Großer Hype um kleine Häuser
Holzbauer nutzen Tiny-House-Ausstellung in Weinstadt zur AkquiseMehr als 70 000 Besucher kamen zur Tiny-House- und Micro-Living-Ausstellung von April bis Oktober 2019 nach Weinstadt. Architekten, Zimmerer und ein Fertighaushersteller zeigten dabei mit sieben Beispielen, wie minimalistisches Wohnen in Holzbauweise aussehen kann.
In einem ehemaligen Steinbruch in Weinstadt bei Stuttgart ist für ein halbes Jahr Goldgräberstimmung in einer noch jungen Branche aufgekeimt. Die nur über eine schmale Brücke erreichbare Wagenburg der Tiny-House-Ausstellung von April bis Mitte Oktober war Sehnsuchtsort für Menschen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden. Die Schreinerei Obermüller aus dem nahen Winnenden kam dabei mit ihrem „Tiny House Stuttgart“, aufgebaut auf einem Trailer, der ursprünglichen Idee eines mobilen kleinen Hauses am nächsten. Der Begriff Tiny House („winziges Haus“) kommt ursprünglich aus den USA. Dort wurde 2017 für Tiny Houses die Definition einer Wohnstätte mit einer Grundfläche bis zu 400 sq ft (= square feet), also etwa 37 m2 im Baugesetz verankert. In Deutschland gibt es keine rechtliche Definition, ein Tiny House wird von den örtlichen Behörden wie ein gewöhnliches Gebäude betrachtet – mit allen damit verbundenen Anforderungen.
Cabin Spacey hat zwei Häuser verkauft
Simon Becker und Simon Rauch, Architekten und Gründer von Cabin Spacey, ist es bereits gelungen, für zwei Tiny Houses in Tübingen eine Baugenehmigung zu erhalten. Wie aufwendig die Genehmigung für ein Tiny House ist, weiß auch Florian Schmid, Vertriebsleiter Süd bei Schwörerhaus, aus eigener Erfahrung. Seine Strategie ist es, mit einer Vielzahl von Einzelprojekten eine kritische Masse an Bauvorhaben entstehen lassen, die den Gesetzgeber dazu bewegt, das Baurecht für Tiny Houses zu ändern. „Realistisch ist das in den nächsten zehn Jahren allerdings nicht“, ergänzt Florian Schmid.
Für Frieder Dippon, Zimmermeister aus Weinstadt, war dies der Grund, sich zunächst gegen die Ausstellung zu positionieren. Er empfand es als unredlich, bei den Interessenten eine Sehnsucht zu wecken, die in naher Zukunft nicht zu erfüllen ist. Aus einer Laune heraus entwarf er dennoch zusammen mit Prof. Fritz Barth, Professor für Baugestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar, ein reduziertes, spartanisch eingerichtetes Holzhaus. Ein ehrliches Statement, keine Verführung zum Unerreichbaren: „Wir dürfen den Leut‘ net erzählen, dass sie überall ein Häusle hinstellen können, blos weil es Rädle hat“, mahnt er im schwäbischen Dialekt zum Realismus.
Holzbau Dippon: Anfragen und Aufträge
Und dennoch: 20 000 Prospekte wurden zum so genannten „Kleinen Haus“ von Frieder Dippon mitgenommen: Unzählige Sonntage hat er in der Kluft des Zimmermanns vor Ort geduldig und kundig beraten, klar argumentiert und nebenbei Anfragen und Aufträge für An- und Umbauten in Holzbauweise für die kommenden Monate erhalten. „Energetisch ist es sinnvoller, Bestehendes zu erhalten und den Anforderungen anzupassen“, hat er viele Anfragen zu einem Tiny House ehrlich beantwortet.
Die Ausstellung in Weinstadt hat bei Experten aus der Immobilien- und Wohnungswirtschaft und den Kommunen bundesweit Interesse gefunden. Einer der Aussteller verlangte für individuelle Besichtigungen gar 50 Euro, unzählige Anfragen, manche gar mit dem Angebot einer Sofortanzahlung, stapeln sich bei den Ausstellern. Zwei Mini-Häuser wurden während der Ausstellung verkauft und eine Hotelanlage wird projektiert.
Der Erfolg der Veranstaltung und noch viel mehr die Aussteller selbst lohnen den Blick auf einen Markt, der von vielen sehr unterschiedlichen Playern, auch aus dem Holz- und Fertigbau, beackert wird. In Deutschland sollen mittlerweile mehr als 30 Anbieter ihr Glück versuchen. Der Markt ist von Start-up-Optimismus, Goldgräberstimmung einerseits, andererseits auch von nüchterner Betrachtung der Fakten geprägt. Es ist gegenwärtig noch ein fröhliches Nebeneinander, für ein Gegeneinander ist die Nische zu groß.
Mehr als 30 Anbieter suchten ihr Glück
Einen Interessensverband, der versucht, die Fragen zu Bau- und Stellplatzgenehmigungen, dem Wohnen auf dem Campingplatz oder gemäß der Straßenverkehrsordnung gemeinschaftlich zu adressieren oder einen Marktplatz für Bau- und Stellplätze organisiert, gibt es noch nicht. Auch nicht nach der Ausstellung in Weinstadt. Dort war jeder zunächst damit beschäftigt, einen neuen Platz für sein Ausstellungsobjekt zu finden.
Reduktion auf das Wesentliche
Doch was lässt dieser wachsende Markt erwarten? In der Gesellschaft, zumeist in akademisch geprägten urbanen Milieus, erwächst offensichtlich eine Sehnsucht nach Minimalismus, sich auf das Wesentliche zu reduzieren, den Konsumballast abzuwerfen, bewusst und im Grünen zu leben. Gleichzeitig besteht der Wunsch, ein Zuhause zu haben und dennoch mobil zu sein. Der Sehnsuchtsort scheint ein schickes Tiny House zu sein.
Es sind allerdings nicht die agilen Großstadt-Hipster, sondern die Gesetzten in den Fünfzigern und Sechzigern, als Paar oder auch alleinstehend, die sich konkret die Frage stellen, wieviel Platz sie zum Wohnen noch brauchen. Das meint zumindest Florian Schmid, Vertriebsleiter Süd bei SchwörerHaus, aus seiner Verkaufserfahrung. Mehr als 300 sogenannte „Flyingspaces“ hat der Fertighaushersteller bereits verkauft und aufgestellt. Als Anbau für ein Mehrgenerationenhaus, als neues Zuhause für die Elterngeneration, die das zu groß gewordene Eigenheim der nächsten Generation übergeben hat, auf dem eigenen großen Grundstück. Der Hersteller umwirbt mit den „Flyingspaces“ nach eigenen Angaben „Singles und Paare, die sich auf 30 bis 65 m2 Wohnfläche wohlfühlen, aber auf einen Garten und den direkten Bezug zur Natur nicht verzichten wollen.“
Wenn Sie mehr über Tiny Houses erfahren möchten: Als Plattform für Interessenten und Anbieter hat sich die Website www.tiny-houses.de etabliert, die von einer Beratungsgesellschaft betrieben wird.
AutorVolker Simon ist Inhaber der Agentur nota bene communications, die Kunden im Bereich Bauen und Holzbearbeitung betreut. Er lebt und arbeitet in Weinstadt.
Links zu Ausstellern:
www.kupkagarten.de/spiegelhaus/
www.schwoererhaus.de/flyingspaces
www.schreinerei-obermueller.de/tinyhouse