Vom Studenten zum Dachdecker
Malte Friese ist 26 Jahre alt und war bis vor kurzem noch Student. Das Studium war ihm aber zu theoretisch, er hat es abgebrochen, um eine Lehre im Handwerk zu machen. Vom Abbruch des Studiums bis zur Lehre bekam er Unterstützung von der Handwerkskammer und der Agentur für Arbeit in Münster.
„Mit Höhe habe ich kein Problem“, sagt Malte Friese, „in meiner Freizeit mache ich Bungeejumping und Fallschirmspringen.“ Dachdecker wollte er schon als kleiner Junge werden, als er die Handwerker das erste Mal auf dem Dach sah, er sagt: „Ich fand den Beruf immer spannend!“ Aber sein Lebensweg führt ihn nicht direkt ins Handwerk.
Nach dem Abitur geht Malte erst mal für ein Jahr nach Australien. Danach macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Arbeiter Samariter Bund in Münster. Er fängt ein Studium an, Englisch und Sport auf Lehramt, in Göttingen. Denn in Münster bekommt er wegen der hohen Zulassungsbeschränkungen keinen Platz an der Uni. „Dazu kommt, dass meine Mutter von Anfang an daran gezweifelt hat, ob ein Studium das richtige für mich wäre“, sagt Malte.
Von der Uni zurück ins Handwerk
Sie sollte recht behalten. Malte merkt recht schnell, dass das Studium für ihn zu theoretisch ist. Nach anderthalb Jahren entschließt er sich, das Studium abzubrechen und entdeckt eine Anzeige der Handwerkskammer Münster. Die wirbt für das Programm „Und Morgen Meister“. Dahinter stehen drei Institutionen in Münster: die Agentur für Arbeit, die Handwerkskammer, die den Draht zu den Handwerksbetrieben hat, und die Industrie- und Handelskammer Münster. Sie ist die Schnittstelle zu kaufmännischen und anderen Ausbildungsberufen in der Stadt. Malte wird hellhörig und schreibt eine E-Mail. Wenig später hat er einen Beratungstermin bei Jürgen Brückmann bei der Handwerkskammer Münster. Der Berater kennt viele Inhaber von Handwerksbetrieben in Münster persönlich, auch den Dachdeckerbetrieb Kornmüller Bedachungen. Seit Jahren bekommt der Betrieb nur noch wenige Bewerbungen von jungen Leuten. „Und wenn, dann sind die Bewerbungen leider oft so schlecht, dass ich nichts damit anfangen kann“, sagt Dachdeckermeister Raimund Koch, der Ausbilder bei Kornmüller Bedachungen ist. Von Maltes Bewerbung ist er aber überzeugt. Dass er sein Studium abgebrochen hat, spielt für ihn keine Rolle. Er lädt ihn zum Vorstellungsgespräch ein und Malte darf ein dreiwöchiges Praktikum machen. Im Anschluss bekommt er den Ausbildungsplatz, beginnt seine Ausbildung schon im Februar statt im August.
Mit den anderen Gesellen versteht er sich gut
Jetzt fährt er jeden Morgen um halb sieben zur Arbeit. „Mit den anderen Gesellen verstehe ich mich gut, das ist ein nettes Team hier“, sagt er. Weder im Betrieb noch in der Berufsschule in Eslohe hat er Schwierigkeiten. „Dort hat mich der Englischlehrer sogar schon gefragt, ob ich ihn beim Unterricht unterstützen könnte“, sagt Malte, der immerhin drei Semester Englisch studiert hat.
Nur drei Abbrecher werden Dachdecker
Seit 2013 läuft das Programm „Und morgen Meister“ in Münster. Von 549 beratenen Studienabbrechern hat laut der Agentur für Arbeit Münster knapp die Hälfte eine Ausbildung angefangen. „Davon sind aber nur 60 Studienabbrecher ins Handwerk gegangen“, sagt Jürgen Brückmann. Für einen Dachdeckerbetrieb hätten sich nur drei Abbrecher entschieden. „Ich kenne das Problem“, sagt Dachdeckermeister Raimund Koch, „auf Ausbildungsmessen stehen die jungen Leute bei den großen Autohäusern oder anderen Firmen oft Schlange und informieren sich. Bei uns an den Stand kommen die wenigsten. Wir haben im Dachdeckerhandwerk ein Nachwuchsproblem. In diesem Jahr haben nur sechs Azubis in ganz Münster eine Ausbildung zum Dachdecker angefangen.“ Dabei gibt es in Münster etwa 30 Dachdeckerbetriebe.
Tischler ist am beliebtesten
„Der Beruf Tischler ist am beliebtesten und wird von vielen Studienabbrechern angestrebt“, sagt Jürgen Brückmann. „Die Abbrecher ergreifen nicht immer eine Ausbildung, die zu ihrem Studienfach passt“, ergänzt Petra König, Pressesprecherein der Agentur für Arbeit Ahlen-Münster. Ein ehemaliger Informatikstudent hat eine Ausbildung zum Bodenleger angefangen, ein BWL-Student ist nach dem Abbruch des Studiums Tischler geworden und ein Lehramtsstudent Chemielaborant. Es gebe nicht viele Stellen für Akademiker in Münster. Dafür aber jede Menge freier Lehrstellen bei Handwerksbetrieben.
Morgen noch nicht Meister
Der Name des Programms „Und morgen Meister“ kommt übrigens daher, dass Projekteilnehmer während ihrer Ausbildung schon Kurse der Meisterschule besuchen können. „Das wird allerdings nicht so stark angenommen wie wir gedacht haben“, sagt Petra König. Raimund Koch hält es auch nicht für sinnvoll, dass sein Azubi während der Ausbildung schon den Meisterkurs macht: „Das ist zu viel auf einmal“, sagt er.
Malte Friese hatte keinen Studienplatz bekommen, als er in Münster Lehramt studieren wollte. Nachdem er sein Studium abgebrochen hatte, kehrte er nach Münster zurück. Als Auszubildender im Dachdeckerhandwerk wurde er bei Kornmüller Bedachungen mit Freude aufgenommen. Und nach der Ausbildung? „Ich weiß noch nicht, wie es dann weitergeht“, sagt er, „vielleicht gehe ich nach Australien und arbeite dort?“
Autor
Stephan Thomas ist Volontär in der Redaktion der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Angebote für Studienabbrecher
Weitere Beispiele von Studienabbrechern, die eine Ausbildung angefangen haben, finden Sie online unter www.studienabbruch-und-dann.de. Dort finden Sie auch eine Übersicht zu Angeboten in anderen Städten, von „Kursänderung“ der Handwerkskammer Flensburg bis zum „Neustart für Studis“ der IHK Reutlingen.
Beratungsangebote für Studienabbrecher gibt es in allen Bundesländern und vor allem in Universitätsstädten. Die besten Ansprechpartner für Studienabbrecher, die eine Ausbildung beginnen möchten, sind die Handwerkskammer vor Ort, die Agentur für Arbeit und die IHK.