Gipfel der Handwerkskunst
Das alte Hospiz auf der Passhöhe des St. Gotthard wurde zu einem modernen Hotel ausgebaut. Eine zentrale Rolle spielte der Werkstoff Walzblei. Bei der Ausführung waren viele Herausforderungen zu bewältigen – von rauen klimatischen Bedingungen bis hin zur steilen Dachneigung.
Das Gebäude scheint Teil der Landschaft zu sein: 2100 m über dem Meeresspiegel thront das Hospiz in der Schweizer Bergwelt wie ein weiterer Gipfel. Das Objekt wirkt rau, kantig und ursprünglich. Die Fassade besteht aus Kalkzementputz, das Dach aus Walzblei mit hervorspringenden Lukarnen (in der Schweiz werden alle Arten von Gauben Lukarnen genannt).
Sein markantes Erscheinungsbild erhielt das Hospiz durch umfassende Baumaßnahmen zwischen 2007 und 2009. Ein wesentliches Gestaltungselement war die Einkleidung des Steildaches, das sich über vier Stockwerke erstreckt und das Gebäude ummantelt. Gefragt war ein Werkstoff, der sich in die einzigartige Architektur des Gebäudes organisch einfügt. Zudem war zu berücksichtigen, dass die Eindeckung extremen Witterungsbedingungen dauerhaft Stand hält. Der Werkstoff Walzblei überzeugte Bauherren und Architekten sowohl ästhetisch als auch funktional. Das Ergebnis ist ein mustergütiges Bauvorhaben, das nicht nur Fachkreise begeistert.
Bewegte Geschichte des St. Gotthard Hospiz
Das St. Gotthard Hospiz trägt als eines von drei Gebäuden in der Schweiz das Siegel „Europäisches Kulturerbe“. Die Ursprünge des Hospizes – im damaligen Sprachgebrauch eine Herberge – gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Das Hospiz diente als Unterkunft für Reisende auf der Nord-Süd-Achse über den St. Gotthard. Während seines Bestehens wurde das Gebäude mehrmals erweitert, zerstört und wieder aufgebaut. Ziel der Modernisierungsmaßnahmen war es, das Gebäude zu einem Hotel mit 15 Zimmern auszubauen. Den Zuschlag für die Umsetzung erhielt das Architektenbüro Miller & Maranta aus Basel. Nach ihrem Konzept wurde die angrenzende Kapelle in das Gebäude integriert, die Schlafräume wurden unter einem Dach eingerichtet. Über insgesamt 19 Lukarnen in der Dachfläche gelangt Tageslicht in alle Räume.
Walzblei kam eine Schlüsselfunktion zu. Der Traditionswerkstoff sollte die Ästhetik der Architektur maßgeblich unterstützen. Die matt graue Färbung und augenscheinliche Schwere von Walzblei lassen das Gebäude grob und gleichzeitig grundsolide wirken. Die Verlegung mit Holzwülsten verleiht dem Dach eine markante Struktur. Bewusst wurde auf jegliche Patinierung verzichtet, um die Optik des Daches der rauen Berglandschaft anzupassen. Daneben waren funktionale Aspekte entscheidend: In über 2000 Metern Höhe herrschen extreme klimatische Bedingungen. Die Eindeckung mit Walzblei sollte einen langanhaltenden Witterungsschutz bieten. Alle Bauteile sollten sicher vor Schnee, Regen und Winden geschützt werden.
Planung mit Weitblick
Ein Bauprojekt inmitten der Alpen erfordert eine gründliche Vorbereitung. Der St. Gotthardpass ist nur im Sommer zugänglich, die Bauzeit beschränkt sich auf wenige Monate im Jahr. Mit Wetterumbrüchen ist jederzeit zu rechnen. „Bei dem Bauvorhaben am Hospiz St. Gotthard zählte jeder Tag“, berichtet Beat Conrad, Geschäftsführer der ausführenden Bauspenglerei Scherrer Metec AG aus Zürich. „Dementsprechend lang und gründlich war die Planungsphase mit den Architekten.“ Seine Firma war hauptverantwortlich für die Bleieindeckung. Die Arbeiten am Dach wurden in zwei Jahresetappen realisiert: Im ersten Jahr errichteten die Handwerker den Dachaufbau und machten ihn winterfest, im zweiten Jahr erfolgte die komplette Eindeckung mit Walzblei.
Einen Monat vor Baubeginn wurden die Planungs- und Ausführungsdetails nochmal ausführlich durchgesprochen. „An einem 1:1-Modell wurden die Einkleidungen, Falze, Kanten und Übergänge bemustert und Details der handwerklichen Ausführung ausprobiert.“ In der Werkhalle von Scherrer Metec in Zürich wurde das Walzblei in Schare von 540 x 1580 mm zugeschnitten. Dann wurden die rund 18 t Blei per LKW auf den St. Gotthardpass transportiert. Bis zu zehn Handwerker wurden in einem Hotel auf der Passhöhe einquartiert, wo sie während der gesamten Bauzeit wohnten.
Teamwork auf der Baustelle
Die Eindeckung ist das Ergebnis deutsch-schweizerischer Wertarbeit. Für die speziellen Herausforderungen am St. Gotthard holten sich die Verantwortlichen von Scherrer Metec die Unterstützung von zwei spezialisierten Handwerksbetrieben. Ortskenntnis und Erfahrung mit dem rauen Bergklima brachten die Mitarbeiter der Spenglerei Bless aus Erstfeld am Fuß des St. Gotthardpasses mit. Als Experten für Bleiverarbeitung nahm Scherrer Metec einen Dachdecker- und Klempnermeister aus Deutschland mit ins Boot: Michael Nebeler aus Bedburg im Rhein-Erft-Kreis, der über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Verarbeitung von Walzblei verfügt. Er überzeugte in Vorabschulungen die Schweizer Kollegen von den Vorteilen des Werkstoffs Walzblei – denn in der Region ist Kupfer üblich. Als die ersten Bleiflächen verlegt waren, weichte dann auch schnell die Skepsis. „Alle waren begeistert, wie gut sich das Blei in die natürliche Umgebung einfügt und bestaunten die Präzision der Ausführungen“, berichtet Nebeler.
Bauprojekt mit höchsten Ansprüchen
Die Handwerker haben bei der laufenden Arbeit vielfältige Herausforderungen zu meistern. Das Bergklima machte allen Beteiligten einige Male einen Strich durch die Rechnung. Anfangs hatten die Handwerker aus dem Flachland mit der Höhenluft zu kämpfen. Bereits nach wenigen Tagen lernten sie die Unbeständigkeit des Wetters auf 2000 m Höhe kennen: Nachdem die erste Arbeitswoche über die Sonne geschienen hatte, setzte am Freitagmittag Dauerregen ein. Am Abend ging der Regen in Schnee über. Am nächsten Morgen gab es 5 cm Neuschnee. Einen Tag später zeigte das Thermometer wieder 28 Grad bei strahlendem Sonnenschein.
Auch die Dachform forderte die Handwerker heraus. Das Dach ist bis zu 52 Grad geneigt. Schon bei der Planung war dieser Umstand zu berücksichtigen. „Die Länge der Schare wurde auf 1,58 m begrenzt, um bei der Neigung das Eigengewicht der Bleischare zu beschränken“, erklärt Conrad. „Zudem konnte so die thermische Ausdehnung gewährleistet werden.“ Beim Verlegen galt für alle Mitarbeiter Anseilpflicht. Die Karabiner sind mittels Sicherheitshaken am Dach befestigt. Die 40 Kilogramm schweren Bleischare mussten vorsichtig manövriert werden. Zur Fortbewegung dienten speziell angefertigte Dachleitern, die genau zwischen die Wülste auf dem Dach passen.
Die Handwerker verlegten insgesamt 400 m2 Walzblei. Die Ausführung erfolgte mit Holzwülsten von 40 x 40 mm Größe, die an der Unterkonstruktion befestigt wurden. Die Wülste sind halbrund und laufen nach unten konisch zu. Die sich verjüngende Form erlaubt dem Metall temperaturbedingte Dehnungen. An den Wülsten befinden sich Hafte aus 0,8 mm starkem Kupferblech, die später in die Falze der Schare greifen. Vor dem Verlegen wurden die Schare auf beiden Seiten mit einer Spezial-Kantband abgekantet. Die Schare wurden dann am firstseitigen Ende mit einer Metallplatte und zehn Schrauben aus CN-Stahl auf dem Unterbau befestigt. Die Metallplatte dient gleichzeitig als Lasche für die überlappende Schar. Zusätzlich wurden die Schare im Kopfbereich an den Wülsten angeschraubt. Anschließend falzten die Handwerker die Bleibleche an den Längsseiten um die Holzwülste. An den Stößen verschweißten sie die Bleche miteinander. Das lichte Maß der verlegten Schare beträgt 400 x 1400 mm.
Besonderes Fingerspitzengefühl erforderten die vielen Detailarbeiten. Alle Lukarnen wurden komplett mit Walzblei eingekleidet. Die Abschlüsse der Wülste an den Dachkanten und am Übergang zu den Seitenwänden der Lukarnen wurden manuell geformt. Die sensiblen Schnittstellen zwischen Dachfläche und Gemäuer des Glockenturms dichteten die Handwerker mit Anschlüssen aus Walzblei passgenau ab. Nach rund zwölf Wochen Bauzeit konnte das neue Dach des alten Hospizes komplett fertiggestellt werden. Mit dem umgebauten Hospiz bietet der St. Gotthardpass jetzt eine Sehenswürdigkeit mehr. Für Reisende zwischen der Schweiz und Italien kann sich der kleine Umweg über den Pass lohnen. Bei einer Verschnaufpause auf der Passhöhe können sie die Architektur und das kunstvolle Handwerk aus nächster Nähe bestaunen. Wer mehr Zeit hat, quartiert sich im Hotel ein. In einem der Zimmer unter dem schützenden Walzblei-Dach schläft es sich bei Wind und Wetter ruhig und sicher.
Autor
Thomas Koch ist Fachautor der Agentur conovo media in Köln und zuständig für die Themen Immobilien, Bauen, Wohnen.
Die steile Dachform mit 52 Grad Neigung fordert die Handwerker heraus
Das Gebäude scheint mit seiner Deckung Teil der Landschaft zu sein
Bautafel (Auswahl)
Projekt Bleieindeckung des Daches des St. Gotthard Hospizes
Bauherr Fondazione Pro San Gottardo, Airolo, CH
Architekten Miller & Maranta AG, Basel, CH
Material RAL-geschütztes Saturnblei in 2,5 mm Stärke
Verarbeiter Scherrer Metec AG, Zürich, CH; Bless AG, Erstfeld, CH; Michael Nebeler Bedachungen, Bedburg, D
Hersteller Gütegemeinschaft Saturnblei e.V., D-47747 Krefeld, www.saturnblei.de
Einen Weg über den Gotthard gab es schon in Römischer Zeit, allerdings bilden Reuss und Schöllenenschlucht fast unüberwindbare Hindernisse. Im frühen 13. Jahrhundert wird der Weg durch den Bau von Brücken und Befestigungen passierbar und zu einem bedeutenden Saumpfad.
Im 16. Jahrhundert sind die steilsten Abschnitte in Stufen gebaut, die sich nur zu Fuß oder zu Pferd bewältigen lassen, die Waren werden mit Tragtieren transportiert.
Mit dem Ausbau der Straße entstehen spektakuläre Abschnitte, auf Tessiner Seite, zum Beispiel die Tremola mit ihren 38 Kehren. Endlich können ab 1830 Postkutschen und Transportgespanne den Pass durchgängig nutzen.
Im Rekordjahr 1875 überqueren 72 000 Reisende – vor allem mit Postlinien – den Pass. Das Postkutschen-Zeitalter ist allerdings mit einem Schlag vorbei, als 1882 die Gotthardstrecke der Eisenbahn eröffnet wird.
Erst Jahrzehnte später bringt das Automobil dem Gotthardpass seine Bedeutung zurück. 1902 fährt das erste Automobil über den Pass. 1922 beginnt der Linienverkehr mit dem Postauto. Der rasant wachsende Verkehr führt bald zur Überlastung.
Mit der Eröffnung des Gotthard-Straßentunnels 1980 ist es mit der Bedeutung der Passstraße abermals vorbei, der Pass wird aber zur touristischen Attraktion.
Abseits vom Durchgangsverkehr, durch eine Verbindung gut erreichbar, ist die Passhöhe mit dem Hotel St. Gotthard, der Alten Sust und dem Alten Hospiz gut erschlossen. Es entstand 1623 als Haus des Priesters und wurde nach einem Lawinenabgang als Kapuzinerhospiz neu aufgebaut. Im Rahmen der jüngsten Sanierung wurde ein Konzeptwettbewerb ausgeschrieben, um mit dem Hospiz das Angebot für Übernachtungen zu verbessern.
Quelle: Beat Conrad / Scherrer Metec AG
Interview - Drei Wochen auf dem St. Gotthardpass (optional, nur wenn noch Platz ist, MUSS nicht!)
Dachdecker- und Klempnermeister Michael Nebeler war an der Umsetzung des ungewöhnlichen Bauprojektes St. Gotthard Hospiz maßgeblich beteiligt. Er schulte die Schweizerischen Handwerker vor Ort.
Welche Witterungsbedingungen herrschten vor?
Wir waren Temperaturunterschieden von bis zu 30 Grad ausgesetzt. Ich kann mich an einen besonders extremen Tag erinnern: Die Spengler auf der einen Dachseite arbeiteten mit freiem Oberkörper, den Kollegen auf der anderen Seite war es mit Pullover und dicker Jacke noch zu kalt.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Stolz bin ich, dass die Ausbildung der Schweizerischen Spengler so gut geklappt hat. Nachdem wir uns auf „Schweizerisches Hochdeutsch“ geeinigt hatten, lief die Zusammenarbeit hervorragend. Die Spengler aus der Schweiz waren wissbegierig und wussten schon nach kurzer Zeit mit dem für sie ungewohnten Werkstoff Blei umzugehen. Der vorgegebene Zeitrahmen konnte problemlos eingehalten werden.
Was schätzen Sie am Traditionswerkstoff Walzblei?
Blei ist für mich neben Schiefer der schönste Werkstoff überhaupt im Dachdeckerhandwerk. Die Formbarkeit reizt mich immer wieder. Schweißarbeiten mit Blei lassen sich ab einer Materialstärke von zwei Millimetern ausführen und erzielen ein optisch homogenes Gesamtbild.