Anschlagpunkte und Dachhaken im Stresstest
Wie Dachhaken, Anschlagpunkte und andere Hilfsmittel gegen Absturz vor Markteinführung von ABS Safety getestet werden
Dachhaken, Anschlagpunkte und andere Hilfsmittel bieten den nötigen Schutz bei Arbeiten in gefährlichen Höhen. Um Dachhaken auf den Markt zu bringen, müssen sie getestet werden. Bei den Prüfinstituten wird auch der Montageuntergrund ins Visier genommen.
Wer in lebensbedrohlicher Höhe arbeitet, der muss sich laut gesetzlichen Regelungen und berufsgenossenschaftlichen Vorgaben vor einem gefährlichen Sturz in die Tiefe sichern. Damit Dachdecker und Monteure darauf vertrauen können, dass die vorhandenen Anschlageinrichtungen im Ernstfall auch halten, nehmen Hersteller und Prüfinstitute einen Faktor ins Visier, der gar nicht zur eigentlichen Absturzsicherung gehört. Doch der Montageuntergrund kann in der Praxis über Leben und Tod entscheiden.
Auf welchen Untergründen halten Anschlagpunkte?
Dachhaken und Einzelanschlagpunkte sind technisch ausgeklügelte Produkte, die hohen Belastungen trotzen. Aus Hightech-Stahl gefertigt, der sich bei plötzlicher Belastung in genau definierten Parametern verformt, reduzieren moderne Anschlageinrichtungen die bei einem Sturz auftretenden Kräfte und mindern so Verletzungsrisiken. Dass das auch in der Praxis funktioniert, belegen entsprechende Prüfsiegel: In Europa müssen Absturzsicherungen geprüft und zertifiziert werden, sonst dürfen sie nicht verbaut und verwendet werden.
„Kern der Zertifizierung sind Fall- und Belastungstests. Hier zeigt sich, ob das System im Ernstfall wirklich hält“, erklärt Ludwig Beckers, Gründer und Geschäftsführer (bis 2022) des Absturzsicherungsunternehmen ABS Safety aus Kevelaer. Hier, in Kevelaer, stammt ein Großteil der Anschlageinrichtungen aus der eigenen Entwicklung – Fachmann Beckers weiß daher genau, worauf es bei Zertifizierungen von Absturzsicherungslösungen ankommt. „Natürlich können wir auf Grundlage unserer Erfahrung und Anhand der verwendeten Materialien schon abschätzen, welches Konzept funktioniert und welches nicht umsetzbar ist. Sichere Auskunft gibt letztlich aber nur der Test.“
Bei ABS Safety werden alle Anschlagpunkte, Dachhaken und Seilsicherungssysteme am eigenen Fallturm getestet. Ein herabstürzendes Gewicht simuliert dabei den Sturz einer oder mehrerer Personen. „Für uns als Entwickler sind eigene Testvorrichtungen unverzichtbar“, erklärt Experte Beckers. Denn als Hersteller will er natürlich schon vor dem Test durch ein unabhängiges Prüfinstitut die Gewissheit haben, dass seine Neuentwicklungen den für die Zertifizierung erforderlichen Belastungen auch standhalten. Der „Stresstest“ für Absturzsicherungen geht – zumindest in Deutschland – jedoch oft über die Anforderungen der Norm hinaus: So werden die Anschlagvorrichtungen bei ABS Safety grundsätzlich auf realistischen Nachbauten der Dachoberflächen montiert, um sicherzustellen, dass nicht nur das System, sondern auch die Verbindung zum Untergrund bei einem Sturz zuverlässig hält.
Alle Sicherheitsprodukte werden getestet
Hersteller ABS Safety lässt alle Produkte von der Dekra testen und zertifizieren – Volker Mühlenbruch ist ein regelmäßiger Gast bei dem niederrheinischen Unternehmen, er prüft mehrfach im Jahr Neuentwicklungen des Absturzsicherungsentwicklers und führt die jährlich vorgeschriebenen Prüfungen bereits zertifizierter Produkte durch. „Absturzsicherungen bestehen in der Regel ja aus mehreren Komponenten. Werden Einzelteile verändert oder ausgetauscht, muss abgeschätzt oder gegebenenfalls geprüft werden, ob die Stabilität dadurch unbeeinflusst bleibt. Oft müssen aber auch nur Kennzeichnungen ausgetauscht werden, etwa infolge veränderter Bestimmungen“, erklärt der 44jährige Maschinenbauingenieur Mühlenbruch – seit über zehn Jahren ist er bei der Bochumer Dekra Exam im Prüflaboratorium für Bauteilsicherheit tätig. Absturzsicherung zu prüfen, gehört bei Volker Mühlenbruch zum Alltag. Trotzdem erwarten den Fachmann für die sogenannte „PSA (Persönliche Schutzausrüstung) gegen Absturz“ manchmal ungewöhnliche Herausforderungen beim Test neuer Entwicklungen – wie im Fall eines Anschlagpunktes für die durchdringungsfreie Befestigung auf Bitumen- und PVC-Dächern. „Wir haben einen Anschlagpunkt entwickelt, der auf Bitumen und PVC verschweißt werden kann, weil auf diese Weise die Dachhaut nicht durchbohrt werden muss und trotzdem keine Lasten aufs Dach geschafft werden müssen“, berichtet Beckers von ABS Safety. Die Herausforderung hierbei: herauszufinden, ob die Dachoberfläche das auch mitmacht. Bei den Tests in der Entwicklungsphase wurde der Anschlagpunkt deshalb auf Modellen entsprechender Dachtypen befestigt und in einer praxisnahen Simulation geprüft – ein Verfahren, das bei Anschlagpunkten im Gegensatz zu Dachhaken nicht durch die Norm vorgegeben ist. Experte Mühlenbruch weiß, warum: „In der Praxis existieren nahezu unendlich viele Montagesituationen und Untergründe, auf denen Anschlageinrichtungen installiert werden können. In einer Norm ist diese Vielzahl schlichtweg nicht zu fassen.“ Dennoch rät der Fachmann von der Dekra Herstellern grundsätzlich dazu, Anschlagpunkte auf den vorgesehenen Dachtypen oder entsprechenden Nachbauten zu testen – ein Rat, der gerne angenommen wird, denn am Ende zählt ja nicht das Zertifikat, sondern der Schutz des Menschen. „Hersteller wie ABS Safety nehmen mit ihren Lösungen ja konkrete Situationen und typische Anwendungsgebiete ins Visier. Man kann und sollte schon entsprechende Gegebenheiten simulieren.“
Aufwendige Testsimulationen von Dekra untermauern das Prüfergebnis
Den zur Befestigung auf Bitumen und PCV konstruierten Anschlagpunkt ABS-Lock OnTop bei den Tests auch auf eben diesen Materialien zu verschweißen, war für Hersteller und Prüfer nur folgerichtig. Zusätzlich wurde die Bitumenoberfläche für die Falltests auf 70 Grad erhitzt und auf minus 40 Grad herunter gekühlt, um verschiedene Wetterbedingungen zu simulieren – dank dieser ausführlichen Vorprüfungen hat das System auch die Dekra-Tests problemlos bestanden. Die gute Betreuung durch die Dekra Exam wusste Ludwig Beckers dabei zu schätzen: „Volker Mühlenbruch hat schon so viele Systeme auf Herz und Nieren geprüft, sodass er auch bei kleinen Details immer noch einen guten Hinweis geben kann. Für uns als Hersteller bedeutet das eine Steigerung der Qualität unserer Produkte.“ Und gleichzeitig steigt für Beschäftigte auf Dach und Fassade damit letztlich auch die Sicherheit bei der Arbeit.
Autor
Michael Podschadel ist Fachjournalist und Kommunikationsberater. Er ist in einer Agentur in Goch am Niederrhein tätig.
Auch die Bedienungsanleitung ist wichtig
Der Diplomingenieur für Maschinenbau, Volker Mühlenbruch, ist seit über zehn Jahren bei der Bochumer Dekra Exam im Prüflaboratorium für Bauteilsicherheit zuständig. Unser Autor hatte Gelegenheit, mit ihm ein Interview über die Prüfungen von Sicherheitsvorkehrungen zu führen.
Herr Mühlenbruch, wie werden Anschlagpunkte und Dachhaken denn eigentlich genau getestet?
Volker Mühlenbruch: Anschlagvorrichtungen werden grundsätzlich auf zwei Arten geprüft: statisch und dynamisch. Im dynamischen Test wird ein Anschlagpunkt mit dem Gewicht an einem Fallturm verbunden, das dann in die Tiefe fallen gelassen wird. Ein Anschlagpunkt für drei Personen muss diesem Test dreimal hintereinander standhalten, wobei die Krafteinleitung neun Kilonewton beträgt. Im statischen Test muss dieses System dann drei Minuten lang einer kontinuierlichen Zugbelastung von mindestens zwölf Kilonewton widerstehen.
Wenn das System hält, gilt der Test als bestanden und das Zertifikat wird erteilt?
Nicht ohne weiteres – Systeme, die für die Belastung in mehrere oder alle Richtungen ausgelegt sind, müssen auch den Fall- und Zugtest in mehren Belastungsrichtungen bestehen. Und dann ist außerdem zu prüfen, ob die Anleitung verständlich ist.
Für das Prüfsiegel ist die Bedienungsanleitung wichtig?
Auf jeden Fall! Das beste System nutzt in der Praxis ja nichts, wenn der Anwender nicht weiß, wie er es richtig verwenden muss. Daher gehört zum Test auch immer der Blick in die Montage- und Bedienungsanleitungen. Nur, wenn hier alle wichtigen Hinweise gegeben sind und der Text verständlich ist, erteilen wir das Zertifikat.