Die Geschichte des Flachdachs - von der Antike bis zur Gegenwart
Vor allem in den trocken-heißen Gebieten des Mittelmeerraums, in Amerika und in Asien war das flache Dach seit Urzeiten bekannt. Die Entwicklung neuer Bautechniken und verbesserter Abdichtung führte zu seiner Verbreitung im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert. Heute ist es nicht mehr wegzudenken.
Die frühen Flachdächer in trocken-heißen Klimazonen waren weit mehr als ein notwendiger Abschluss und Schutz nach oben. Wo immer es technisch und klimatisch möglich war, nutzten Menschen das flache Dach als Lebensraum, als Verkehrsfläche oder Terrasse, zur Belichtung und Belüftung.
An den steilen Berghängen im Kaukasus oder in Tibet waren Dächer die einzigen ebenen Flächen, die für Hausarbeiten, zum Trocknen, Dreschen aber auch als Verkehrswege genutzt wurden. Bei den Pueblo-Indianern im Südwesten der USA spielte die Erweiterbarkeit der Hausmodule nach Bedarf eine wichtige Rolle.
Abdichtung mit Basaltlava
Als Tragschichten dienten damals Holzbalken, darüber angeordnet lokal vorhandene Materialien wie Bambus, Reet, Zweige oder auch Steinplatten und eine klimatisierende Schicht aus Sand, Blättern oder Ähnlichem. Abgedichtet wurde wieder mit vorhandener Erde oder Lehm, sie wurde verdichtet und glattgestrichen und häufig auch imprägniert. Im Jemen war es ein wasserdichtes Gemisch aus Wasser, Kalk und Basaltlava mit einer Imprägnierung aus Speisefett. Meistens mussten diese Konstruktionen nach der Regenzeit nachgebessert werden, wobei immer bessere Abdichtungsmethoden entwickelt wurden.
Begrünte Flachdächer in Antike und Renaissance
Im 6. Jahrhundert v. Chr. entstand mit den Hängenden Gärten der Semiramis auf dem babylonischen Palast wohl die älteste und prachtvollste bekannte Gründachfassade, eines der sieben Weltwunder der Antike. Die Abdichtung der Etagen bestand aus einer Lage Rohr mit viel Asphalt, darüber eine doppelte Lage aus gebrannten Ziegeln, die in Gipsmörtel eingebettet waren, und obenauf dicke Platten aus Blei. So wurde ein Durchdringen von Feuchtigkeit verhindert. Aber auch die Römer liebten üppige Dachbepflanzungen mit Fischteichen, wohingegen die Grasdächer Skandinaviens und Islands zur Wärmedämmung angelegt wurden.
Jahrhundertelang vergessen brachte erst die Renaissance der griechischen und römischen Antike die Gartenkultur wieder nach Rom, nach Florenz und Venedig. Vor allem die Dachflächen auf Schlössern wurden zu großzügigen Dachgärten.
Das Flachdach kommt nach Mitteleuropa
Kurz darauf, zur Blütezeit des Barock, erschienen die ersten Dachgärten nördlich der Alpen. Es blieb jedoch einzelnen Palästen vorbehalten, denn dicke Dämm- und Entwässerungsschichten und der Einsatz von Abdichtungen aus Kupfer, Blei und Teer trieb die Kosten in enorme Höhen. Auch wurden diese Flachdächer aus Ziegeln und Natursteinen mit geringer Neigung hinter Balustraden versteckt.
Der Durchbruch – das Holzzementdach
1839 entwickelte der schlesische Böttchermeister Samuel Häusler mit dem Holzzementdach eine preiswerte Konstruktion: Auf einer Holzschalung wurden vor Ort mehrere Lagen Ölpapier mit Pech oder Teer verklebt und zum Schutz der Dachhaut und aus Brandschutzgründen mit Sand und Kies überdeckt. Diese Erfindung setzte sich in der 2. Hälfte des 19 Jahrhunderts in Großstädten schnell durch. Das aufgebrachte Substrat wurde teils gezielt mit Rasen begrünt oder zur spontanen Selbstbegrünung sich selbst überlassen. So entstand während der Industrialisierung die erste serienreife Dachbegrünung. Es gibt heute noch original erhaltene Holzzementdächer.
Mit Stahlbeton und Asphalt in neue Dimensionen
Mit Einführung des Eisen- und später des Stahlbetons gelingt die einfache Herstellung ebener Decken und Dächer, abgedichtet mit Asphalt. Die Pioniere des neuen Baustoffs zeigten dessen konstruktive und statische Möglichkeiten mit einem neuen Baustil.
In großem Rahmen erschien das Flachdach nach einem Großbrand in Chicago 1871. Die Stadt dehnte sich dank boomender Wirtschaft explosionsartig aus. Knapper, teurer Boden führte zu einer extrem dichten und hohen Bebauung. Das Flachdach bot Fläche für alle haustechnischen Installationen. Abgedichtet wurde mit Bitumenpappe auf Basis des Bitumens, das als Abfallprodukt bei der Destillation von Erdöl in den USA seit Mitte des 19. Jahrhunderts anfiel.
Der Architekt Frank Lloyd Wright übertrug die Ideen der Chicagoer Geschäftshäuser auf kleine Bauten amerikanischer Vororte. Es entstanden die unterschiedlichsten Flachdächer mit begehbarer Terrasse auf auskragender Stahlbetonplatte, aber auch schlichte Würfel, die aus rein wirtschaftlichen Gründen ein Flachdach erhalten. Eine Publikation zu seiner Arbeit 1910 in Berlin wirkte nachhaltig auf Architekten Europas: De Stijl, Gropius, Mies van der Rohe begeisterten sich für die gestalterischen Möglichkeiten für eine von Ornamenten befreite Architektur in neuen Bautechniken, die neue Formen bedingen.
Mit Le Corbusier zum Durchbruch
Für die Architekten Loos und Le Corbusier stand die Nutzung des Flachdachs im Vordergrund. 1912 baute Adolf Loos das erste Terrassenhaus Mitteleuropas.
Auch Le Corbusier sah das Flachdach als Erweiterung des Wohnraums und machte es in unseren Breitengraden populär. „Der Dachgarten wird zum bevorzugten Aufenthaltsort des Hauses und bedeutet den Wiedergewinn der ganzen bebauten Fläche“, schrieb er 1923 in seinen fünf Punkten zu einer neuen Architektur.
Frühe Moderne
Nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich der Neuanfang auch in der Architektur, der neue internationale moderne Stil setzte sich durch. Für die Avantgarde war klar, dass für den erforderlichen Massenwohnungsbau die Dächer entsprechend dem Stand der Technik in den entwickelten Regionen der Welt flach sein mussten und mit industriell erstellten Materialien wie Blech, Asphalt oder Bitumenpappe gedichtet werden sollten. Alles andere war überholt und teuer. Oft passten aber die Wünsche der Planer nicht zu den Möglichkeiten. Es wurde entwickelt und probiert und es kamen viele Abdichtungsmaterialien, Patente und die ersten Richtlinien für Flachdachkonstruktionen auf den Markt. Neben dem Holzzementaufbau wurden auch Gussasphalt und Dachpappen eingesetzt. Über Schichtenfolgen und Detailausbildungen gab es völlig unterschiedliche Aussagen. Empfohlen wurden vor allem Massivdecken mit 3 bis 4 cm Kork oder Torfoleum als Wärmedämmung, darauf verlegte man zwei bis drei Lagen Dachpappe als Abdichtung oder in Asphalt getränktes Dachleinen zusammen mit Asphaltpappe oder Gussasphalt.
Das Flachdach heute
Die natürlichen Ressourcen werden knapper, der Klimawandel erfordert Maßnahmen – beides hat heute Einfluss auf unsere Gebäudeplanung. Das Abdichten von Flachdächern aller Art ist kein Problem mehr – es gibt Abdichtungssysteme aus Bitumen, Kunststoff, Elastomeren und Flüssigabdichtungen, begeh- und befahrbar, bedarfsgerechte Lagenkombinationen und durchdachte, wirtschaftliche Systeme für jeden Bedarf sowie alle erdenklichen Verarbeitungshilfen. Es gibt für jede Unterkonstruktion und jede Spezialanforderung die passenden Dachsysteme zum Dichten, Dämmen, Begrünen und Energie gewinnen.
Flachdachchancen in der Zukunft
Mit guter Planung, fachgerechter Verarbeitung und entsprechend hochwertigem Material lassen sich Flachdächer fast grenzenloser architektonischer Formen herstellen, die dank ihrer zuverlässigen Dichtigkeit und Witterungsbeständigkeit Schutz für ein ganzes Gebäudeleben bieten. Mit guter Dämmung und ihrem vielfältigen Zusatznutzen haben sie enormes ökologisches Potenzial als klimatischer Mikrokosmos oder Wasserrückhaltereservoir, zur Gewinnung erneuerbarer Energien oder zur Schaffung zusätzlicher Lebensräume auf bebauten Flächen. War früher der Dachgarten ein Luxus, sind heute ungenutzte Dachflächen zumindest in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen kaum mehr vertretbar. Oder mit Le Corbusier gesprochen: „Ist es nicht wahrhaft wider alle Logik, wenn eine ganze Stadt-oberfläche ungenützt unter Zwiesprache der Schiefer mit den Sternen vorbehalten bleibt?“
AutorWolfgang Holfelder ist Leiter Marketing / Kommunikation bei der Paul Bauder GmbH & Co. KG in Stuttgart.