Aufstockung in Massivholzbauweise
Wohnhaus in Berlin-Spandau um zwei Geschosse aufgestocktEin knapp 100 m langes Wohngebäude in Berlin-Spandau wurde um zwei Geschosse aufgestockt. Umgesetzt wurde die Aufstockung mit nicht tragenden Außenwänden und tragenden Innenwänden in Massivholzbauweise. Zwischen den Geschossen kam eine Holz-Beton-Verbunddecke zum Einsatz.
Berlin ist gefragt, die Wohnungsnot in der Hauptstadt ist groß und der Markt für neuen Wohnraum lukrativ. Entsprechend interessiert sind Bestandshalter, ihren Immobilienbesitz zu optimieren und ihren Gebäudebestand zu erweitern. Dieses Ziel verfolgte auch eine private Wohnungsbaugesellschaft, als sie sich entschloss, eine 1984 fertiggestellte Wohnanlage des Berliner Architekten Jürgen Sawade an der Straßburger Straße 40 in Berlin aufstocken zu lassen.
23 neue Wohnungen in Leichtbauweise
Der ursprünglich fünfgeschossige Gebäuderiegel ist Teil eines Wohnhofes in Berlin-Spandau. Architekt Jürgen Sawade hatte das Dach des knapp 100 m langen Gebäudes ursprünglich als Freifläche und Erholungszone für die Bewohner des Hauses vorgesehen. Daher hatte er den Aufzug und das zentrale Treppenhaus bis zur Dachebene geführt – ein Umstand, der das Erschließungskonzept der Aufstockung sehr erleichterte. Mithilfe eines außen liegenden Laubenganges ließ sich der Bestand um zwei Geschosse ergänzen, in denen nun insgesamt 23 Maisonettewohnungen Platz finden.
Die neuen Geschosse der Aufstockung sind in Massivholzbauweise in Kombination mit einer Holz-Beton-Verbunddecke entstanden. Für den Baustoff Holz sprachen nicht nur seine Nachhaltigkeit und der geringe CO2-Fußabdruck: Eine statische Untersuchung des Bestands ergab, dass dessen Fundamente und tragenden Wände im Hinblick auf ihre Tragfähigkeit weitgehend ausgelastet waren. Ohne zusätzliche Verstärkungsmaßnahmen des Ursprungsbaukörpers durfte die Aufstockung nur in Leichtbauweise ausgeführt werden.
Holz-Beton-Verbunddecken
Um Grundrisse mit wenig Flächenverlusten zu gewinnen, wurden die neuen Maisonettewohnungen der Aufstockung ineinander verschachtelt gebaut. „Die tragenden Wände im ersten Aufstockungsgeschoss orientieren sich zwar am Bestand. Die Brettsperrholzwände des zweiten Aufstockungsgeschosses lasten aber zum Teil nicht auf den tragenden Wänden der darunter liegenden Ebene“, erklärt Tragwerksplaner Moritz Scharnofske, der seitens der Lossen Ingenieure GmbH die Tragwerksplanung der Aufstockung verantwortete.
Dünnere Alternative zur reinen Massivholzdecke
Die Decke zwischen den zwei aufgestockten Etagen wurde als lastverteilende „Elascon“-Holz-Beton-Verbunddecke (HBV) mit den stiftförmigen Schubverbindern „SFix Typ 2“ auf Basis der ETA 180264 (17 000 N Tragfähigkeit) ausgebildet. Basis der Holz-Beton-Verbunddeckenbemessung bildete die Software „Easycon FEM 3 D“. Mit dieser Software können auch Block- und Trapezlasten wirklichkeitsnah und präzise dimensioniert werden.
Wäre statt der Holz-Beton-Verbunddecke eine reine Massivholzdecke zum Einsatz gekommen, hätte diese wesentlich stärker dimensioniert werden müssen. Zudem hätte die Massivholzdecke aus Schallschutzgründen eine 8 bis 10 cm dicke Schüttung erfordert. Das hätte den Deckenaufbau des in der Höhe beschränkten Bauvorhabens nochmal erhöht und darüber hinaus eine zusätzliche Traglast dargestellt. Die Holz-Beton-Verbunddecke dient der Lastverteilung, wirkt sich dank ihrer Scheibenwirkung positiv auf die Baustatik aus, deckt den Schallschutz und die Brandschutzanforderungen (als Sichtkonstruktion ohne zusätzliche Unterdecke) ab und optimiert das Schwingungsverhalten der Konstruktion.
Massivholzplatten mit Betonschicht
Die Holz-Beton-Verbunddecke kombiniert 16 cm dicke Massivholzplatten mit einer 7 cm dicken Betonschicht sowie „Elascon“-Schubverbindern. Diese wurden mithilfe von automatisiert hergestellten Systemschablonen zu einem entlang der Kraftlinien gerichteten flächigen Teppich kombiniert. Die Montage der Decke erfolgte in aufeinander abgestimmten Schritten: Zunächst deckten die Handwerker die Brettsperrholzdecke mit Folien ab, bevor sie die Schubverbinder verschraubten und die Stabstahlbewehrung verlegten. Anschließend wurde die Lösung durch einen Prüfstatiker abgenommen und danach betoniert. Während des Abbindens wurde die frische Betonfläche mit „Elasco Cure 3 in 1“ benetzt, einer speziell für den Holz-Beton-Verbund entwickelten und geprüften Sprühfolie. Die so behandelte Decke konnte schon am nächsten Tag begangen und nach 21 Tagen voll belastet werden.
Tragende Innenwände und nichttragende Außenwände
Das Dach der Aufstockung bilden 16 cm dicke Brettsperrholzelemente, die mit einem Flachdachaufbau ergänzt wurden. Dieser besteht aus einer Dampfbremse, 16 cm dicken Wärmedämmung, einer zweilagigen Dachabdichtung aus Bitumenbahnen sowie einer 5 cm hohen, extensiven Dachbegrünung. Nicht nur das Flachdach, sondern auch die Wandkonstruktionen der neuen Geschosse führte die mit dem Projekt betraute Viellechner Dachdeckermeister GmbH aus. Der Betrieb führt nicht nur Arbeiten im Steil- und Flachdachbereich, sondern auch Holzbauarbeiten aus. Aufstockungen von Flachdachgebäuden gehören ebenfalls zum Portfolio des Dach- und Holzbaubetriebs, der aktuell 65 Mitarbeiter umfasst. Etwa einmal pro Jahr für die Viellechner Dachdeckermeister GmbH nach eigenen Angaben Aufstockungen aus.
Die Lastabtragung der Aufstockung in der Straßburger Straße erfolgt im Wesentlichen über tragende Innenwände. Die Außenwände sind, mit Ausnahme der Giebelwände, nicht tragend. Die Fassaden der aufgestockten Geschosse setzen sich aus 8 cm CLT-Tafeln (CLT = „Cross Laminated Timber“, also Brettsperrholz, hergestellt von Stora Enso), 14 cm Holzfaserdämmung und 1-1,5 cm dickem, mineralischem Außenputz mit vertikaler Struktur zusammen. Von innen sorgt eine zweilagige Beplankung der Außenwände aus 12,5 mm Gipsfaserplatten für die Einhaltung der Brandschutzanforderungen.
Die Wohnungstrennwände konzipierten die Planer als „Kommunwände“: Jede Einheit begrenzen jeweils 8 cm dicke Kreuzlagenholz-Wände mit 2,5 cm Mineralwollmatten als Trennwanddämmung. Vor dem Hintergrund der im Prüfzeugnis geforderten Brandschutzanforderungen wurden die Wände auf den Rauminnenseiten jeweils doppelt mit 12,5 mm Gipsfaserplatten beplankt.
Drei voneinander unabhängige Rettungswege
Das Projekt fällt in die Gebäudeklasse 5. Die zuständige Brandschutzbehörde genehmigte allerdings eine Herabstufung der Feuerwiderstandsdauer der tragenden und aussteifenden Bauteile auf hochfeuerhemmend (F60), da die Maisonetten fast durchwegs kleinere Wohneinheiten sind. Darüber hinaus bieten die drei Bestandstreppenhäuser drei voneinander unabhängige, bauliche Rettungswege. Entsprechend können die Bewohner mehrere Fluchtwege erreichen, sodass eine Personenrettung auch innerhalb von 60 statt 90 Minuten möglich ist.
Feuerbeständige Trennwände doppelt beplankt
Die beiden inneren Brandwände des in drei Brandabschnitte gegliederten Riegels wurden in Abweichung von der Bauordnung als feuerbeständige Trennwände ausgeführt. Diese unterscheiden sich von den restlichen Wohnungstrennwänden nur durch die Art der Beplankung. Anstelle der zweilagigen Bekleidung aus 12,5 mm Gipsfaserplatten kam bei den feuerbeständigen Trennwänden beidseitig eine Kombination aus jeweils einer Lage 15 mm und 18 mm Gipsfaserplatten zum Einsatz. Da die Trennwände zweilagig aufgebaut sind, wurde diese Abweichung damit begründet, dass eine Seite die Lastabtragung auch dann noch garantiert, wenn die zweite nach 90 Minuten versagen sollte. Dabei erwiesen sich die Holz-Beton-Verbunddecken ebenfalls als vorteilhaft: So durften zwar die inneren Brandwände im Hinblick auf die Brandschutzauflagen aus Holz gebaut werden, die Holzdecke durfte hingegen nicht durchlaufen. Sie endet jeweils vor der Trennwand, während die Betonplatte als Konsole das Auflager auf den feuerbeständigen Wänden, den gemauerten Treppenraumwänden oder der Stahlbeton-Giebelwand bildet. Durch Ausfräsen der Deckenplatte wurde die Dicke der Betonschicht in den jeweiligen Auflagerbereichen zu diesem Zweck von 7 auf 10 cm erhöht.
Von außen nach innen gebaut
Gebaut wurde in der Straßburger Straße nach dem Zwiebelprinzip: von außen nach innen. Zunächst errichteten die Zimmerer die beiden Etagen der Aufstockung aus vorgefertigten Elementen. Diese konnten als Wetterschutz für die Innenräume genutzt werden. Danach erst rückten die Handwerker von Elascon an, um die HBV-Decke in Ortbetonbauweise zu erstellen. In Verbindung mit der Massivholzkonstruktion bot sich so die Chance, das Gebäude zügig, in hoher Ausführungsqualität und entsprechend den statischen, schall- und brandschutztechnischen Vorgaben auszuführen.
Die Aufstockung des Wohnhauses schafft nun Platz für 23 Singles, Paare und Familien, die in Berlin-Spandau eine neue Heimat gefunden haben.
AutorinDipl.-Ing. (FH) Christine Ryll hat Architektur in München studiert und betreibt heute als Fachjournalistin das Presse- und PR-Büro rylltext in München.
Bautafel (Auswahl)
Projekt Aufstockung eines Wohnhauses und Errichtung von 23 Wohneinheiten, insgesamt 1870 m² Wohnfläche
Bauzeit Oktober 2019 bis Frühjahr 2021
Bauherr Nostro Grundstücks-GmbH & Co Straßburger Straße KG
Tragwerksplanung (LP 1-6) Lossen Ingenieure GmbH, 10317 Berlin,
Holzbau Viellechner Dachdeckermeister GmbH, 12099 Berlin, www.dachdeckerei-viellechner.de
Holz-Beton-Verbunddecke Elascon GmbH, 79183 Waldkirch, www.elascon.de