Alt und neu vereint
Ein Firmensitz in einer ehemaligen Backsteinkirche – das ist schon außergewöhnlich genug. Der neue
Anbau aber setzt mit farbigen Titanzink-Schindeln noch eins drauf. Trotz seiner außergewöhnlichen Gestalt fügt sich der Neubau harmonisch an den schlichten historischen Bau an.
Ende des 19. Jahrhunderts war der New Yorker Vorort Hoboken die wichtigste Anlegestelle in der Region des New Yorker Hafens für die Linienschifffahrt zwischen Amerika und Europa. Die aus dieser Zeit stammende Backsteinkirche gehörte ursprünglich zu einer norwegischen Gemeinde und befand sich inmitten eines Wohnviertels. Architektonisch überzeugt der Bau mit gerader Linienführung und klarer Formgebung. Der Verzicht auf eine repräsentative Apsis, im christlichen Kirchenbau ein zumeist halbkreisförmiger Abschluss des Kirchenschiffs für den Altar, betont die bewusst einfache und schnörkellose Bauweise.
Seit 1995 sitzt das Architekturbüro Marchetto, Higgins & Stieve, das 13 Jahre zuvor von Dean Marchetto gegründet wurde, in der ehemaligen Kirche mit ihrer beispielhaft wandlungsfähigen Nutzbarkeit. Nach dem „Dienst“ für eine religiösen Gemeinschaft wurde der Bau von 1919 bis 1995 zur Heimat der Amerikanischen Legion, eine Veteranenorganisation der US Army. Nachdem das Architekturbüro zehn Jahre darin Platz gefunden hatte, sprengten die gestiegenen Platzanforderungen des Büros buchstäblich die äußeren Mauern des Kirchengebäudes. Dean Marchetto entschied sich für einen Anbau an der rückwärtigen Fassade in Form einer Apsis und knüpfte so an die frühere Präsenz der religiösen Architektur des späten 19. Jahrhunderts an. Material, auffälliges Design und Umsetzung schaffen dabei die Verbindung zu unserem Jahrhundert.
Materialeigenschaften überzeugten
Einige Tausend sechseckige Titanzink-Schindeln, jede für sich individuell verschieden, in den drei Pigmento Oberflächen rot, grün und blau, bekleiden die Außenhaut des Anbaus. Dean Marchetto entschied sich für vorbewittertes Titanzink von VM Zinc, der internationalen Marke für Titanzink. Kupfer war zwar kurzfristig auch in der Überlegung, die Farbvielfalt von Pigmento hatte Marchetto aber schließlich überzeugt. Titanzink lässt sich beliebig verformen, kann gekantet, gerundet, gefalzt und profiliert werden. Es ist ein ungiftiges, umweltsicheres und zugleich vielseitiges Produkt. Das Material enthält keinerlei Verunreinigungen, die durch Wind und Wetter oder Feuer freigesetzt werden könnten. Und es ist in den Augen des Architekten darüber hinaus auch noch vor allem schön.
Das verwendete Titanzink zeichnet sich gegenüber reinem Zink durch eine verbesserte Dauerstandfestigkeit, geringere Wärmedehnung und verringerte Kaltsprödigkeit aus. Der Werkstoff ist langlebig, sehr widerstandsfähig und altert natürlich sowie wartungsfrei. Zudem wird er ressourcenschonend produziert und ist zu 100 Prozent recycelbar. Die vorbewitterte Oberfläche schafft – wie die natürliche Patina – eine bei Verletzungen selbstheilende Schicht, die auch gegenüber Witterungseinflüssen einen Langzeitschutz bietet.
Der ungewöhnliche Erweiterungsanbau setzt sich aus drei versetzt angeordneten und doppeltgewölbten Schalen zusammen. Senkrechte Fenster füllen den Versatz; Dach und Fassade gehen nahtlos ineinander über. Das Entwurfskonzept nimmt sich dabei Anleihen aus der Natur und kopiert die beeindruckende Körperbedeckung der Schuppentiere. Bei diesen variieren die einzelnen, sich dachziegelartig überlappenden Hornschuppen in Größe und Form: Je breiter oder schmaler der Körper an der jeweiligen Stelle ist, desto größer oder kleiner sind dementsprechend die Schuppen. Auch die Titanzink-Schindeln passen sich optimal an den Anbau an. Je stärker sich die Form wölbt, desto größer werden auch hier die einzelnen Elemente.
Von der virtuellen in die reale Welt
Für den Entwurf arbeitete das Architekturbüro mit Justin Nardone zusammen, der als Entwurfsarchitekt und Konstruktionsingenieur für das Büro Skidmore, Owings & Merrill tätig ist. Nardone unterrichtet außerdem Architekturstudenten in CAD- und CNC-Technologien. Im Rahmen eines Forschungsprojektes (Product-Architecture Lab) am Stevens Institute of Technology in Hoboken hat Nardone mit Studierenden gemeinsam die Software zur Berechnung von Form, Größe und Anzahl der Schindeln für die Eindeckung der Apsis entwickelt. Das daraus resultierende digitale Modell ermöglichte die Umsetzung mit einem erstaunlich moderaten Budget: Die ineinander verschachtelten Einzelelemente wurden für den Laserschnitt aufgefächert und auf Bögen verteilt. Diese digitalen Daten konnten, ohne weitere analoge Modelle bauen zu müssen, direkt an die Produktion weitergegeben werden.
Eine virtuose Arbeit und unerlässliche Hilfe für den reibungslosen Übergang vom virtuellen Modell zum realen Objekt leistete dabei Glenn Wyeroski, Leiter der beauftragten Bedachungsfirma. Seine Erfahrungen mit dem Werkstoff Titanzink und sein Gespür für die bestmögliche technische Lösung halfen entscheidend mit bei der Entwicklung der Details für die Installation und der Sicherstellung der Wasserdichtheit.
Eindecken nach Zahlen
Der Aufbau der doppeltgewölbten Apsis, die den Blick bis hoch zum First der ehemaligen Kirche leitet, besteht aus mehreren Schichten: Die Basis bildet ein vertikales Stahlrahmengerüst mit einem zweiten Rahmen als horizontal ausgerichtetem Unterbau, auf den zunächst eine Lage Wellkunststoff aufgeschraubt und mit einer Dämmung versehen wurde. Auf diese brachten die Handwerker ein Armierungsgewebe als Putzuntergrund sowie einen dreilagigen Putz auf. Die Zink-Schindeln wurden schließlich auf eine diffusionsoffene Trennlage geschraubt. Das Material dieser wasserableitenden, wind- und regensicheren Bahn, speziell für den Einsatz bei Metalldächern und -fassaden konzipiert, war dabei so dick, dass es sich mit in die Löcher der Schrauben eingedreht hat und somit zusätzlich die Schraublöcher abdichten konnte.
Gearbeitet wurde bei der Verlegung von unten nach oben. Die oben liegenden Reihen überdecken jeweils die darunter liegenden. Untereinander wurden die Reihen durch Einhängen der Elemente in die dafür vorgesehenen Querfalze verbunden. Die Zink-Schindeln selbst wurden zunächst von dem Expertenteam von Wyeroski auf der Baustelle vorgeformt und dann einzeln, nach detailliertem Verlegeplan montiert. Jede Schindel war dafür mit einem individuellen Zahlencode gekennzeichnet, der ihren genauen Platz, ihre Reihe und Position, auf der Apsis definierte.
Etwas Altes und etwas Neues …
Die alte Kirche hat eine neue Apsis bekommen. Und so außergewöhnlich der moderne Anbau auch ist, schmiegt er sich doch harmonisch an die rückwärtige Fassade, schafft ein gelungenes Gesamtbild. Die Idee von etwas Altem und etwas Neuem hat eine lange Tradition. Es geht dabei um eine glückbringende Verbindung von Vergangenheit und Zukunft. Mit der Apsis aus dem 21. Jahrhundert beginnt auch ein Stück neue Geschichte für das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert.
Autor
Uwe Nagel ist Diplom-Ingenieur und arbeitet als Leiter für technisches Marketing bei VM Zinc.
Der Zahlencode auf den Schindeln definiert den genauen Platz auf der Apsis
Bautafel (Auswahl)
Objekt Ausbau des Architekturbüros Marchetto, Higgins & Stieve, Hoboken (Bundesstaat New Jersey/USA)
Bauherr Marchetto, Higgins & Stieve
Architekt Dean Marchetto und Justin Nardone
Bedachungsfirma Glenn Wyeroski, Columbia (New Jersey/USA)
Material und Technik 125 m² maßgefertigte Schindeln
Oberflächenbehandlung Pigmento – rot, grün und blau
Hersteller VMZINC, Umicore Bausysteme GmbH, Essen
Web-Service:
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