„Sie brennt nicht, sie glimmt berechenbar“

WDV-Systeme standen zuletzt zunehmend in der Kritik. Sie sorgen einerseits dafür, dass das Gebäude weniger Energie verbraucht, andererseits bleiben Fragen zum Brandschutz, zur Algenbildung und die des späteren Recyclings ungeklärt bzw. unbefriedigend beantwortet. Der Hersteller Homatherm zeigt seine Sicht der Dinge.

dach+holzbau: Mit schwerentflammbaren WDV-Systemen sind im Allgemeinen Dämmungen aus Polystyrol oder PUR / PIR gemeint. Aber es gibt ja auch ökologischere Varianten, die gerade im Holzbau interessant sind.

Michael Müller: Ja, als Konsequenz aus der anhaltenden Diskussion um die Brandsicherheit der Fas­sadengestaltung mit WDVS hat Homatherm eine ökologische Dämmplatte entwickelt, die dank eines an­­forderungsgerechten Anteils Flammschutzmittel im Falle eines Brandes das schnelle und unkontrollierte Ausbreiten des Feuers über die Fassade verhindert. Die Platte heißt „EnergiePlus FR“, wobei „FR“ für „flame retarded“ also „flammhemmend“ steht. Es ist eine Putzträgerplatte aus Holzweichfasern, die im Trockenverfahren produziert wird und „natureplus“-konforme Salze enthält, die flammhemmend wirken und gesundheitlich unbedenklich sind.

Welche Salze sind das genau und wie verhält es sich mit dem Recycling?

Im Unterschied zu stark in der Diskussion stehenden, weil das Grundwasser gefährdenden, bromierten Substanzen (sogenanntes Hexabromcyclododecan HBCD d. Red.) werden hier Stoffe eingesetzt, die mit Düngemitteln aus der Landwirtschaft vergleichbar sind. Sie werden aufgelöst und bei der Zerfaserung der Holzhackschnitzel fest auf jede einzelne Holzfaser fixiert.

Beim Plattenrecycling verhält es sich so, dass sich nach der Nutzungsphase die Putzschicht leicht von der Dämmplatte abschälen und somit trennen lässt. Damit können die Putz-/ Glasgewebe-Schicht als Bauschutt und die keine Putzanteile mehr enthaltende Holzfaserplatte sortenrein recycelt oder der thermischen Verwertung zugeführt werden.

Wie verhält es sich bei Ihrem WDVS mit der Algenbildung. Wir haben doch auch hier eine relativ kalte Außenoberfläche, die das begünstigt, oder?

Im Vergleich zu allen bekannten verputzten Dämmplatten, mit Ausnahme der nur gering verbreiteten, weil wenig dämmenden Holzwolle-Leichtbauplatte, weisen Holzfaserdämmplatten das größte Potential an thermischer Speicherkapazität auf. So bildet sich entsprechend weniger oberflächliches Tauwasser durch nächtliche Abstrahlung. Jedoch darf dieser Vorteil nicht überbewertet werden. Qualitativ hochwertige Oberputze wie beim Homatherm-EnergiePlus-System verfügbar sowie planerische Maßnahmen, durch die die Putzflächen am Gebäude geschützt oder nur vermindert der Feuchte ausgesetzt werden, sind mindestens genauso wichtig.

Für welche Gebäudearten lassen sich diese Produkte verwenden?

Bisher ist das Holzfaser-WDVS für Gebäudeklasse 1 bis 3 zulässig. Unsere Brandversuche zeigen aber, dass die Putzträgerplatte brandschutztechnisch unkritisch auch für Neubau und Sanierung von Fassaden oberhalb von sieben Metern, also für Gebäudeklasse 4, potentiell geeignet wäre und das mit deutlich höherem Sicherheitsniveau als dort derzeit zulässige Polystyrol-Dämmungen. Das Wärmedämmverbundsystem aus weitestgehend nachwachsenden Rohstoffen zersetzt sich im Brandfall nur extrem begrenzt und langsam. Aus mineralischen Baustoffen bestehende Außenwände neben und oberhalb eines Brandherds, aber auch tragende Holzkonstruktionen können vor der Bildung offener Flammen geschützt werden.

Wie ist die Genehmigungsfähigkeit von Mehrgeschossern in Holzbauweise momentan geregelt?

Die aktuelle, seit 2002 gültige Musterbauordnung erlaubt Holzbauwerke mit bis zu fünf Geschossen. Das Fußbodenniveau des obersten Geschosses darf dabei nicht höher als 13 m über dem Gelände liegen und die Nutzungseinheiten nicht größer als 400 m2 sein. Außerdem muss eine hölzerne Tragkonstruktion mit nichtbrennbaren Plattenwerkstof­fen, zum Beispiel mit Gipsfaserplatten gekapselt werden, sodass auch nach 60 Minuten Brandeinwirkung oder vergleichbare Hitze entwickelndem Glimmen die Temperatur auf der Rückseite der Gipsplatten maximal 270 °C beträgt – die Entzündungstemperatur von Holz. Zumeist wird das mit zwei 18 mm dicken, sich überlappenden Gipsfaserplatten realisiert.

Wie verhalten sich flammgeschützte Holzfaser-Dämmplatten im Brandfall?

Die Brandversuche in der MFPA Leipzig zeigen, dass sich Putzträgerplatten aus flammgeschützten Holzfasern im Unterschied zu den WDVS aus flammgeschütztem Polystyrol, die schmelzen und dichten schwarzen Rauch verursachen, durch ein berechenbares, flammenloses Glimmen auszeichnen und nur extrem langsame thermische Zersetzungen von etwa 1 cm pro Stunde aufweisen. Daraus ergibt sich ein Zeitgewinn für Löschmaßnahmen. Selbst Stunden nach dem Brandfall bietet die Platte „EnergiePlus FR“ einen zusätzlichen Sicherheitsaspekt, da es bei Öffnung der Fassade durch die Feuerwehr keine offenen Flammen wie bei normalentflammbaren Dämmplatten gibt. Die Feuerwehr verbindet derzeit „brennbare Holzfasern“ noch mit offenen, weit Hitze abstrahlenden Flammen. Um diesen eine Möglichkeit zur eigenen Beurteilung zu geben, wurde ein kommentierter Zusammenschnitt vom über 48 Stunden ohne Wasser belassenen Brandversuch auf Youtube bereitgestellt (Webservice Seite 57).

Was passiert bei mangelhafter Ausführung des WDVS?

Um im Brandversuch die Eignung für Gebäudeklasse 4 und zugleich ein Worst-Case-Szenario zu simulieren, wurden die Holzbauteile nur einlagig mit 10 mm dicken Gipsfaserplatten gekapselt – für GK 4 sind normalerweise zwei mal 18 mm dicke Gipsfaserplatten vorgeschrieben. Zusätzlich bewirkt ein 10 mm großer Luftspalt zwischen Holz, Gipsfaserplatte und Putzträgerplatte eine kaminartige Hinterströmung – ein nie völlig auszuschließender Baumangel, trotz dessen sich das WDVS im Brandfall unkritisch verhält. Die Platte entflammt auch in diesem Kamin nicht, sondern glimmt dort nur schneller mit etwa 17 cm pro Stunde in Lüftungsrichtung, quer dazu entsprechend langsamer.

Gibt es hinsichtlich des Brennverhaltens Unterschiede zwischen verputzen und unverputzten Holzfaser-Platten?

Die Vorteile der flammgeschützten Putzträgerplatte greifen nicht erst nach dem Verputzen, auch ohne die vor zu viel Sauerstoff schützende Putzschicht ist das Gebäude während der Bauphase vor einem schnellen und unkontrollierten Ausbreiten des Feuers geschützt. Ein weiterer Brandversuch mit 100 beziehungsweise 200 mm dicken, unverputzten Dämmplatten belegt, dass es nach 20 Minuten Beflammung ohne jegliches Löschwasser zum Erlöschen der Flammen kommt. Der Zersetzungsbereich ist im Vergleich zur verputzten Dämmplatte zwar größer, der anschließende Glimmprozess kann aber unkritisch, leicht und ohne Eile gestoppt werden. Im entsprechenden Brandversuch etwa 4 Stunden nach dem Brand. Der flammenlose Glimmbereich strahlt nur mäßig Hitze ab, so dass in geringem Abstand intaktes Dämmplattenmaterial entnommen werden kann, zum Beispiel wenn ein Unterbrechungskanal für die extrem langsam fortschreitende Glimmfront geschaffen wird. Dort stoppt der Glimmprozess dann mangels zersetzungsfähigem Fasermaterials.

Auch bei einer gegebenenfalls auftretenden Hinterströmung, beispielsweise durch Schrumpfung und anschließende Hinterlüftung einer unverputzten Platte entsteht kein nennenswertes Gefahrenpotential. Durch die nur geringe thermische Abstrahlung ist dies für die Feuerwehr leicht beherrschbar. Durch den Zusatz von die Oberflächenspannung reduzierendem Mittel im Löschwasser überwindet dieses übrigens die exzellente Hydrophobierung der Platten sehr effektiv. Somit können auch oberflächlich schwer zugängliche Glimmstellen problemlos abgekühlt und somit gestoppt werden.

Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

Im Internet finden Sie einen Film des Brandversuches mit der Holzfaserdämmplatte „EnergiePlus FR“. Geben Sie hierzu bitte den Webcode in die Suchleiste ein.

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