Lüftungsnorm – Auswirkungen auf das Handwerk

Seit der Einführung der Wohnungslüftungsnorm DIN 1946-6 im Mai 2009 muss für Neubauten und (teil-)sanierte Bestandgebäude ein ausreichender Luftwechsel geplant und nachgewiesen werden. Neben Architekten sind jedoch auch ausführende Handwerker betroffen, besonders wenn kein Planer involviert ist.

Im baupraktischen Alltag ist eine zunehmende Verunsicherung in Bezug auf die Umsetzung der Norm zu beobachten. Hierbei erstreckt sich die Bandbreite von Unkenntnis über Fehlinformationen bis hin zum Ignorieren der Norm.

Der nachfolgende Beitrag erläutert die Hintergründe, die zur Änderung der Lüftungsnorm führten, deren Kernaussagen sowie die sich ergebenden Haftungsrisiken für das ausführende Unternehmen.

Luftdichte Bauweise

Im Rahmen der allgemeinen Bemühungen zur Senkung der Betriebskosten beziehungsweise des Schadstoffausstoßes wurden auch die Anforderungen an die Luftdichtigkeit der Gebäudehülle deutlich erhöht.

Die natürliche Luftwechselrate über Fugen und Leckagen hat sich seit den 1970er Jahren auf bis zu 1/40 verringert. (1970 = 4/Std, heute 0,1/Stunde). Ein solcher Eingriff in den natürlichen, also „nutzerunabhängigen“ Grundluftwechsel hat erhebliche Folgen für das bauphysikalische Gleichgewicht des Gebäudes.

Schadensrisiko Neubaufeuchte

Neubauten weisen in den ersten drei bis vier Jahren noch hohe Baufeuchten auf und müssen „trockengewohnt“ werden. Entgegen der landläufigen Meinung liegt der Trocknungsanteil durch dampfförmigen Transport durch die Außenhülle („atmendes Haus“) deutlich unter zehn Prozent. Somit ist auch für die Abfuhr der Neubaufeuchte der Austrag über die Lüftung maßgeblich.

Bei den Bestandsimmobilien geschah dieser Luftwechsel praktisch im Hintergrund, das heißt ohne Aktivität der Nutzer („nutzerunabhängig“).

Bis zum Erreichen der Ausgleichsfeuchte („trockenes Haus“) müssen nach dem Einzug noch bis zu 15 000 Liter Wasser aus der Bauphase aus einem Einfamilienhaus abtransportiert werden.

Es ist evident, dass die Baufeuchte bei luftdichten Gebäuden vermehrt und länger in der Wohnung bleibt und bereits im ersten Winter zu einem Schimmelpilzbefall (und häufig zu einer langwierigen Sanierung) führt.

Lüftung im Wohnalltag

Im Baubestand konnten sich die Wohnungen tagsüber (bei Abwesenheit der Nutzer) durch den Luftwechsel über Fugen „erholen“. Da diese Effekt bei einem Neubau sowie nach einem Fenstertausch im Bestand fehlt (beziehungsweise aufgrund der DIN 4108-7 fehlen muss), feuchten die wasseraufnehmenden Außenbauteile (und hier zumeist die Wärmebrücken) auf und bilden somit die Voraussetzung für einen Schimmelpilzbefall.

Die Hauptfeuchtelasten fallen nachts in Schlafzimmern an, die sich im EFH zumeist im Dachgeschoss befinden. Ohne eine Feuchteabfuhr erreicht die Raumluftfeuchte im wärmegedämmten Schlafzimmer bei einer Belegung mit zwei Personen nach etwa 2 Stunden schimmelpilzkritische Werte, bei einem nicht gedämmten Gebäude bereits deutlich früher.

Schadstoffe, CO2 – Konzentration und Sauerstoffgehalt

Durch die luftdichte Bauweise traten vollständig neue und an Relevanz zunehmende Faktoren hinzu:

1. Schadstoffabtransport: Ausdünstungen aus Möbeln + Baumaterialen etc.
2. Begrenzung des Kohlendioxydgehaltes, beziehungsweise Versorgung mit Sauerstoff: Bei einem fehlenden Luftaustausch sinkt der Sauerstoffgehalt in der Raumluft, während gleichzeitig die CO2 – Konzentration steigt. Beide parallel verlaufende Erscheinungen führen zu Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen und weiteren unspezifischen Symptomen („Sick Building Syndrom“)

Die Sicherstellung dieser hygienischen Lüftung war bis in die 80iger Jahre allein durch die Fugen und Leckagen des Gebäudes sichergestellt.

Die Grafik auf Seite 12 zeigt, dass insbesondere in den Schlafzimmern in den Nachtstunden (wo ein manuelles Lüften unzumutbar ist) bereits nach 30 bis 40 Minuten die hygienische Pettenkofergrenze von 1000 ppm erreicht wird.

Bei einer Neubau-typischen Luftwechselrate von 0,15-1 (= 1 Luftwechsel in 6,5 Stunden) werden nach acht Stunden CO2-Werte von über 5000 ppm erreicht.

Anforderungen aus den Normen 4108 und 1946-6

Bereits die DIN 4108 enthält Angaben zu einem erforderlichen hygienischen Luftwechsel. Laut Teil 2 ist „für die Einhaltung einer hygienischen Raumluftqualität eine Luftwechselrate von 0,5 sicherzustellen“. Demnach muss der gesamte Raumluftinhalt alle zwei Stunden getauscht werden, woraus sich eine normative Anforderung von 12 vollständigen Luftwechseln am Tag ergibt. Hiervon können dem Nutzer zwei bis drei aktive Fensterlüftungen zugemutet werden, sodass neun bis zehn Luftwechsel auf das Gebäude fallen.

Die Lüftung zum Feuchteschutz (LWR etwa 0,15-1) muss zur Vermeidung von Haftungsrisiken vollständig nutzerunabhängig durch Infiltration und zusätzliche lüftungstechnische Maßnahmen erbracht werden.

Der Nutzer kann (und muss) erst bei Anwesenheit = Normalbetrieb durch aktives Fensteröffnen zur Lüftung des Gebäudes beitragen („Nennlüftung“).

Da hoch luftdichte Gebäude (nach EnEV) diesen Luftwechsel alleine nicht mehr leisten können (dürfen) entstand die Notwendigkeit der Einführung einer dritten Lüftungsgröße („lüftungstechnische Maßnahmen“).

Auswirkungen auf den Dachhandwerker

Das Dachdeckerhandwerk wird in der Lüftungsnorm DIN 1946-6 ausdrücklich erwähnt und zwar über die „Abdichtung von mehr als 1/3 der Dachflächen in einem Ein- Zweifamilienhaus“. Ursächlich hierfür ist die nach den ZVDH-Richtlinien erforderliche Sanierungsdampfbremse mit einem (häufig kaum zu realisierenden) luftdichten Anschluss zwischen der Dachfläche und den Außenwänden.

Hierdurch werden in bewohnten Dachgeschossen (auch in Mehrfamilienhäusern!) die maßgeblichen Fugen zwischen Giebelwand und Dachschräge sowie an Dachflächenfenstern luftdicht abgedichtet (durch eine 2 mm breite Fuge werden pro Meter und Stunde rund 15 m³ Luft transportiert – sechs Meter Fuge an den Giebel- / Traufanschlüssen würden also eine Infiltration von etwa 90 m³/h bedeuten – ausreichend für den hygienischen Luftwechsel für drei bis vier Personen).

Aus diesem Grunde wird in der Lüftungsnorm festgelegt, dass bereits beim Abdichten von 1/3 einer bewohnten Dachfläche ein Lüftungskonzept erstellt werden muss.

Bei einer Beispielrechnung (siehe Grafik oben links) beträgt der (nutzerunabhängige) Luftwechsel über Fugen nur 18 m³/h während die normative Anforderung 77 m³/h beträgt. In der Folge entsteht ein Fehlbedarf von 59 m³/h, der durch zusätzliche Lüftungseinrichtungen abzudecken ist.

Hinweispflicht des Dachdeckers an den Nutzer

Trotz solcher Hilfestellungen kann von einem Dachdeckerbetrieb die Erstellung eines Lüftungskonzeptes nicht erwartet werden, da die Planung zusätzlicher Maßnahmen in den Bereich der technischen Gebäudeausrüstung fallen (Einbau von Ventilatoren beziehungsweise Lüftungsgeräten). Eine gewerkenahe Verbesserung des Luftwechsels ist daher für den Handwerksbetrieb zumeist nicht möglich.

Die Pflicht des Dachdeckers / Zimmerers wird daher auf die Hinweispflichten an den Nutzer  begrenzt. Bei Unterlassung besteht allerdings die Gefahr, dass man für die entstandenen Schäden (Schimmelpilzbildung und zusätzliche Installationskosten) in Regress genommen wird.

Die Kosten der eigentlichen Lüftungseinrichtung/Anlage können dem Dachdeckerbetrieb nicht angelastet werden („Sowieso-Kosten“), sehr wohl aber der eventuell erhöhte Aufwand eines nachträglichen Einbaus.

Autor
Hans Westfeld lebt in Bielefeld und ist Sachverständiger für Schäden an Gebäuden + Schimmelpilzschäden. Er ist zudem Lehrbeauftragter an der Hochschule Karlsruhe (Wirtschaft und Technik, Projektentwicklung + EnEV) und Mitglied in der WTA Arbeitsgruppe Innendämmung Fachwerk.

Laut DIN 4108 muss der gesamte Raumluftinhalt alle zwei Stunden getauscht werden

Beim Abdichten von 1/3 der bewohnten Dachfläche muss ein Lüftungskonzept erstellt werden

Haftungsrisiko ausschließen

Bereits die Umdeckung von 1/3 einer Dachfläche erfordert die Erstellung eines Lüftungskonzeptes. Hierdurch werden i.d.R zusätzliche Maßnahmen zur Sicherstellung des Grundluftwechsels erforderlich.
Der ausführende Betrieb ist nicht verpflichtet ein vollständiges Lüftungskonzept nach DIN 1946-6 zu erstellen beziehungsweise zusätzliche Lüftungsgeräte einzubauen, da diese Leistungen nicht in sein Gewerk fallen.
Das Haftungsrisiko für den Dachdeckerbetrieb kann aber nur durch ein detailliertes Hinweisblatt an den Bauherren minimiert werden. Ein standardisierter Hinweis im Angebot oder in der Rechnung ist in der Regel nicht ausreichend, da der Bauherr Laie ist und sich mit dem Argument, er hätte die Tragweite der Entscheidung nicht verstanden, schnell entlasten kann.
Daher muss der erforderliche Hinweis umfassend und für den Laien verständlich sein. Bei fehlender Aufklärung läuft der Handwerker Gefahr, dass er für die entstanden Schäden und Mehrkosten in Regress genommen wird.
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