Fassaden und auf Industriegebäuden. Es besteht aus einem Aluminium-Schienenprofil und diversen Zusatzkomponenten aus Edelstahl. Mit verschiedenen Haltern, drei verschiedenen Schienenläufern und individuell gebogenen Schienen lassen sich Systeme für alle Einbausituationen realisieren. Die Zwischenhalter und Kurvenelemente des Systems sind überfahrbar. Bis zu vier Personen können sich mit ihrer persönlichen Schutzausrüstung gegen Absturz am System anschlagen. Die Schiene lässt sich farblich und im Verlauf der Gebäudeform anpassen. Die Auslenkung des Schienenprofils im Absturzfall ist auch beim maximal zulässigen Halterabstand von drei Metern gering. In der Montageanleitung werden die exakten Abstände und die Art der Befestigungsmittel vorgegeben. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat dem Hersteller ST Quadrat Fall Protection im Januar 2019 für das horizontale Schienensystem „Lux-top FSA 2010-H“ die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) erteilt. Mehr Informationen finden Sie unter: www.lux-top-absturzsicherungen.de